Wertheim. Schon beim Betreten der Wohnung, ist das unangenehme Raumklima zu spüren. Die Lunge füllt sich beim Atmen mit feuchter-warmer Luft. Die Wände in den drei Zimmern sind frisch gestrichen. Auf den ersten Blick eigentlich alles in Ordnung.
Zustand der Bausubstanz
Der zweite Blick im Badezimmer dann lässt allerdings erahnen, in welchem Zustand sich die Bausubstanz befindet: Oben in einer Ecke, dort, wo das Wasserabflussrohr aus dem Obergeschoss herausragt, klafft eine Lücke – insgesamt etwa einen halben Quadratmeter. Sie offenbart das Innenleben der Decke: Abgebrochene Holzsparren, Stroh lugt aus den Fugen der Bretter. Alle paar Sekunden löst sich ein Wassertropfen. Auf dem Abwasserrohr und über der Terrassentür gibt es dunkle Flecken.
Abgesehen von der optisch negativen Ästhetik macht man sich angesichts dieser Eindrücke sofort Gedanken um die Gesundheit der Bewohner. In der laut Mietvertrag 65 Quadratmeter großen Wohnung lebt Olena S. (Name geändert) mit ihren Kindern – das Mädchen ist drei, der Bub sechs Jahre alt. Sie stammen aus der Ukraine. Heimatstadt: Saporischschja.
Flucht vor dem Krieg
In Lagemeldungen zum brutalen Krieg, mit dem Russland sein Nachbarland überzieht, taucht der Begriff Saporischschja immer wieder auf. Tote und Verletzte durch russischen Beschuss sind an der Tagesordnung. Die Region am Fluss Dnepr grenzt an die Front. In der Nähe steht das größte Atomkraftwerk Europas.
Keine gute Umgebung, um eine Familie großzuziehen. Die Flucht von Olena S. (42) und ihren Kindern führte zunächst nach Polen. Dort waren sie fast ein Jahr in einer Turnhalle gebracht. Mit ihrer Schwester und deren Sohn ging es dann weiter nach Deutschland. In Wertheim landeten sie, weil es hier Bekannte gibt, die auch bei der Suche nach einer Bleibe halfen.
Am Ende zogen die beiden Frauen mit den drei Kindern in die Wohnung in der Mühlenstraße ein. Weder die Wertheimer Stadtverwaltung, noch andere Behörden waren involviert. Alles lief auf der privaten Ebene ab. Mittlerweile hat die Schwester eine kleine Wohnung auf dem Wartberg gefunden und konnte der Enge entfliehen. Olena S. steht jetzt als alleinige Mieterin im Vertrag. Unterstützung hat sie bei Inna Kos gefunden. Sie bringt immer mal wieder Spielsachen für die Kinder vorbei und andere nützliche Sachen, die sie auftreiben kann.
„Besser hier als mit den Bomben leben“, sagt Olena S. auf die unzumutbaren Zustände in der Wohnung und die möglichen Folgen für die Gesundheit der Familie angesprochen. Inna Kos übersetzt die Fragen der Fränkischen Nachrichten und hat die Redaktion auch auf die missliche Situation aufmerksam gemacht. Olena S. hustet immer wieder. „Nur eine Erkältung“, erklärt sie. Auf die Frage wie lange sie diese Erkältung schon plagt: „Einen Monat oder zwei.“
Es ist feucht in der Wohnung
Ohne eingehende Untersuchung bleibt es Spekulation, ob diese Beschwerden auf die Zustände in der Wohnung zurückzuführen sind. Von Bekannten habe sie später erfahren, dass die Wohnung vor ihrem Einzug großflächig mit Schimmel befallen war. Die Vermieter hätten die betroffenen Stellen abgewischt und übertüncht. Auch sie selbst habe mehrere Male schon kleinere Stellen mit geeigneten Mitteln beseitigt.
Schimmel kann man mit oberflächlichen Maßnahmen nicht dauerhaft bekämpfen, vor allem wenn die Ursache nicht eliminiert wird. Gerhard Führer aus Himmelstadt, bundesweit renommierter Sachverständiger für Schimmel, kann aufgrund der von den FN zugesandten Bilder aus der Wohnung keine detaillierte Analyse liefern, sagt aber auf Anfrage: „Dass Wasser in die Wohnung eintritt, geht gar nicht. Ursache für den Schimmelbefall ist Feuchtigkeit.“ Die Ursache müsse „erkannt und beseitigt“ werden. Angesichts der Schilderungen und des Fotomaterials geht er davon aus, dass größere Sanierungsmaßnahmen notwendig sind.
Vermieter kümmern sich nicht um den Schimmelbefall
„Im Prinzip muss befallenes Material herausgenommen werden“, erklärt Führer. Wände, Fußboden und Decke könnten betroffen sein. Anschließend sei eine Feinreinigung notwendig, „um alles was bei diesen Arbeiten freigesetzt wurde, wieder einzusammeln und damit die Raumluft zu säubern“. Eigentliche gehöre auch noch eine Sanierungskontrolle dazu, um sicherzustellen, dass alles beseitigt wurde.
