Wertheim. Traditionell gibt es bei Gabriele Schneider, Inhaberin des Geschäfts „La femme – Second Hand für Damen“ zur Zeit des Münchner Oktoberfest und der Messen in der Umgebung die „Dirndl-Wochen“. Denn das Kleidungsstück ist keineswegs aus der Mode gekommen, sondern findet reißenden Absatz – bei jungen und älteren Menschen genauso wie bei amerikanischen Schiffstouristen. Dabei ist es gar nicht Teil der Wertheimer Tracht, wie Volkskundlerin Ursula Wehner vom Grafschaftsmuseum erklärt. Denn das protestantische Wertheim konnte mit den leuchtenden Farben aus dem katholisch geprägten Oberbayern zunächst so gar nichts anfangen.
Heute ist das anders: Die diversen Messen laden zum Kauf eines Dirndls ein, wie Schneider weiß. Es gibt außerdem immer mehr andere Veranstaltungen, zum Beispiel Eheschließungen, die unter dem Motto „Dirndl-Hochzeit“ gefeiert würden. Und in manchen Landgasthöfen sei das Tragen von traditioneller Tracht für die Angestellten sogar Pflicht. Zusätzlich inspiriert das medial präsente Oktoberfest, das inzwischen an vielen Orten in Deutschland und der Welt nachgefeiert wird.
Foto im Dirndl kommt bei Touristen gut an
Beispielsweise in den USA. Immer wieder kämen Schiffstouristen bei ihrem eher versteckt gelegenen Geschäft vorbei, dass sie seit 23 Jahren in der Nebenmaingasse betreibt. Anziehungspunkt sei dabei die mit einem Dirndl gekleidete Anziehpuppe ohne Kopf, durch die man selbst Fotos von sich im Dirndl machen kann. „Darin sind sie ganz vernarrt“, freut sich Gabi Schneider über den Erfolg. Gerne schauen die Amerikaner dann noch die anderen Kleider an, probieren und kaufen letztendlich. Und sie erzählen, dass auch in den Vereinigten Staaten Feste gefeiert würden, die das Münchner Traditionsfest zum Vorbild hätten.
Das Tauschgeschäft mit dem Dirndl
Doch auch die Wertheimer kommen und kaufen oder verkaufen ihre Dirndl. Zum Beispiel, weil sich die Kleidergröße geändert hat oder sie etwas Neues wollen. „Manche Dirndl habe ich schon vier bis fünf Mal verkauft“, berichtet Schneider. Einige Frauen würden das Kleid ein bis zwei Saisons tragen und dann gegen ein anderes tauschen. Das Geschäft läuft: „So wie die Dirndl reinkommen, so gehen sie wieder raus“, berichtet die Geschäftsinhaberin vom Umsatz. Tatsächlich rufe sie zum Start ihrer Dirndl-Wochen aktiv Kundinnen an, ob sie nicht noch ein Dirndl im Schrank haben, das sie verkaufen wollen. Die gesamte Ware im Laden ist Kommissionsware, das heißt, die Kundinnen, die etwas bringen, bekommen beim Verkauf Geld dafür und beim Nicht-Verkauf das Kleidungsstück zurück.
Hochwertige Dirndl nicht ganz einfach zu bekommen
Generell sei es für Interessierte nicht ganz einfach, hochwertige, originelle Dirndl zu bekommen. Die nächsten Fachgeschäfte für Neuware befinden sich in Würzburg und Aschaffenburg. Dann gebe es inzwischen auch saisonale Angebote bei Modeketten und sogar in Supermärkten. „Aber diese Kleider sind meistens aus Polyester und nicht gut gearbeitet“, weiß die Textil-Expertin. Was macht für sie ein gutes Dirndl aus? „Es sollte aus Baumwolle sein und originelle Applikationen haben. Eine Schürze gehört zwingend dazu.“ Besonders gefallen ihr Kleider mit schön verarbeiteter Spitze, Kette und eventuell Samtband. „Es braucht die Liebe zum Detail. Das Kleidungsstück sollte nicht 0815 sein.“
Gabi Schneider hat auch schon sehr spezielle Stücke angeboten bekommen, beispielsweise das Dirndl einer ehemaligen Weinprinzessin oder ein Original aus den Siebziger Jahren oder ein Dirndl, bei dem man die Schürze vorne und hinten tragen konnte. Generell gibt es Dirndl in allen Rocklängen, so dass für jede Trägerin das Passende dabei ist.
