Medizinische Versorgung

Krankenhaus Wertheim: Das Ende des Boykotts?

Konzentration auf Fachbereiche, weniger Betten, externe Partner. Dieses Konzept soll das Wertheimer Krankenhaus aus der Krise führen. Langfristig retten kann die Klinik jedoch nur die Akzeptanz der Bevölkerung.

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Katharina Buchholz
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Die Zeichnung auf dem Flip-Chart erinnert an abstrakte Kunst: Generalhandlungsbevollmächtigter Mark Boddenberg erklärt, wie ein Schutzschirmverfahren funktioniert. © Susanne Marinelli

Wertheim. Ein Treffen mit den niedergelassenen Ärzten der Stadt am Mittwochabend, eine Betriebsversammlung im Krankenhaus am Donnerstag und am späten Nachmittag des gleichen Tages eine Veranstaltung mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Florian Wahl vor Wertheimer Publikum: Die Terminpläne des Generalhandlungsbevollmächtigten Mark Boddenberg und des Krankenhaus-Beraters Christian Höftberger sind dieser Tage voll.

Ihre Mission: Das Krankenhaus auf dem Reinhardshof retten und in eine erfolgreiche Zukunft führen. Neben schlüssigen Konzepten und vielen Gesprächen mit potenziellen Trägern und Geldgebern braucht es dazu eine gute Portion Optimismus. Diesen strahlt Boddenberg, der seit 20 Jahren Krankenhäuser durch Insolvenzen begleitet, aus. Er glaube fest daran, dass die Klinik nicht geschlossen werden muss, betont er.

Dass der Insolvenzverwalter auch andere von jenem Glauben an die Wertheimer Klinik überzeugen kann, bewies Boddenberg bei der Informations- und Diskussions-Veranstaltung im Haus der Begegnung auf dem Wartberg. Etwa die Hälfte der rund 70 Zuhörer – unter ihnen Angestellte des Krankenhauses, Gemeinderäte und Kommunalpolitiker – hatten zu Beginn der Veranstaltung die Hand gehoben auf die Frage von SPD-Kreisvorsitzenden Thomas Kraft, ob sie sich Sorgen um die Zukunft des Wertheimer Krankenhauses machen. Nach fast zwei Stunden geballter Informationsflut zeigten die meisten von ihnen auf, dass sie optimistischer in die Zukunft des Krankenhauses blicken würden.

Wie stellt sich die Situation an der Rotkreuzklinik dar?

Das Wertheimer Krankenhaus schreibt tiefrote Zahlen: Für dieses Jahr werde das Defizit bei sechs Millionen Euro liegen, sagte Boddenberg. Für das nächste Jahr rechnet Berater Christian Höftberger aufgrund verschiedener Ursachen, wie etwa der Entwicklung der Lohnkosten bei nur leicht steigender staatlichen Förderung, mit einem deutlich höheren Verlust.

Höftberger ist Boddenbergs Mann fürs Operative: Der Österreicher bringt in die Sanierung sein langjähriges Wissen im Gesundheitsbereich ein, das er unter anderem als Vorstandsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG erworben hat. Höftberger ist zudem amtierender Präsident der Hessischen Krankenhausgesellschaft.

Attraktiv für neue Träger macht die Klinik ihr „flammneues“ Gebäude und die „erstklassige Ausstattung“. Ein Haus ohne Sanierungsstau, das gebe es in seiner Welt sonst nicht, betonte Boddenberg.

Eine wichtige Ressource ist zudem das vorhandene, angestellte Personal: „Ich wurde bei der Personalversammlung gefragt, ob Leute entlassen werden. Meine Antwort war: ,Nein’“, sagt der Insolvenzverwalter. Allerdings sei es möglich, dass Arbeitskräfte künftig an anderer Stelle eingesetzt werden. Sparen wird jedoch die Klinik beim „zugekauften“ Fremdpersonal: Die über Zeitarbeitsfirmen zum Ausgleich von Personalmangel eingestellten Fachkräfte kosten der Klinik das 2,5-Fache bei gleicher Arbeit.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Florian Wahl, (Zweiter von rechts) sprach über die Situation der Krankenhäuser im Land und wie die geplante Reform wirken soll. Im Plenum der SPD-Veranstaltung saßen zudem Mark Boddenberg und Christian Höftberger (von links), die derzeit nach Lösungen für das Wertheimer Krankenhaus suchen sowie der Vorsitzende des SPD-Kreisverbands Main-Tauber, Thomas Kraft (rechts). © Katharina Buchholz

Wie geht der Insolvenzverwalter vor?

