Wertheim. Da liegen sie nun, die zwölf Pfeifen des 32-Fuß-Registers. Schon beim Öffnen der schweren Kirchentür umfängt den Besucher ein leichter Duft nach frisch gesägtem Holz. Auf der Empore stapeln sich die insgesamt 17 Teile des Registers und verströmen diesen Geruch. Bereits am Tag zuvor waren diese Teile aus einer ungarischen Fabrik angeliefert und von Helfern die schmale Treppe hinauf zur Empore getragen worden.
Die echte Herausforderung in Sachen Platz sollte jedoch erst am Donnerstag anstehen. Denn das neue Register wird zwischen der Rückseite der Orgel und der Wand montiert – teilweise in acht Metern Höhe. Da ist eine Menge Köpfchen gefragt, welche Teile zuerst in die Höhe gehoben werden müssen. Die Besonderheit: Anders als üblich steht in Wertheim beim 32-Fuß-Register der tiefste Ton in der Mitte, damit die große Pfeife von der Orgel verdeckt wird.
Doch Orgelbauerinnen Marta Kogut, Eva Maria Fritz und der angehende Orgelbaumeister Max Benzing von der Firma Mühleisen aus Leonberg verfügen über einen enormen Erfahrungsschatz und können alle Einsatzkräfte exakt dirigieren.
Von der Empore muss jedes Teil des Registers an der rechten Seite der Orgel durch eine schmale Öffnung hinaufgehoben werden, um dann an vorgesehener Stelle befestigt werden zu können. Ein extra angebrachter Flaschenzug erleichtert zwar die Arbeit, eine Menge Kraft ist dennoch erforderlich, schließlich bringen einige Teile 200 Kilogramm auf die Waage.
Unter den Helfern ist viel Wertheimer Prominenz, wie der Leiter der Musikschule Stefan Blido, der frühere Reporter Peter Riffenach und der Urpharer Wolfram Spott. Ganz oben auf dem Gerüst hinter der Orgel stehen der Bezirkskantor Carsten Klomp und seine Vorgängerin Katharina Wulzinger. Auch sie will sich dieses besondere Ereignis nicht entgehen lassen und fasst tatkräftig mit zu.
Los geht es mit dem „großen D“, genauer gesagt mit dem unteren Teil der Pfeife. Etwas mehr als eine Stunde dauert es, bis das Stück an Ort und Stelle montiert ist. Nach dem Blick auf die Uhr wurde heftig gefrotzelt, dass man sich doch das Frühstück am nächsten Morgen kommen lassen müsse. Als die obere Hälfte des „D“ schließlich stabil auf dem unteren Teil sitzt, applaudieren die Anwesenden.
„Puh, das war wirklich sauschwer“, ruft Dr. Christian Löser, als er die schmale Stiege hinter der Orgel auf die Empore hinabklettert. Der Organist hatte auf dem Status von Dekanin Wibke Klomp die Bilder der Anlieferung gesehen und bot sofort seine Hilfe an.
Nach diesem Probelauf geht es Pfeife um Pfeife deutlich schneller. Allerdings steht mit dem „E“ die größte Herausforderung bevor. Diese Pfeife besteht aus einem Stück, ist etwa viereinhalb Meter lang und wiegt mehr als 200 Kilogramm. Als sie montiert ist, atmen alle auf. Weiter geht es mit dem „Fis“. Auch diese Pfeife musste durch das „Nadelöhr“ in die Höhe.
Inzwischen haben sich neben Dekanin Wibke Klomp auch ein paar Zuschauer eingefunden, beispielsweise eine Orgel-Schülerin von Carsten Klomp aus Dertingen. Sie hat Noten unter dem Arm und ihre Tochter dabei. „Sie sind zu früh. In drei Stunden vielleicht“, ruft ihr einer der Helfer zu und alle lachen. Die Stimmung ist trotz der immensen Anstrengung sehr gelöst. Kleine Kommentare sorgen oft für Lacher. Und wieder schwebt eine Pfeife in die Höhe, dieses Mal war es das „Gis“.
15 Helfer arbeiten in zwei Schichten. Gegen 20.30 Uhr ist das Werk vollbracht, das 32-Fuß-Register ist hinter der Orgel eingebaut. Einer der Freiwilligen ist Werner Dreikorn. Er hatte bereits am Tag zuvor und beim Reinigen der Pfeifen geholfen. „Ich bin der Kirchenälteste in der Stiftskirche und in diesem Haus mehr oder weniger aufgewachsen“, sagt er und zählt eine lange Reihe wichtiger Familienereignisse auf, die in der Kirche stattgefunden hatten. „Mir ist die Kirche wichtig und man muss sie mit Leben erfüllen. Das kann man doch nicht einfach den anderen überlassen. Da muss man schon selbst mit Hand anlegen.“ Auch Eberhard Feucht packte schon mehrfach mit an: „Ich bin kein Kirchenmusiker, aber mich interessiert das alles sehr, und deshalb unterstütze ich die Arbeit.“ Für ihn ist der Orgelbau „hoch kompliziert und eine große Kunst“, an der er als Helfer teilhaben darf. Auf die Frage, ob sie bei weiteren Einsätzen auch dabei sein würden, kommt es wie aus der Pistole geschossen und ganz selbstverständlich: „Na klar.“
Sehr zufrieden ist Orgelbauerin Marta Kogut. In einem Gespräch am Freitag resümiert sie: „An manchen Stellen war es wirklich sehr eng. Es ging um Millimeter. Da mussten wir auch mal ein wenig tricksen, damit die Pfeife zwischen Orgel und Wand durchschlüpft.“ Die Erleichterung ist ihr im Interview anzumerken. „Wir sind wirklich sehr zufrieden, dass alles am Donnerstagabend geschafft wurde und auch unfallfrei abgelaufen ist.“
Ein breites Lächeln zeigt auch Bezirkskantor Carsten Klomp, als er über den Einbau des Registers spricht. „Es war wirklich ein echtes Erlebnis, das man so leicht nicht vergessen wird, denn ein 32-Fuß-Register ist in seiner Dimension schon sehr beeindruckend. Normalerweise wird es während des Baus der Orgel gleich mit eingebaut, aber hier mussten wir wirklich puzzeln.“ Die Freude über den gelungenen Einbau ist ihm anzumerken. „Ohne die Helfer hätten wir das nie geschafft“, ist sich der Organist sicher und lobt die gelungene Gemeinschaftsarbeit.
In einem nächsten Schritt wird die Elektronik eingebaut und angeschlossen. Im Anschluss werden weitere Pfeifen montiert. Zum Ersten Advent wird die Orgel dann das erste Mal erklingen. Klomp weiß schon sehr genau, was er spielen wird, um dem neuen Register Raum zu geben: die Toccata aus der fünften Symphonie für Orgel von Charles Maria Widor.
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