Dirndl sind „einfach etwas Besonderes“
Doch wie erklärt sich Gabi Schneider, dass gerade junge Leute, die sonst Traditionellem oft skeptisch gegenüber stehen, so interessiert an der traditionellen Kleidung sind? „Es ist einfach etwas Besonderes. Wenn man hinein schlüpft, die Korsage spürt, dann empfindet man Freude. Außerdem entsteht ein Dazugehörigkeitsgefühl.“ Dagegen sei die in früheren Jahrzehnten beliebte Landhausmode eher out. Es gebe aber auch Frauen, die klar erklärten, kein Dirndl tragen zu wollen und sich statt dessen für Lederhose und Trachtenbluse entscheiden. Auch Trachtenschuhe hat Schneider schon verkauft.
Viele der Kleidungsstücke die Schneider verkauft, haben eine Geschichte und die Anbieterinnen erzählen so manche Anekdote, beispielsweise von einem Dirndl, das schon auf dem Oktoberfest war. Deshalb liebt Schneider ihre Arbeit. „Manche Anbieterinnen sind ganz glücklich, wenn ich ihnen erzähle, dass ihr Kleidungsstück jetzt in guten Händen ist. Viele haben eine innige Beziehung zu ihrem Dirndl, speziell zu ihrem ersten.“
Das Dirndl hat übrigens, wie Schneider weiß, den Begriff des Schürzenjägers geprägt. Denn ob eine junge Frau zu haben ist, das zeigte sich daran, ob sie die Schleife links oder rechts trug.
Blaue Schürze: Unverheiratet
Das gleiche Phänomen gab es in Wertheim mit der Farbe der Schürzen. Diese waren bei unverheirateten Frauen blau, wie Wehner berichtet. Sie ist im Grafschaftsmuseum unter anderem für die „Abteilung ländliche Kleidung“ zuständig, die aktuell neu gestaltet wird und ab 2024 wieder besucht werden kann. Denn die fränkische Frau trug Landkleidung, die gerade im protestantischen Bereich eher schlicht war. „Die Kirchtagstracht war zum Beispiel schwarz“, so die Expertin. In den katholischen Dörfern rund um Wertheim sei dagegen farbige Brokatkleidung an Festtagen durchaus üblich gewesen.
Die ersten Dirndl hätten die Wertheimer zu sehen bekommen, als sie zum landwirtschaftlichen Umzug des Oktoberfestes eingeladen wurden, „nachdem das Königreich Bayern festgestellt hat, dass Franken ja auch dazugehört.“ Im Dritten Reich wurde das Dirndl dann in ganz Deutschland propagiert. Und blieb anschließend Teil manchen Kleiderschranks. Wehner erinnert sich, dass sie und ihre Mutter, in ihrer Kindheit und Jugend in Köln lebend, ebenfalls welche besaßen. In Bayern vermischten sich irgendwann bayerische und fränkische Einflüsse, so dass das Dirndl beispielsweise auf der Kiliani-Messe einzog.
Man könne sich fragen, ob und wie in früheren Zeiten das Dirndl Einfluss auf die hiesige Art, sich zu kleiden, genommen habe. „Wo kommt zum Beispiel das Mieder her? Vom Dirndl – oder hat es sich unabhängig davon als Modeerscheinung entwickelt?“ Hier habe die Forschung noch keine endgültigen Antworten.
Über die Historie machen sich wohl die meisten Feierwütigen wenig Gedanken und freuen sich, in ihren schicken, bunten Dirndl eine gute gemeinsame Zeit zu haben – bis sie es dann wieder bei Gabriele Schneider gegen ein neues Exemplar eintauschen.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/wertheim_artikel,-wertheim-in-wertheim-verriet-schuerzenfarbe-den-ehestand-_arid,2129334.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/wertheim.html