Wertheim. Claudia Wieland arbeitet seit 1992 als Archivarin in Bronnbach. Spätestens im März, wenn das Wetter es zulässt, fährt sie die zehn Kilometer von Wertheim zu ihrer Arbeitsstelle mit dem Rad. Weil sie sehr sportlich ist, braucht sie für die Strecke nicht einmal eine halbe Stunde. Bis Oktober fährt Claudia Wieland fast jeden Tag. Auch in ihrer Freizeit ist sie mit dem Rad recht oft rund um ihre Heimatstadt unterwegs. Wieland selbst bezeichnet sich als „Genussfahrerin“. Denn neben der sportlichen Betätigung ist ihr das unmittelbarere Erleben der Natur wichtig. Am Fahrradklima-Test des ADFC hat sie teilgenommen, weil sie durchaus Verbesserungsmöglichkeiten für angenehmeres Radfahren im Alltag rund um Wertheim sieht.
„Und genau das ist der Sinn des Fahrradklima-Tests“, sagt Iris Boxler. Sie ist die offizielle Ansprechpartnerin des ADFC im Main-Tauber-Kreis. Kreis- oder sogar Ortsgruppen des Fahrrad-Clubs gibt es in der Region noch nicht. Dennoch sind derzeit einige Aktive dabei, erste Schritte in diese Richtung zu unternehmen: „Bis wir uns gegründet haben, ist aber noch etwas Arbeit nötig“, sagt Boxler. Sie hofft darauf, dass vom Wertheimer Erfolg (die Aufnahme in die Bestenliste) entsprechende Impulse ausgehen.
Große Freude
Dass Wertheim in der Statistik des Tests erfasst wird, ist für Boxler eine echte Freude. Die Ursache dafür liegt an der Anzahl der Teilnehmer aus der Main-Tauber-Stadt (siehe Infokasten). So haben – genau wie Claudia Wieland – insgesamt 162 Wertheimer im Internet zwischen 1. September und 30. November 2020 den Fragebogen des ADFC zum Fahrradklima-Test ausgefüllt und zusätzlich Beurteilungen in Textform abgegeben.
Um in die Bestenliste aufgenommen zu werden, mussten in der Größenordnung Wertheims mindestens 50 Bürger am Test teilnehmen. Zum Vergleich: in Bad Mergentheim waren es unter zehn, in Tauberbischofsheim noch deutlich weniger. Boxler schreibt die hohe Teilnehmerzahl in Wertheim dem Engagement der Stadt zu. „Diese Unterstützung von offizieller Seite zeigt, dass die Verantwortlichen in der Verwaltung dem Thema Bedeutung beimessen, die über den Main- und Taubertalradweg hinausgeht.“ Sowohl die Bestenlisten als auch die Auswertungen des Fahrradklima-Tests sind im Internet auf der Hamepage des ADFC einsehbar. Die Ergebnisse wurden jetzt bekannt gegeben.
Iris Boxler und Martin Köhler haben inzwischen die Auswertungen an die Stadtverwaltung Wertheim geschickt. Martin Köhler stammt aus Reicholzheim und ist aktives Mitglied im ADFC. Wie Boxler bemüht auch er sich um den zukünftigen Aufbau einer ADFC-Ortgruppe in Wertheim.
„Für die Kommune ist diese unglaubliche Teilnehmeranzahl ein Gewinn. Denn die Auswertung ist für die Verantwortlichen in der Stadt sehr wertvoll. Damit können sie arbeiten“, erklärt Iris Boxler. Noch einmal betont sie, dass es weniger darum gehe, ein touristisches Angebot zu schaffen, sondern eher den Alltags-Rad-Pendlern das Leben zu erleichtern.
Moniert wurden in der Umfrage von den Wertheimern beispielsweise Querungen des Main-Radwegs, zu hohe Bordsteine oder schlechte Beleuchtungen.
Gleiche Kritik äußert auch Claudia Wieland im Gespräch mit den FN. Für sie sei wichtig, schnell von Punkt A nach B zu kommen, ohne große und unübersichtliche Kreuzungen überqueren zu müssen. Martin Köhler fügt als Beispiel die Einmündung des Tauber-Radwegs von der Hämmelsgasse kommend auf die Linke Tauberstraße an. Auch fehlende Verbindungsstücke, wie am Tremhof oder in Dietenhan wurden bemängelt. Aus allen Kritikpunkten wird im Fahrradklima-Test nach einem Wertungsmechanismus für alle Städte, deren Teilnehmerzahl ausreicht, eine Note errechnet. Wertheim landete auf Platz 170 mit einer Note von 3,84. „Dafür, dass die Stadt zum ersten Mal im Ranking aufgeführt wird, ist die Note gar nicht schlecht“, freuen sich Boxler und Köhler. Der Bundesnotendurchschnitt liegt für den Test 2020 bei 3,9. Würzburg beispielsweise hat sich durch immense Anstrengungen auf Note 4,1 verbessert. Auch Marktheidenfeld erhielt am Ende 4,1. Lediglich Buchen liegt etwas besser, bei 4,0.
