FN-Interview

Musik, die Mut macht und andächtig klingt

Giora Feidman sprach im Vorfeld seines Konzerts am Mittwoch, 16. Oktober, in Wertheim mit unserer Zeitung

Von 
Jens-Eberhard Jahn
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Giora Feidman gastiert unter dem Titel „Revolution of Love“ in Wertheim. © Mehran Montazer

Wertheim. Der weltbekannte 88-jährige Klarinettist Giora Feidman möchte am Mittwoch, 16. Oktober, in der Wertheimer Aula „Alte Steige“ mit alten Klezmer-Melodien und neuen Kompositionen seines Freundes Majid Montazer die „Revolution of Love“ einläuten.

Feidman ist Jude, Montazer stammt aus dem Iran. „Wir feiern Schabbat, Ramadan und Weihnachten zusammen“, sagen sie und freuen sich, seit fünf Jahren gemeinsam ihre Friedensbotschaften musikalisch zum Klingen zu bringen.

Seit 40 Jahren in Deutschland unterwegs

Vor 40 Jahren führte der deutsch-britische Regisseur Peter Zadek in Berlin ein Stück über den Überlebenskampf von Jüdinnen und Juden im Wilnaer Ghetto während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg auf: Joshua Sobols „Ghetto“. Auf der Bühne standen Esther Ofarim, Hannes Jaenicke, Ulrich Tukur und viele andere. Zadek suchte noch einen jüdischen Musiker und fand in New York den Klarinettisten Giora Feidman. So wurde der 1936 in Buenos Aires geborene „King of Klezmer“ in Deutschland populär.

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DIG-VorsitzendePalestineZaytounadpa/imo/fk/seko
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Klezmer ist die himmelhoch jauchzend zu Tode betrübte Musik des in den Gaskammern der Vernichtungslager ermordeten osteuropäischen Judentums. Zadeks Vorfahren waren Musiker und stammen aus Bessarabien, heute Moldawien und Ukraine.

Als junger Mann spielte er in einem der renommiertesten Orchester Südamerikas und wanderte mit 21 Jahren nach Israel aus. 18 Jahre lang spielte er als Bassklarinettist im Israel Philharmonic Orchestra unter großen Dirigenten wie Leonhard Bernstein und Zubin Mehta. In den 1970er Jahren begann er seine Laufbahn als Klezmer-Klarinettist, zog nach New York, erarbeitete sich seinen unverwechselbaren leidenschaftlichen und erdverbundenen Klang und gelangte spätestens mit der Filmmusik zu Spielbergs „Schindlers Liste“ zu Weltruhm. Damit holte er auch den Klezmer aus seiner provinziellen „Shtetel-Schmuddelecke“.

Doch Feidman möchte ganz bewusst nicht nur auf großen Bühnen stehen. „Ich möchte Kontakt zu einem Publikum außerhalb der Metropolen“, erklärt er den Fränkischen Nachrichten. Sein aktuelles Album und Programm tragen den Titel „Revolution of Love“. Feidman führt aus: „Ich bin überzeugt, dass Liebe und Musik als kraftvolle Mittel des friedlichen Protests unsere Gesellschaft vereinen und in eine positive Richtung lenken können“. Gerade in einer Zeit, in der populistische Tendenzen und Nationalismus weltweit an Aufschwung gewönnen, sehe er sich als Künstler verpflichtet, die Bedeutung von Offenheit, Solidarität und kulturellem Austausch zu verteidigen.

Begleitet wird er am Mittwochabend von „Klezmer Virtuos“, bestehend aus dem litauischen Pianisten Vytis Akuras, der in Südhessen lebt und arbeitet, sowie der 1997 in Liechtenstein geborenen Sara Domjanic, die zurzeit Konzertmeisterin bei den Düsseldorfer Symphonikern ist. Dort spielte auch Bar Zemach, der nun bei „Klezmer Virtuos“ ins Horn stößt.

Der junge Berliner mit israelischem Pass ist ebenfalls Mitglied des vor 25 Jahren vom weltberühmten Dirigenten Daniel Barenboim gegründeten „West-Eastern Divan Orchestra“, in dem israelische und arabische Künstlerinnen und Künstler gemeinsam die verbindende Sprache der Musik erklingen lassen. Der Name des Orchesters ist Goethes Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ entlehnt.

Zu diesem Werk ließ sich der Weimarer Meister vom persischen Poeten Hafis inspirieren. Ähnlich lässt sich Maestro Giora Feidman durch die Weltmusik-Kompositionen des gebürtigen Iraners Montazer zu Klängen befeuern, die den Klezmer wohltuend ergänzen.

„Revolution of Love“ ist das zweite gemeinsame Album von Feidman und Montazer. Derzeit arbeiten sie nach eigenen Angaben an ihrem dritten, das zum 90. Geburtstag des Altmeisters erscheinen soll. Der „Jüdischen Allgemeinen“ gegenüber hatte Feidman Anfang des Jahres verraten, wo dann die Tournee stattfinden soll: in Israel.

Seit September mit deutschem Pass

Die aktuelle Tour führt durch Deutschland. Vor wenigen Wochen hat Feidman sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, neben seinem argentinischen und US-amerikanischen Pass. Der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes möchte damit ein Zeichen setzen für jüdisches Leben in Deutschland.

Ihm geht es um Völkerverständigung. Nach Deutschland gekommen war er 1984 wegen eines Theaterstückes über Völkermord. Auf dem Grabstein des vor 15 Jahren verstorbenen Regisseurs Peter Zadek steht: „Ich träume von einem Theater, das Mut macht.“

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