Die Badische Landesbühne inszenierte „Steppenwolf“ von Hermann Hesse in der Aula Alte Steige.
Wertheim. Warum in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts das Buch „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse weltweit eine Hessomanie“ auslöste, konnten die Zuschauer in der Alten Steige als Theaterstück, in Szene gesetzt von Wolf E. Rahlfs – teils auf provokante, aber sehr überzeugende Weise nachempfinden.
Da der „Steppenwolf“ ab 2019 Abiturthema am Gymnasium sein wird, befanden sich an diesem Abend viele Schüler unter den Zuschauern. Die Theaterversion wirkte wie eine Collage. Aber wie kann man auch anders diese Alter-Ego-Geschichte oder Selbstbiografie des Autors auf die Bühne bringen als in einer bizarren Collage mit faustischem Tiefgang? Ja – es sind Ähnlichkeiten der Schlüsselfigur Harry Haller (Markus Hennes) mit Goethes Faust und dem Leben von Hermann Hesse erkennbar.
Es ist die ewige und leidvolle Suche nach dem Sinn hinter dem Sinn des Lebens, die Todessehnsucht, um endlich vom Rad der Wiedergeburt befreit, ins glückselige Meer des Nichts einzutauchen. Ihm, den Einzelgänger, der in der normalen Gesellschaft mit ihren Konventionen nur aneckt, helfen Menschen, die selbst Außenseiter sind, mit sich – als denkbare Möglichkeit Widersprüche auszuhalten und sich in Einklang zu bringen.
Hermann Hesse hatte in seinem Leben immer wieder Krisen zu bewältigen. So suchte er nach alternativen Lebensformen, beschäftigte sich mit Mystik und den Wegen der Seele. Dafür unternahm er auch eine religiös inspirierte Reise nach Indien.
Zerrissene Persönlichkeit
Zum Stück selbst: Die Hauptfigur Harry Haller leidet an der Zerrissenheit seiner Persönlichkeit: Auf der einen Seite bewundert er die Heroen der bürgerlichen Kultur, schätzt die saubere Gemütlichkeit, die ihm die Mansarde seines biederen Vermieters bietet, hat aber für die Pflichten und Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft nur Verachtung übrig. Da sind die Thesen des „Tractats vom Steppenwolf“ Wasser auf seine Mühlen. Das kleine Büchlein fordert auf zu einem unbedingten und extremen Leben.
Doch auch nach dessen Lektüre wird Harry von Selbstzweifeln geplagt. Er, nun selbst ein einsamer Steppenwolf, flieht durch die nächtlichen Großstadtstraßen, wo er von Hermine (Nadine Pape) aufgelesen wird. Eine Kurtisane, die sich für den kurz vor der Selbstzerstörung stehenden Harry interessiert, mit ihm auf unerklärliche Weise verbunden ist Er wird eingeladen in das magische Theater, wo er vorübergehend seine Persönlichkeit vergisst und seine Seele in eine surreale Bilderwelt zerfällt.
Hermines androgynes Wesen scheint für ihn wie ein weiblicher Avatar seiner selbst zu sein. Sie eröffnet ihm eine neue, dionysische, lustvolle Erfahrungswelt, zunächst mit dem Straßenmädchen Maria (Sina Weiß) und Pablo(Colin Hausberg), den Jazz-Saxofonisten. Seine menschliche, bürgerlich-angepasste Seite und seine steppenwölfische, einsame, sozial- und kulturkritische Seite bekämpfen und blockieren sich gegenseitig. Es ist – wie die gespaltene Persönlichkeit und Sinnsuchers Doktor Faustus – die Bipolarität. Wunderbar erfrischend: Der Auftritt von Goethe (Cornelia Heilmann) als tanzender und singender Irrwisch, der Haller den Trübsinn wegblasen hilft. Fakt ist: Man kann die gegensätzlichen Pole nicht miteinander verbinden, man kann sie nur mit Witz und Humor betrachten und mit herzlichen Lachen überwinden. Hallers künstlerische Entwicklung und sein Weg zur Heilung geschieht über die Versöhnung beider Seiten: Das Lachen über sich selbst und die Akzeptanz, Kultur und Gesellschaft bei aller Kritikwürdigkeit sich ihrer eigenen Wahrheitsfindung zu überlassen. Erst mit der Betrachtung der Wirklichkeit vom Standpunkt des Humors werden Hallers weitere, unbestimmte Schritte auf dem Weg seiner künstlerischen Vollendung möglich.
Das den Zuschauern deutlich zu machen, ist den Akteuren an diesem Abend glänzend gelungen. Es gab entsprechend herzlichen Schlussbeifall.
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