Ein gutes Instrument
Auch in der Wertheimer Stadtverwaltung schaut man mit Stolz auf das erzielte Ergebnis. Weder die Teilnehmeranzahl noch die Note lassen bei einer erstmaligen Platzierung Kritik aufkommen. Im Gegenteil. Die Ergebnisse aus dem Fahrradklima-Test ergänzen nun die Bestands- und Mängelanalyse des Ingenieurbüros Brilon Bondzio Weiser. Diese wurde vom Büro als Ergebnis der im Jahr 2020 durch die Stadt in Auftrag gegebenen Radverkehrsuntersuchung erstellt. „Die Analyse wurde im Gemeinderat Ende Juni öffentlich vorgestellt. Der Gemeinderat hat dann die Verwaltung beauftragt, auf Grundlage der Untersuchung sowie weiterer Anregungen auch aus der Bürgerschaft einen Maßnahmenkatalog zur Verbesserung des Alltags-Radverkehrs zu erarbeiten“, erinnert Pressesprecherin Angela Steffan an das Prozedere.
Für die Verwaltung sei der Fahrradklima-Test ein gutes Instrument, um nach den Fachleuten nun auch Bürger zu Wort kommen lassen. „Deshalb hatte die Stadt Wertheim über verschiedene Veröffentlichungen, auch durch einen Aufruf von Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez, für die Beteiligung am Fahrradklima-Test geworben. Der Blick der Verkehrsexperten auf das bestehende Radwegenetz wurde so um die praktischen Erfahrungen der Bürgerinnen und Bürger ergänzt“, heißt es in einer Mitteilung.
Die Ergebnisse des Fahrradklima-Tests fließen nun laut Steffan in den Maßnahmenkatalog zur Verbesserung des Radverkehrs ein, mit dem sich die kommunalen Gremien voraussichtlich noch vor der Sommerpause befassen werden. Der Gemeinderat soll dann entscheiden, welche Verbesserungen mit welcher Priorität angegangen werden.
Mit diesem Schritt ist das Ziel des Tests für Wertheim auf alle Fälle erfüllt: Dass die Politik die Belange ernst nimmt. Und vielleicht kann Wertheim ja beim nächsten Fahrradklima-Test 2022 ein paar Plätze gut machen.
Der Fahrradklima-Test und die Ergebnisse der Umfrage im Jahr 2020
- Der Fahrradklima-Test wurde vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) erstmals 1988 durchgeführt, damals noch als Leserumfrage. Inzwischen finden die Test alle zwei Jahre statt.
- Daran teilnehmen kann jeder. Radfahrende beurteilen anhand eines Fragebogens, wie sich das Radfahren in ihrer Stadt oder Gemeinde anfühlt, ob es Spaß macht oder Stress verursacht und ob die Verwaltung ihre Belange ernst nimmt.
- Der Fragebogen wird entweder online ausgefüllt oder als Papierformular an die ADFC-Zentrale geschickt.
- Ziel des Fahrradklima-Tests ist es, „lebensnahe Rückmeldungen direkt von der Basis“ zu erhalten. Die Ergebnisse der Umfrage haben sich in den vergangenen Jahren als wissenschaftliche Entscheidungsgrundlage für Politik, Städteplanung und Verwaltung bewährt.
- Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten und im Ranking berücksichtigt zu werden, muss je nach Einwohnerzahl eines Ortes ein bestimmter Teilnehmer-Schwellenwert erreicht werden. In Städten mit einer Größe bis 100 000 Einwohner müssen sich mindestens 50 Bürger an der Umfrage beteiligen.
- Am Fahrradklima-Test 2020 nahmen deutschlandweit über 230 000 Menschen an der Umfrage teil. 1024 Städte kamen in die Wertung.
- Inzwischen stehen die Gewinner für 2020 fest. Laut ADFC behauptet Karlsruhe (Note 3,1) seinen ersten Platz vor Münster (3,2) und Freiburg (3,4). Wiesbaden ist zum zweiten Mal Top-Aufsteiger. Berlin bekommt einen Sonderpreis für Verbesserungen seit der Corona-Pandemie.
- Der bundesweite Notendurchschnitt liegt bei 3,9.
- Häufigste Kritik: 80 Prozent der Befragten finden die Radwege zu schmal. Für 75 Prozent sind mangelnde Falschparker-Kontrollen auf Radwegen ein Problem. 69 Prozent fühlen sich beim Radfahren nicht sicher.
- In Wertheim nahmen 162 Bürger am Fahrradklima-Test teil. In der Ortsgrößenklasse 20 000 bis 50 000 Einwohner belegte die Große Kreisstadt den 170. Platz mit einer Note von 3,84. Ihre beste Note (2,6) erhielt sie in der Rubrik „Fahrraddiebstahl“, gefolgt von „Spaß oder Streß“ (2,8). Die schlechteste Bewertung (4,8) gab es in der Rubrik „öffentliche Fahrräder“ (4,8), unmittelbar nach „Fahren im Mischverkehr mit Kfz“ (4,7) in Wertheim.
- Platz Eins in der gleichen Größenordnung hat Baunatal (Kreis Kassel) inne, mit einer Note von 2,39. Den letzten Platz (415) in der Größenordnung belegt Kulmbach mit der Note 4,72.
- Mehr Informationen unter: www.adfc.de und https://fahrradklima-test.adfc.de im Internet. hei
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