Olena S. sagt, sie habe die Vermieter mehre Male auf die Situation aufmerksam gemacht. Zunächst sei ihr versprochen worden, dass man sich darum kümmere. Zwischenzeitlich habe man ihr mitgeteilt, es gehe nicht voran, weil man keine Handwerker finde. Zuletzt antworteten die Vermieter nicht einmal mehr auf Fragen.
Die Fränkischen Nachrichten erreichen die Vermieterin telefonisch. Ja, sie wisse, dass man etwas machen müsse, räumt sie ein. Wann dies vonstattengehen wird, sagt sie nicht und beruft sich auf den Handwerkermangel. Diese Woche hätte eigentlich ein Spezialist kommen sollen, doch der habe aus Termingründen abgesagt. Im Übrigen kümmere sich hauptsächlich ihr Mann um das Mietshaus mit zehn Wohnungen, das sie vor zwei Jahren erworben haben. Sie selbst sind nicht in Wertheim zu Hause, sondern leben im mittelhessischen Wetzlar.
Staat zahlt indirekt
Mehrere Anrufe bei dem Mann bleiben erfolglos. Er meldet sich nicht zurück. Dabei scheint er ein Experte zu sein und könnte Abhilfe schaffen. Laut Internet-Recherche war und ist er Geschäftsführer von Bauunternehmen. Eine der Firmen gibt als Unternehmenszweck unter anderem die „Durchführung von Bauvorhaben und Sanierung“ an.
Die Vermieter aus Wetzlar sehen offenbar keinen Grund zur Eile, was die Behebung der Schäden in der Wohnung angeht. Eine fachgerechte Sanierung würde erhebliche Kosten mit sich bringen. Anderseits erzielen sie mit der Wohnung erstaunlich hohe Einnahmen. Die Kaltmiete beträgt 650 Euro – also rund zehn Euro pro Quadratmeter. Das ist selbst in Zeiten der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt sehr hoch. Zur Orientierung: Die Stadtentwicklungsgesellschaft nimmt fünfeinhalb bis neun Euro für eine Bleibe in der Altstadt, wie Geschäftsführer Thomas Müller auf FN-Anfrage erläutert.
Die hohe Miete für die Schimmel-Wohnung in der Mühlenstraße zahlt indirekt der Staat. Die junge Familie aus der Ukraine bezieht Bürgergeld. Das Jobcenter Main-Tauber erstattet Olena S. die Mietkosten. Markus Moll, Pressesprecher beim Landratsamt, erklärt auf Anfrage, das Jobcenter prüfe die Angemessenheit der Unterkunftskosten. „Bei der Frage der Angemessenheit geht es beispielsweise um die Größe der Wohnung in Abhängigkeit von der Zahl der Bewohner sowie um die Höhe der Kaltmiete zuzüglich Nebenkosten. Ob eine Mietpreisüberhöhung oder Mietwucher vorliegt, wird nicht geprüft“, so Moll.
Auch die Bewohnbarkeit solcher Wohnungen werde nicht überprüft. „Bei einem Umzug kann das Jobcenter die Betroffenen nur beraten und ihnen mitteilen, dass die Miete die Angemessenheitsgrenzen übersteigt.“ Die Entscheidung, ob trotzdem ein Einzug in die Wohnung erfolgt, müsse der Mieter selbst treffen. Das Jobcenter könne rechtlich nicht gegen den Vermieter vorgehen oder ihn veranlassen, die Mängel zu beseitigen, da der Mietvertrag nicht mit dem Jobcenter geschlossen wurde, sondern mit dem Bewohner.
Neue Wohnung in Wertheim gesucht
Die Mieterin sei selbst für die Durchsetzung ihrer Rechte verantwortlich. Sollte die Betroffene wegen der Mängel eine Mietminderung geltend machen, werde dies, sobald es der Mieter dem Jobcenter mitteilt, bei der Auszahlung des Betrages berücksichtigt. Der Staat müsste also in diesem Fall weniger zahlen.
Olena S. geht nun den Weg, den jeder in der Situation gehen würde: Sie sucht eine neue Wohnung. Weil die kleinen Kinder in Schule und Kita gut integriert sind, will sie auf jeden Fall in Wertheim bleiben. Einen rechtlichen Streit mit den Vermietern möchte die alleinerziehende Mutter nicht ausfechten. Sie fürchtet Repressalien, glaubt, sie habe keine Rechte.
Momentan läuft eine Bewerbung für eine Wohnung auf dem Wartberg. Bis Olena S. Erfolg hat, muss sie mit ihren Kindern in der feuchten Wohnung in der Mühlenstraße bleiben. Zieht sie aus, wäre Zeit für die überfälligen Sanierungsmaßnahmen. Ob die Vermieter diese wirklich umsetzen, ist deren Entscheidung. Möglicherweise finden sich ja neue Leute, die aus der Not heraus einziehen. Und wenn das Jobcenter indirekt zahlt, sind üppige Einnahmen garantiert.
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