„Absichtlicher Leerstand“ in der Altstadt

Wertheim: Initiative nimmt Geisterläden ins Visier

Einzelhändler fürchten negative Folgen für die ganze Stadt. „Hochbegabte Künstlerin“ stellt zum wiederholten Male baldigen Beginn der Aktivitäten in Aussicht.

Von 
Gerd Weimer
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Die Eichelgasse, nachmittags um 16 Uhr: menschenleer. Für einige der leerstehenden Geschäfte wird allerdings Miete bezahlt. © Gerd Weimer

Wertheim. Das Phänomen ist bekannt, bleibt aber rätselhaft: Seit mehreren Jahren mietet eine Frau in der Wertheimer Altstadt Ladengeschäfte an, zahlt pünktlich die Miete, doch in den Geisterläden passiert so gut wie nichts. Meist sind die Schaufensterscheiben mit Plastikfolien verhängt, in wenigen Fällen ist Inventar zu sehen. Schwerpunkt ist die Eichelgasse. Hier hat die Mieterin, die nicht namentlich genannt werden will, nach FN-Informationen mittlerweile auch das zweistöckige Geschäft an der Ecke Vaitsgasse/Eichelgasse angemietet.

Die Eichelgasse ist das negative Paradebeispiel, wie zunehmender Leerstand eine Abwehrspirale erzeugt: mit sinkendem Angebot schwindet die Attraktivität. Einst eine Hauptachse mit relativ regem Publikumsverkehr, ist hier kaum noch jemand unterwegs. Die Gebäude am Rand des Marktplatzes eingerechnet, zählt man etwas mehr als 20 Geschäfte. In sieben davon passiert nichts. Ein anderes dient mehr oder weniger nur als Werbefläche. Am Eichelgassenkreuz stehen drei von fünf Läden leer.

Plakat muss jeden Morgen neu aufgehängt werden

Der Trend des Niedergangs der Innenstädte wird in Wertheim von dem Phänomen der Geisterläden, für die zwar Miete gezahlt wird, von denen aber offenbar keinerlei Geschäftstätigkeit ausgeht, verstärkt. Das ist einigen der verbliebenen Geschäftsleute ein Dorn im Auge.

Christine Gsella und ihr Partner Stefan Dokoupil haben nun eine Initiative gegründet, die auf das Phänomen der Geisterläden aufmerksam macht. Davon zeugt ein Plakat, das die Inhaberin des Modegeschäfts „Wertheim Liebe“ allmorgendlich erneuern muss, weil es jede Nacht heruntergerissen wird, wie sie den FN erzählt. Auf dem Plakat steht: „Wertheim darf keine Geisterstadt werden! Eine Person mietet gezielt Geschäftsräume in unserer Innenstadt und lässt sie leer stehen. Das schadet dem lokalen Handel, der Lebensqualität und dem Stadtbild. Wir fordern Maßnahmen, um diese Praxis zu stoppen und unsere Innenstadt wieder lebendig zu machen!“

Man wolle mit der Initiative eine Diskussion anstoßen, sagt Stefan Dokoupil. Hinter vorgehaltener Hand werde über den „absichtlichen Leerstand“ und dessen Hintergründe viel getuschelt. Doch keiner könne sich so recht einen Reim darauf machen, warum die Mieterin der Geisterläden Monat für Monat tausende von Euro ausgibt, ohne mit den Geschäften einen Ertrag zu erwirtschaften. Ihm sei klar, dass man das Gebaren nicht verbieten könne. „Ob es moralisch richtig ist, steht auf einem anderen Blatt“, gibt Stefan Dokoupil zu Bedenken.

Stefan Kempf findet „öffentliche Bloßstellung ungut“

Er wundert sich auch über die Vermieter. Für die sei es zwar vorteilhaft, zuverlässig Miete einnehmen zu können. Aber für die anderen Geschäftsleute, die sich abmühten, um profitabel zu arbeiten, sei die Entwicklung fatal.

Eine Diskussion darüber führte Stefan Dokoupil mit dem Stadtrat Stefan Kempf (Bürgerliste), der selbst ein Geschäft an die Betreiberin der Geisterläden vermietet hat und entsprechende Einnahmen verbuchen dürfte. Der Kommunalpolitiker und Gastronom kritisierte auf der Internet-Plattform Facebook Christine Gsella, die ein Bild des Plakats veröffentlicht hatte und diverse Fragen stellte, darunter: Warum lassen Vermieter unserer Stadt Wertheim das zu? Wie können wir dagegen vorgehen?

„Ich finde diese öffentliche Bloßstellung ungut. Es steht jedem frei, leere Geschäfte anzumieten und seine Träume zu verwirklichen“, schrieb Stefan Kempf. Er verstehe diese Argumentation aus Vermietersicht, antwortete Stefan Dokoupil. „Klar, du bekommst Deine Miete und unterm Strich ist es Dir egal, ob da was passiert oder nicht, Hauptsache der Rubel rollt.“ Als Geschäftsmann aus Wertheim sollte Kempf sich aber die Frage stellen, „ob es der richtige Weg ist, noch mehr Leerstand zu produzieren als ohnehin schon ist“, so Stefan Dokoupil.

