„Unser tägliches Gift– Pestizide, die unterschätzte Gefahr“: Unter diesem Titel stand der Mittwochabend in der Aula der Comenius Realschule Wertheim (CRW).
Bestenheid. Eingeladen zum Vortrag hatten der Obst- und Gartenbauverein Sachsenhausen (OGV) und die Nabu Ortsgruppe Wertheim. Referent war Prof. Dr. Johann Zaller vom Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur in Wien. Er untersucht seit Jahren Chemikalien und ihre Nebenwirkungen auf Umwelt und menschliche Gesundheit. Auf ihn aufmerksam wurde der OGV durch die Initiative „Aktionsbündnis Giftfrei im Dreiländereck Baden-Württemberg, Bayern, Hessen.“ Im Foyer der CRW konnte man sich über landwirtschaftliche und biologische Produkte informieren.
Zaller ging auf Pestizide im Alltag ein. Pestizide sind Pflanzenschutzmittel. Zu ihnen gehören Insektenvernichtungsmittel, Pilzgifte, Unkrautvernichter. „Ich kann nicht zu einem Mittel, das Pflanzen tötet, Pflanzenschutzmittel sagen“, kritisierte er. Verwender sei hauptsächlich die konventionelle Landwirtschaft. Im Biolandbau seien andere Stoffe zum Pflanzenschutz zugelassen. Dort setze man insgesamt auf den Systemgedanken und Mittel zur Pflanzenstärkung, die diese weniger anfällig gegen Krankheiten und Schädlingen machen. Zaller bezweifelte, dass Pestizidrückstände auf Produkten unterhalb der Grenzwerte liegen würden und harmlos seien.
Auf das Notwendige begrenzen
Er ging auf die „gute fachliche Praxis“ des Pestizideinsatzes ein. Diese sage aus, dass die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß zu begrenzen ist. „Laut Gesetz müssen erst alternative Varianten ausgeschöpft werden.“ Pestizide würden in Landwirtschaft und Gartenbau am meisten eingesetzt. An zweiter Stelle stehe die Bahn für Freihalten des Gleiskörpers von Bewuchs. Weitere Verwender seien Kommunen, Hotelanlagen, Museen und Fluglinien. „Bei Interkontinentalflügen werden die Passagierräume mit Insektenvernichtungsmittel besprüht, damit keine Insekten in das Zielland eingeschleppt werden.“ Gefahren sah er hier vor allem für die Mitarbeiter der Fluggesellschaften, wegen der dauerhaften Exposition.
„Der Einsatz von Pestiziden ist auch in Naturschutzgebieten erlaubt, wenn man gegen neue Arten vorgeht, die heimische Arten zu verdrängen drohen.“ Fünf bis zehn Prozent der Pestizide würden im Privatbereich angewandt. Hier gebe es einen riesigen Produktbereich, „über den wir erschreckend wenig wissen“. In Deutschland seien 595 Produkte für den Haus- und Kleingarten zugelassen, für deren Verwendung es keinen Sachkundenachweis bedarf. Hinzu komme, dass Privatkunden zu viele der Produkte einsetzten, ohne die Gefahren zu kennen. Als Beispiel f wies er auf giftige Inhaltsstoffe von Mückensteckern hin.
Die Mengen der in Deutschland insgesamt eingesetzten Pestizide erschreckte die Zuhörer. Jährlich werden 101 000 Tonnen Pestizide eingesetzt, dies sind 1,2 Kilogramm pro Einwohner. Bei den nicht beruflichen Nutzern seien die Unkrautvernichter dominant. „Die Gärten sind meist nicht so groß, dass man das Unkraut nicht mechanisch entfernen kann“, monierte er.
Mehr Gift auf Flächen
Insgesamt nahm die Fläche mit landwirtschaftlichen Nutzung deutlich ab, die Fläche für biologische Landwirtschaft 1995 bis 2017 deutlich zu. Es sei eine Verbesserung der Wirksamkeit der Mittel erreicht worden. „Dennoch nahm die Menge der verkauften Pestizide um 13 Prozent zu. Das bedeutet, auf die vorhanden Flächen kamen mehr Gifte.“
Die höchste Zahl an Pestiziden werde, laut Bericht des Julius Kühn Instituts von 2018, beim Wein und Apfelanbau verwendet. Beim Apfel seien es rund 32 verschiedene Mittel.
Das besonders in die Kritik geratene Glyphosat werde auf 39 Prozent der Ackerflächen in Deutschland eingesetzt. „Innerhalb der letzten 40 Jahre wurden 17 Mal mehr Pestizide im Gemüsebau von Großbritannien eingesetzt“, so Zaller. Grund seien resistente Schaderreger. Versprühte Pestiziden stiegen durch die Thermik auf und verteilten sich so weltweit. Man finde sie sogar in Hochgebirgen und Gletschern. Nachgewiesen habe man sie in wildwachsenden Beeren, Honig und Trinkwasser. Auch im menschlichen Körper wurden sie gefunden.
Oft heiße es, die festgestellten Mengen seien zu gering, um schädlich zu sein. Diese Meinung teilte der Referent nicht. Er verwies auf Langzeiteffekte, die Kombination mehrere Wirkungen und den hormonellen Einfluss von Pestiziden. Meist würden nur die aktiven Wirkstoffe getestet. Aber auch beigemischte Stoffe könnten eine negative Wirkung erzeugen oder verstärken. Kritik übte er daran, dass die Tests von den Herstellern selbst durchgeführt werden. Er hinterfragte, warum immer wieder Pestizide vom Markt genommen werden, wenn sie doch als am besten getestete Substanzen gelten.
Als Auswirkungen auf die Umwelt nannte Zaller veränderte Nährstoffe beim Wein, Auswirkung auf Frösche, Schädigung von Bienen, Insekten und Bodenlebewesen sowie Kontaminierung von Gewässern und Böden. Durch die Nahrung kämen die Gifte letztlich beim Menschen an.
Hinsichtlich der Grenzwertsetzung in Lebensmitteln erklärte er, diese würden zwar nur geringste Mengen erlauben, allerdings würden sie ständig nach oben gesetzt, um der Landwirtschaft entgegenzukommen. Er zitierte die bayrische Landesanstalt für Lebensmittelsicherheit, die sagte, Grenzwerte seien in erster Linie juristische Grenzwerte, keine toxikologischen. Alternative zu Pestiziden sei das mechanische Entfernen von Unkraut. Wichtig sei die Wahl resistenter Sorten im Obst und Weinbau und der Ausbau der ökologische Landwirtschaft.
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