Wertheim. Die Wende kam unerwartet: Am Dienstag informierte der Generalbevollmächtigte im Insolvenzverfahren um die Wertheimer Rotkreuzklinik, Mark Boddenberg, zunächst das Personal der Klinik und dann die Öffentlichkeit über die neuen Pläne für das angeschlagene Klinikum auf dem Reinhardshof (wir berichteten).
Sind Boddenbergs Verhandlungen von Erfolg gekrönt, wird das Krankenhaus in den kommenden Monaten in eine Fachklinik für Amputations-Nachsorge und Schmerztherapie umgewandelt. Damit wäre die Stadt als möglicher Träger eines Krankenhauses der Grund- und Regelversorgung aus dem Rennen.
Eine „echte“ Notfallversorgung soll am Standort erhalten bleiben. Diese beinhalte auch eine Versorgung für Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten, unterstreicht Boddenberg am Mittwoch.
Die Fränkischen Nachrichten haben an verschiedenen Stellen nachgefragt: Wie bewerten Sie die neuesten Entwicklungen um die Zukunft des Krankenhauses?
Birgit Väth, Betriebsratsvorsitzende der Rotkreuzklinik: „Das Interesse an der Betriebsversammlung war sehr groß, da ein Beitrag von Herr Boddenberg auf der Tagesordnung stand. Alle waren sehr gespannt, wie es weitergeht. Die wichtigste Botschaft für uns ist, dass die Klinik nicht geschlossen wird. So richtig freuen können sich allerdings die wenigsten, weil wir auch alle Bürgerinnen und Bürger dieser Region sind. Wir haben von Anfang an nicht nur um unseren Arbeitsplatz gekämpft, sondern auch für die Gesundheitsversorgung der Region. Diese ist jetzt weiter in Gefahr: Denn auch wenn die Notfallversorgung etabliert werden soll, stellt sich die Frage, was das genau sein soll und wer das bezahlt. Wenn ich die Aussagen des OB richtig interpretiere, sollen das Land und Kreis sein. Außerdem fragen sich die Angestellten, je spezifischer ihr Arbeitsfeld hier ist, wo sie sich in der Fachklinik wiederfinden werden. Im Prinzip ist die Stimmung wie damals, als das Insolvenzverfahren eröffnet wurde: Die Spekulationen sind beendet, aber jeder fragt sich, was das für ihn persönlich bedeutet.“
Christoph Schauder, Landrat: „Die Entscheidung des Insolvenzverwalters, ein Angebot einer am Markt etablierten Fachklinik aufzugreifen, ist für mich vollumfänglich nachvollziehbar. Wenn sich daraus eine Lösung mit einem neuen Betreiberkonzept für die Rotkreuzklinik Wertheim abzeichnet, dann freut mich dies von Herzen, sowohl für die engagierten Mitarbeitenden als auch für den Krankenhausstandort Wertheim. Ich wünsche mir, dass der Krankenhausstandort Wertheim mit einem angepassten Versorgungskonzept so dauerhaft leistungsstark aufgestellt werden kann. In diesem Zusammenhang begrüße ich, dass der mögliche neue Betreiber meine Anregung aufgegriffen hat, die Zielsetzung zu verfolgen, am Standort der Rotkreuzklinik weiterhin eine Notfallversorgung zu gewährleisten. Es gilt jetzt die weiteren, notwendigen Verhandlungen zwischen dem Insolvenzverwalter, dem möglichen neuen Betreiber und den Kostenträgern abzuwarten. Die Gesundheitsholding Tauberfranken, deren Mitgesellschafter der Landkreis ist, steht – wie bislang auch – für sinnvolle Kooperationen zur Verfügung und wird dem möglichen neuen Betreiber Gespräche anbieten.“
Oberbürgermeister bezieht Stellung
In einer ausführlichen Stellungnahme auf dem sozialen Netzwerk Facebook informierte Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez am Mittwochnachmittag über die neuesten Entwicklungen zur Rotkreuzklinik.
Er schildert die Ereignisse der vergangenen Wochen: Die Stadt habe Mitte Januar ein schriftliches Übernahmegebot an den Insolvenzverwalter gerichtet. „Eine schriftliche Antwort ist bis zum heutigen Tage jedoch nicht eingegangen“, so Herrera Torrez. Im Dezember habe die Verwaltung zudem Spezialisten damit beauftragt, zu prüfen, ob das reduzierte medizinische Konzept des Insolvenzverwalters tatsächlich funktionieren kann und was der Betrieb die Stadt jährlich kosten würde. Das Ergebnis soll nächste Woche vorliegen.
Für die Entscheidung des Insolvenzverwalters äußerte der OB Verständnis. kabu
Stefan Kempf, Fraktionsvorsitzender BLW: „Diese Lösung ist gut für Wertheim, der Gesundheitsstandort bleibt erhalten – jede andere wäre schlechter gewesen. Nun gilt es daran zu arbeiten, dass es eine Notfallversorgung gibt. Dazu sollten wir all unsere Kräfte mobilisieren, um gemeinsam Richtung Landkreis und Land zu gehen, die nun zunächst den Bedarf feststellen müssen. Gelingt es, eine Notfallversorgung zu etablieren, dann ist die Lösung plötzlich keine gute mehr, sondern eine sehr gute.