„Unsere Aufgabe ist es in den kommenden Wochen, ein neues Konstrukt zu bilden und eine neue Trägerschaft zu finden. Wenn mir das nicht gelingt, wird ihr Krankenhaus schließen müssen“, verdeutlichte Boddenberg die ernste Lage. Das Vorgehen richte sich dabei nach den starren Vorgaben des Gesetzes.

Bis zum 1. Dezember befindet sich das Krankenhaus in der Antragsphase des Schutzschirmverfahrens. Während dieser Zeit fallen dem Arbeitgeber keine Lohn- und Gehaltskosten an, da das Insolvenzgeld vom Staat bezahlt wird. „Das sind 2,2 Millionen Euro, die jeden Monat in mein Säckel wandern“, schilderte Boddenberg. Das Krankenhaus bekomme so die Möglichkeit, seine „Sanierungskasse“ zu füllen. Gleichzeitig entwickeln Boddenberg und Höftberger mit ihrem Team tragfähige Visionen für die Zukunft der Klinik.

Diese sind die Voraussetzung dafür, dass das Insolvenzverfahren in die zweite Phase gehen kann, in der ein neuer Träger gesucht wird. „Im Februar oder März sollten wir etwas Handfestes haben, ansonsten wird das nicht funktionieren“, gab Boddenberg Einblick in seine Zeitplanung. Der neue Träger übernimmt das neu gebildete Unternehmenskonstrukt, in das die Vermögenswerte der Klinik (Immobilie, Personal, Anlage- und Umlaufvermögen) übertragen werden. Die Verbindlichkeiten bleiben in der alten gGmbH.

„Wir werden das Haus durchsanieren. Wir werden es optimieren. Aber es wird weiter Geld kosten“, sagte der Insolvenzverwalter. Das Geld, das über die Neuregelung der Vergütung über die Reform zu erwarten sei, werde frühestens in drei Jahren in Wertheim ankommen. „Diese Lücke muss geschlossen werden und darüber müssen wir reden.“ Es brauche jetzt mutige Entscheidungen. Denn wenn das Haus einmal geschlossen sei, gebe es kein Zurück mehr.

Welches Konzept soll das Krankenhaus aus der Krise führen?

Das Konzept der Sanierer sieht im wesentlichen zwei Teile vor: Das Wertheimer Krankenhaus sei mit 168 Betten zu groß. Aktuell seien etwa 100 Betten ausgelastet, ein ganzes Stockwerk stehe leer, veranschaulichte Höftberger. Deshalb planen die Sanierer, die Kapazität an den tatsächlichen Bedarf anzupassen und freie Flächen zu vermieten. „Wir wollen uns mit etwa 100 Betten auf das konzentrieren, was wir können: Innere und Chirurgie“, erklärte Höftberger weiter. Aus Gründen des Personalmangels hat die Geburtshilfe keine Zukunft in Wertheim. „Diese pausiere seit zwei Jahren. Das ist unehrlich – die ist zu“, stellte Höftberger klar.

Freie Flächen sollen künftig von externen Anbietern mit ambulanten, rehabilitativen und digitalen Angeboten – etwa Kurzzeitpflege oder Schlaganfallnachbetreuung – genutzt werden. „Wir sprechen aktuell mit vielen Kooperationspartnern und ich bin zuversichtlich, dass diese von uns große Mengen an Flächen und Mitarbeiter übernehmen werden.“

Die Belegschaft scheint vom neuen Konzept angetan. Während der Mitarbeiterversammlung „haben wir nachhaltigen Rückhalt gespürt“, beschrieb Höftberger die Reaktionen der Angestellten auf das Konzept, das ihnen ebenfalls am Donnerstag vorgestellt wurde. Auf ebenso starken Rückhalt seien sie beim Gespräch mit den niedergelassenen Ärzten gestoßen. „Allein aus diesem Gespräch habe ich drei Visitenkarten und zwei konkrete Mietinteressenten.“

