Mit der Eröffnung der Ausstellung am Donnerstagabend präsentieren kunstbegeisterte Frauen ihre Werke, die unter Anleitung der Wertheimer Malerin Isolde Broedermann entstanden sind.
Wertheim. Christian Schlager eröffnete die Vernissage stellvertretend für Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez, der zeitgleich in einer Gemeinderatssitzung für „Ordnung und Struktur“ sorgen müsse, wie der Innenstadtmanager und Kunstbeauftragte der Stadt Wertheim berichtete. „Wir freuen uns sehr, dass unsere nüchternen Wände hier im Rathaus wieder für Wochen mit Kunst verschönt werden“. Die Vorsitzende des Frauenvereins, Heide Fahrenkrog-Keller, versprach: „Wir werden uns heute hier ein bisschen auslassen“.
Eine Tochter der Freiheit
Ausgelassen und unkonventionell waren auch die „Bauhausfrauen“, die an der Weimar Kunsthochschule studierten. Sie hatten genug von spießiger Bürgerlichkeit und der Prüderie des Kaiserreichs. „Es waren ihrer zu viele – nicht nur für den Geschmack von Bauhausdirektor Walter Gropius. Auch etliche Ausbilder, waren dieser Ansicht“, beginnt Isolde Broedermann ihren Vortrag. Am Staatlichen Bauhaus, das 1919 als Kunstschule gegründet wurde, seien erstmals auch Frauen zum Studium zugelassen gewesen.
„Keine Unterschiede zwischen dem schönen und dem starken Geschlecht. Absolute Gleichberechtigung“, habe Gropius vollmundig bei der Eröffnung verkündet.
Groß sei der Andrang der weiblichen Studenten gewesen. Nachdem sich für das erste Semester 84 weibliche und 79 männliche Studierende am Bauhaus eingeschrieben hatten, hätten die Männer „kalte Füße bekommen“.
Nicht aufzuhalten
„Die Meister fürchteten, dass die weiblichen Studenten den männlichen die wertvollen Werkstattplätze wegnehmen könnten“, berichtet Isolde Broedermann. Die begabten, mutigen Bauhausfrauen seien nicht aufzuhalten gewesen. Ob in klassischen Männerdomänen wie der Wandmalerei, ob in der Weberei, als Holzdesignerin, oder Fotografin – die Frauen gehörten zu den erfolgreichsten Studenten.
Marcel Breuer, Wassily Kandinsky oder Paul Klee: berühmte Namen, die mit dem Bauhaus verbunden sind. Zu Unrecht seien dagegen die Bauhaus-Frauen in Vergessenheit geraten. Auf zwei weitere wichtige Daten weist Isolde Broedermann hin: 1918 die Gründung der Weimarer Republik und im gleichen Jahr die Einführung des Wahlrechts für Frauen.
Politische und gesellschaftliche Ereignisse werfen ihre Schatten voraus und spiegeln sich in der Kunst wider. „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“, sagte einst Friedrich von Schiller.
„Konkrete Kunst“
„Wir sehen die Zeit der reinen Malerei voraus. Denn nichts ist konkreter, wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche“: Theo van Doesburg unterrichtete am Bauhaus und gilt als Mitbegründer der abstrakten Malerei. Von ihm stammt der Begriff „Konkrete Kunst“, der auf mathematisch-geometrischen Grundlagen beruht. Intensiv haben sich die kreativen Frauen des Frauenvereins mit dieser Kunstrichtung auseinandergesetzt. Die ausgestellten Exponate zeigen, welche Möglichkeiten in geometrischen Formen stecken. Quadrat ist nicht einfach Quadrat, der Kreis nicht einfach rund.
Durch Farben und verschiedene Materialen bekommen die Formen Struktur und Tiefe. Ob Collagen aus Papier in Pink- und Blautönen von Birgit Betzold-Keller oder ein „Sonnenuntergang“ in Orange- und Rottönen, gebannt auf Karton von Anne Grosse – in ihrer Ausgewogenheit strahlen sie schlichte Ruhe und vollkommene Harmonie aus. Pfiffig nutzt Elke Seifert die „Schwarz-Weiß-Grafik“ des Zebras und macht Kunst daraus.