Was die Finanzierung zu erwartender Defizite einer Notfallversorgung angeht, sehen wir in erster Linie Land und Landkreis in der Pflicht, aber sicherlich kann man über alles sprechen.“
Patrick Schönig, Fraktionsvorsitzender SPD: „Positiv zu sehen ist, dass es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Möglichkeit gibt, weiter am Standort und in ihrem Beruf zu arbeiten. Der Interessent hat bestätigt, dass über 90 Prozent der Belegschaft in seinem Konzept Beschäftigung finden. Positiv für die Stadt Wertheim ist auch, dass das Risiko hinsichtlich der Zusatzversorgungskasse handhabbar bleibt. Betriebswirtschaftlich ist das für den städtischen Haushalt richtig gut. Aber wir müssen auch die Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung im Auge haben.
Das ist das Entscheidende für die Bewertung der Situation: Wenn wir eine 24/7-Notfallversorgung realisieren können, dann ist es gut. Wenn wir das nicht schaffen, dann ist es kein gutes Angebot. Damit sind nun die in Verantwortung, die es bisher auch schon waren: das Land, das zunächst grünes Licht geben muss, und dann die Kostenträger, die Krankenkassen, der Landkreis. Sie müssen zügig zu einer Entscheidung kommen."
Axel Wältz, Fraktionsvorsitzender CDU: „Uns liegen noch bei weiten nicht alle Informationen vor, um die neue Sachlage abschließend zu bewerten. Offensichtlich hält auch das Sozialministerium ein Haus der Grund- und Regelversorgung in Wertheim für verzichtbar. Wir als CDU sehen das komplett anders. Aus Stuttgart gibt es jedoch unterstützende Signale für die nun wahrscheinliche Lösung. Die angedachte Fachklinik für Amputationsmedizin und Schmerztherapie ist kein Haus der Grund- und Regelversorgung für die Bevölkerung vor Ort. Das bedauern wir sehr und können das grundsätzlich nicht für gutheißen. Umso wichtiger ist nun, dass alles dafür getan wird eine vollumfängliche Notfallversorgung für die Bevölkerung zu erhalten. Wir halten es für notwendig, dass akute Notfälle wie Unfallverletzungen, Herzinfarkte oder Schlaganfälle in einer Notaufnahme in Wertheim behandelt werden können – und zwar jeden Tag und zur jeder Uhrzeit. Der neue Träger will eine Notfallversorgung etablieren. Wie diese genau ausgestaltet wird und wer das Defizit dafür trägt ist nicht geklärt. Eine Notfallversorgung „Light“ kann keine Zentrale Notaufnahme ersetzen."
Medizinisches Versorgungszentrum: Bürgermeister will kämpfen
Schlechte Nachrichten für die hausärztliche Versorgung der Menschen in Wertheim und Kreuzwertheim: Nach der Kündigung der leitenden Ärztin sowie zwei Mitarbeiterinnen hat Generalhandlungsbevollmächtigter Mark Boddenberg das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) in Kreuzwertheim vorübergehend „ruhend gestellt“. Nach dem Weggang von 50 Prozent der Belegschaft sei der Betrieb aktuell nicht mehr möglich, bedauert Boddenberg.
Das MVZ ist Teil der Verhandlungen mit dem möglichen neuen Betreiber der insolventen Wertheimer Rotkreuzklinik. Ziel sei es, das MVZ zu erhalten, so Boddenberg.
Für das Zentrum kämpfen will auch Bürgermeister Klaus Thoma. Er strecke alle Fühler aus, verspricht Thoma. Dabei führe er sowohl Gespräche mit lokalen Medizinern als auch mit anderen möglichen Trägern. „Wir brauchen Ärzte, die vor Ort sind und wenn der Arztsitz einmal weg ist, ist er weg“, unterstreicht er die Bedeutung einer wohnortnahen, hausärtzlichen Versorgung. Besonders bitter sei die Tatsache, dass Kreuzwertheim jahrelang für die Umsetzung des Versorgungszentrums gekämpft hatte, bevor es 2019 eröffnete. kabu
Richard Diehm, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Grüne: „Wir haben uns eine Rekommunalisierung gewünscht, bei der wir weiterhin ein Haus der Grund- und Regelversorgung gehabt hätten und selbst hätten gestalten können. Wir sind aber leider nur Zuschauer gewesen, das Heft des Handelns hatte Herr Boddenberg in der Hand. Jetzt müssen wir sehen, dass wir zumindest eine 24/7-Notfallversorgung gewährleisten können – alles andere wäre der Worst Case. Dabei stehen allerdings noch viele Fragezeichen im Raum. Wenn es hart auf hart kommt, müssen wir auch Gelder für den Ausgleich eines Defizits zur Verfügung stellen."
Johann Vogeltanz, FBW: „Grundsätzlich ist es positiv, dass es eine Lösung gibt. Nun muss noch festgestellt werden, wie die Beteiligung der Kommune und des Landkreises an der Notfallversorgung aussehen muss. Hier könnte noch eine bestimmte Belastung auf die Stadtkasse zukommen. Die Stadt als Träger des Krankenhauses wäre keine ideale Lösung gewesen."
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