Interessenten stehen nicht Schlange

Auf Nachfrage der FN erklärt Stefan Kempf unterdessen, er werde sich nicht „zu möglichen Gerüchten und Vorwürfen über die Hintergründe oder die wirtschaftliche Tätigkeit einzelner Mieter oder Vermieter“ äußern. Es stehe ihm nicht zu, über private Vertragsverhältnisse oder unternehmerische Entscheidungen Dritter öffentlich zu spekulieren oder zu urteilen. „Als Wertheimer Gemeinderat und mehrfacher Geschäftsinhaber freue ich mich grundsätzlich über jedes Ladengeschäft, das in unserer schönen Altstadt vermietet ist“, so Kempf.

Das Plakat der Initiative muss jeden Tag neu aufgehängt werden. © Gerd Weimer

Jeder belegte Standort trage „früher oder später dazu bei, dass es in Wertheim weniger Leerstand gibt“. Zudem sei er über jeden froh, der mit seinen Ideen die Altstadt bereichert. Der Leerstand böte „viel Raum für Verwirklichung eigener Ideen“. Sein kommunalpolitisches Ziel sei es, die Attraktivität und Vielfalt der Innenstadt zu stärken. „Dafür setze ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten seit Jahren sowohl im Gemeinderat als auch als Unternehmer selbst ein“, versichert Kempf.

Wegen der geringen Nachfrage stünden die Interessenten nicht Schlange, meint Boris Kellner, Vorsitzender des Stadtteilbeirats Innenstadt. Aus Vermietersicht sei ein „vermieteter Leerstand besser“ als ein „nicht vermieteter Leerstand“. Dann zahle der Vermieter wenigstens Steuern auf seine Mieteinnahmen. Grundsätzlich sei es allerdings „schwierig, wenn eine bestimmte Menge der Läden in Wertheim nicht für ihren Zweck genutzt wird und damit potenziellen Interessenten nicht zur Verfügung stehen“. Hiermit werde das Angebot verknappt, worunter dann neue Geschäftsideen litten, „wenn zum Beispiel ein attraktiver Laden leer steht, aber nicht auf dem Markt verfügbar ist“.

Mieterin will „in Kürze“ Details bekanntgeben

Mieter und Vermieter könnten in der Altstadt frei handeln. „Das Ergebnis, das in diesem Fall entsteht, ist sicher nicht das Beste für die Altstadt“, macht Boris Kellner klar. Bei privaten Mietverhältnissen gebe es „nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten über die entsprechende Nutzung mitzubestimmen“. An Spekulationen über die Hintergründe beteilige sich der Stadtteilbeirat nicht.

Die Wirtschaftsförderung der Stadtverwaltung arbeite täglich daran, den Leerstand zu verringern. Der Stadtteilbeirat erwäge, eine Initiative zu starten, „die Fenster der Leerstände ansprechender zu gestalten“. Das Gremium werde auf Stadtmarketingverein, Wirtschaftsförderung sowie den Innenstadtmanager zugehen und auch die Eigentümer mit ins Boot holen.

Details zu den Hintergründen des Phänomens der Geisterläden ließ die Mieterin auf FN-Anfrage wie schon mehrmals offen. Die „hochbegabte Künstlerin“, als die sie sich selbst bezeichnet, bittet um Geduld. Die Vorbereitungen für das nicht näher definierte Wertheimer Projekt seien „am Laufen“. Details werde sie „in Kürze bekanntgeben“. Schon vor knapp zwei Jahren hatte sie den FN in Aussicht gestellt, dass die Geschäfte „in Kürze öffnen“. Passiert ist seither – zumindest aus Sicht Außenstehender – nichts.

Hintergrund: Steg kündigte Mietverhältnis/Staatsanwaltschaft ermittelte

  • Die Mieterin der Geisterläden hat nach einer Räumungsklage der Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) den Laden in der Eichelgasse im Duffhaus-Komplex im vergangenen Jahr verlassen. Im Gegensatz zu den Privatleuten ist die Steg dazu angehalten, die Entwicklung der Innenstadt im Auge zu behalten – nicht nur das eigene betriebswirtschaftliche Ergebnis.
  • Die Beklagte war zu dem Termin vor dem Amtsgericht Wertheim im August 2024 nicht erschienen. Daraufhin erging später auf Antrag der Steg ein Versäumnisurteil , gegen das die Beklagte keine Rechtsmittel einlegte.
  • Wegen der hohen Mietausgaben, denen offenbar keine Einnahmen gegenüberstehen, gab und gibt es Gerüchte über den Sinn der Geschäftstätigkeit. Die Staatsanwaltschaft Mosbach ermittelte in diesem Fall. „Der Verdacht der Geldwäsche wurde allerdings entkräftet “, erklärte Pressesprecher Thorsten Zetsche schon im Juni vergangenen Jahres auf FN-Anfrage.
  • Die Mieterin erklärte am Donnerstag gegenüber den FN, sie verdiene ihr Geld mit „Kunst, Handel und verschiedenen Arten von Geschäften“. wei

Redaktion Reporter Wertheim

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