„Federleicht“ nennt Tanja Lemmen ihre anmutigen Kunstwerke aus verschiedenen Vogelfedern. Struktur ins eigene „Ich“ bringt Cornelia Sachs mit einer Kreation aus Spiegelglas unter dem Titel „DU in Struktur“. Und dies ist nur ein kleiner Auszug aus der Vielzahl der Werke, die so vielseitig sind wie die Künstlerinnen. „Das Thema wurde von unserer Mentorin und Kursleiterin, Isolde Broedermann, vorgegeben. Sie hat uns künstlerisch beraten und betreut“, berichtet Heide Fahrenkrog-Keller. Kunst bedeute Freiheit. „In der Wahl der Materialen und der Gestaltung waren wir frei“. Denn in der Kunst gebe es kein „normal“ oder „unnormal“. Kunst sei einfach wie sie ist – mal zart und leise, mal laut und wild.
Begeisterung und Begabung
„Mit ins Boot geholt“ wurden Schülerinnen des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums unter der Leitung ihrer engagierten Kunstlehrerin Meike Saalmüller. Mit leuchtenden Augen spricht sie über Kunst. Dieselbe Freude und Begeisterung drücken die Werke der acht Schülerinnen der Jahrgangsstufe zwei des Neigungskurses „Kunst“ aus. Nicht ohne Stolz erzählt Meike Saalmüller: „Alle sind äußerst begabt und streben ein Kunststudium an.“ Veronika Nahm beispielsweise lenkt mit ihren Fotos den Blick auf die Geometrie des Alltags, die so selbstverständlich ist, dass sie oft nicht wahrgenommen wird. Acrylfarbe auf Papier: Janna Fuchs zeichnet eindrucksvoll die „Struktur der Jugend“.
Auf zwei Stockwerke verteilt konnten sich die zahlreichen Besucher zum einen ein Bild machen über das, was „Konkrete Kunst“ bedeutet. Zum anderen aber auch, über die beachtlichen Leistungen der Künstlerinnen. „Mit Stefan Rippler haben wir getreulich dem Motto des Bauhauses ‚Absolute Gleichberechtigung’ einen Mann mit aufgenommen“, berichtet die Vorsitzende. Noch bis Mitte Januar können Besucher die Ausstellung während der Öffnungszeiten des Rathauses bewundern. „Natürlich können die Exponate auch käuflich erworben werden“, versichert Heide Fahrenkrog-Keller. Sie beteuert: „Malen ist für mich Hobby und weit mehr. Das Auseinandersetzen mit einem Thema bedeutet auch, sich mit dem eigenen Ich zu befassen. Sowohl das eine als auch das andere ist nicht ganz leicht. Malen heißt immer auch, sich auf den Weg machen zu sich selbst. Das tut der Seele gut.“ Nicht umsonst trägt die Ausstellung den Titel: „Ordnung und Struktur“.
Zu „Ordnung und Struktur“
Ausstellende Künstler zum Thema „Ordnung und Struktur“: Birgit Betzold-Keller, Isolde Broedermann, Heide Fahrenkrog-Keller, Anne Grosse, Birgit Hiske, Tanja Lemmen, Meike Saalmüller, Cornelia Sachs, Nora Sachs, Elke Seifert, Marliese Teike, Stefan Rippler, Schülerinnen des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums Wertheim.
Wer sich für eines der Exponate interessiert erhält Auskunft und Information über die Vorsitzende des Frauenvereins Wertheim, Heide Fahrenkrog-Keller, unter Telefon 09342/912012 oder über den Verein unter Telefon 09342/301555 oder per Mail an frauenverein@kellerland.de. rehe
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/wertheim_artikel,-wertheim-ordnung-und-struktur-im-rathaus-_arid,1538141.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/wertheim.html