Unterstützung braucht das Krankenhaus jedoch auch aus der Bevölkerung, betonten Boddenberg und Höftberger unisono. „Bitte kommen Sie und vertrauen sie uns. Wir brauchen eine Auslastung in diesem Haus. Denn das ist unser ganz, ganz großes Problem“, unterstrich Höftberger. Zum Umdenken forderte auch OP-Schwester Simone Brick in einem emotionalen Statement auf: „Was wird am Stammtisch Sonntagfrüh besprochen? Die negative Erfahrung in der Rotkreuzklinik. Nicht das Positive, das jeder als selbstverständlich voraussetzt. Helfen Sie uns, den Ruf wieder aufzubauen.“

Bis das Vertrauen der Bevölkerung in das Krankenhaus wieder hergestellt sei werde es dauern, weiß Boddenberg: „Das ist keine Sache von sechs bis acht Monaten und keine von zwölf Monaten. Das wird wachsen, Zeit brauchen und Geld kosten.“

Welche Rolle kommt dem bisherigen Träger zu?

„Die Schwesternschaft ist weg“, dieser Einstieg habe ihm beim Treffen mit den niedergelassenen Ärzten Szenenapplaus beschert, berichtete Boddenberg. Das Verhältnis der Ärzte zum Krankenhaus sei geprägt gewesen von Misstrauen. „Wir hatten das Gefühl, dass die niedergelassenen Ärzte uns nicht nur umschiffen, sondern boykottieren“, sagte Betriebsratsvorsitzende Birgit Väth. Das Verhältnis zwischen dem bisherigen Träger, der das Krankenhaus vor 15 Jahren aus den Händen der Stadt übernahm, und den Akteuren in Wertheim ist zerrüttet.

Zur Sorge um das Krankenhaus sei in ihm in den vergangenen Tagen zunehmend Ärger aufgestiegen, beschreibt Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez seine Gefühlslage. „Das Krankenhaus ist sehr gut gewesen, bevor die Stadt es aus verschiedenen Gründen in andere Trägerschaft übergeben hat. Und das hat offensichtlich nicht funktioniert“, so Herrera Torrez. SPD-Gemeinderat Patrick Schönig sprach von einem „absolut vergiftetem Verhältnis zur Schwesternschaft“, in dem in den letzten Jahren keine Kommunikation mehr stattgefunden habe. Ähnliche Intransparenz beschrieb Birgit Väth. Beispielsweise wurde der Betriebsrat nicht über die bevorstehende Insolvenz informiert.

„Mit der Schwesternschaft hat das Krankenhaus keine Zukunft“, konstatierte Boddenberg. Die theoretische Option, dass diese die Klinik nach Abschluss des Insolvenzverfahrens zurückerhält, sei bereits nach wenigen Tage seiner Tätigkeit in Wertheim vom Tisch gewesen.

Wird die Stadt Wertheim neuer Träger der Klinik?

„Die Stadt ist für die Belegschaft der große Hoffnungsträger“, beschrieb Birgit Väth an den Oberbürgermeister gewandt. Dieser bremste die Erwartungen, dass die Stadt etwa in ihre Position von vor 15 Jahren zurückkehren könnte. Dazu fehle es der Stadt an Know How und an finanziellen Mitteln. „ Die Stadt wird diese Aufgabe nicht allein lösen. Es braucht einen Träger, der das professionell gestaltet, und es braucht diejenigen, die Geld geben“, sagte Herrera Torrez.

Diese Akteure zu finden, könne eine Aufgabe der Stadt sein. Er habe sich deshalb an die verschiedenen Stellen im Landkreis, Land und Bund gewandt und um Unterstützung gebeten.

Gegen 18.15 Uhr verabschiedete Thomas Kraft seine Gäste an diesem Abend. Für ihn und den Landtagsabgeordneten Florian Wahl ging es weiter zu einer Diskussionsveranstaltung nach Tauberbischofsheim. Auch Mark Boddenberg und Christian Höftberger hatten noch keinen Feierabend. In ihrer Mission, das Wertheimer Krankenhaus zu retten, waren sie zum Thema Notfallversorgung verabredet.

Am Freitag folgte dann eine Unterredung mit den Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Wertheim

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