Kleinkunstverein Convenartis

Heine-Liebhaber lernten in Wertheim noch manch Neues

Von 
Nadine Schmid
Lesedauer: 
Dem „letzten Romantiker“ Heinrich Heine widmete der Weimarer Autor Hubert Schirneck eine Lesung beim Kleinkunstverein Convenartis. © Nadine Schmid

Wertheim. Ein Mädchen steht bei Sonnenuntergang sinnierend am Meer und lauscht den Wellen. Da kommt ein Mann und erklärt ihr sachlich, dass das jeden Tag so sei, die Sonne gehe vorne unter und komme von hinten zurück. Diese Geschichte ist typisch für das Vorgehen des „letzten Romantikers“ Heinrich Heine. Er baue eine romantische Stimmung auf, um sie dann mit dem Fallbeil zu zerstören. So beschrieb der Weimarer Autor Hubert Schirneck den Dichter, dem er eine ganze Lesung widmete. Diese präsentierte er einem kleinen, aber aufmerksamen Publikum am Samstag beim Wertheimer Kleinkunstverein Convenartis. Dabei lernten selbst Heine-Liebhaber noch einiges Neues und Überraschendes über den Verfasser der „Loreley“.

Neben den oft bissigen Zeilen des Satirikers Heine trugen auch die humorigen Einlassungen Schirnecks zum Gelingen des Abends bei. Etwa, wenn er erklärte, er komme aus Weimar, der Stadt von Schiller, Herder und „irgendwem mit G – der Name fällt mir gerade nicht ein“. „Manche denken bei Heine an das Buch der Lieder, manche denken an gar nichts“, fasste Schirneck das allgemeine Bewusstsein für den Dichter zusammen, der von Deutschland nach Frankreich emigrierte und dabei stets den kritischen Blick auf seine Heimat bewahrte.

Auch ernste Töne gab es im Programm, etwa als Schirneck von Heines jüdischer Herkunft und den damit einhergehenden Widernissen erzählte. Dazu zählte das von Heine geschilderte Kindheitserlebnis, als er in seiner Klasse seinen Opa, wie es ihm erzählt wurde, als „kleinen Juden mit langem Bart“ bezeichnete. Dies brachte seine Mitschüler dazu, mit wilden Geräuschen und Gesten spottend durch das Klassenzimmer zu toben. Die Prügel des Lehrers bekam er als „Verursacher des Aufruhrs“. Auch später wurden ihm wegen seiner Religion Steine in den Weg gelegt. Sie machte zum Beispiel eine bürgerliche Anstellung unmöglich. Mit seinem kritischen Geist führte dies zum Rauswurf erst aus der Burschenschaft und dann aus der Universität. Dies kann Schirneck sicher nachfühlen, ist er doch in der DDR aufgewachsen und erlebte dort Unterdrückung und Zensur, wie er auf seiner Homepage berichtet.

Obwohl Heine noch wenige Jahre vorher Menschen, die sich aus Opportunismus taufen ließen, scharf als „Abtrünnige“ kritisierte, entschied er 1826 sich selbst zu diesem Schritt. Damit es niemand mitbekommt, reiste er extra von seinem damaligen Wohnort Göttingen nach Thüringen, wo er sich statt in der Kirche in der Wohnung des Pfarrers taufen ließ. Die daraus resultierende Zerrissenheit beschrieb er in mehreren Texten, von denen Schirneck einige vortrug.

Schriftsteller war damals noch kein eigenständiger Beruf, dennoch entschied sich Heine für diese Lebensweise, was dank großzügiger Unterstützung seines Onkels möglich war. Nichtsdestotrotz wurde auch dieser Opfer seiner spitzen Feder. Auch Städte bekamen ihr Fett weg. Etwa Hamburg: „Es ist bei Tag eine große Rechenstube und bei Nacht ein großes Bordell.“ Wenig verwunderlich, dass es ein Buch „Heine für Boshafte“ gibt.

Auch Frauen kommen nicht gut weg. Er schrieb beispielsweise, dass diese keinen Charakter hätten beziehungsweisen jeden Tag einen anderen. Dennoch führte Heine in Frankreich eine wohl glückliche Ehe mit der französischen Verkäuferin Augustine Mirat, die er in Mathilde umtaufte und zärtlich „meinen Hausvesuv“ nannte. Hier gebe es sogar einige „ironiefreie Liebesgedichte“, so Schirneck.

Audienz bei Goethe

Heines großes Vorbild war Goethe. Und so erzählte Schirneck von der Audienz, die Heine am Ende seiner Harzreise in Weimar bei dem großen Dichterfürsten bekam. Dieser sei sehr angetan von dem jungen Kollegen gewesen, bis dieser erklärte, er arbeite gerade an einem Faust. Schirneck trug etliche Auszüge aus Briefen Heines vor. 1500 gibt es noch, obwohl Heine zu Lebzeiten seine private Korrespondenz verbrannte.

Im zweiten Teil der Lesung ging es um Gedichte, die immer wieder die Zerrissenheit des Dichters zeigten, der während der Julirevolution 1830 von einer Kur auf Helgoland nach Frankreich floh.

Zum Abschluss präsentierte Schirneck zwei Texte eines „talentierten zeitgenössischen Autors“ – von sich selbst. Damit zeigte er, dass er der leichten ironischen Alltagsbeobachtung seines Vorbilds in nichts nachsteht: So berichtete er in einer Geschichte, wie er sich vornahm, einen Tag nicht zu lügen – was Menschen nach wissenschaftlichen Untersuchungen etwa 200 Mal täglich tun. Damit das Experiment gelingen konnte, schloss er sich alleine zu Hause ein, beantwortete keine Briefe und ging nicht ans Telefon. Allerdings musste er dann in den Supermarkt und das Vorhaben drohte schnell zu scheitern. Der Abend schloss mit einem melancholischen Text über den Lebenslauf einer Eintagsfliege. Schirneck gelang es, die Verbindung von Melancholie, Romantik und Satire herauszuarbeiten, in seinen eigenen Texten genauso wie in seinem Vortrag über Heine.

Wer noch mehr von der Kunst der Familie Schirneck erleben möchte: Am 11. November tritt Huberts Bruder Andreas Schirneck t bei Convenartis auf: Er gestaltet mit seinem Bandpartner Wolfgang Keule einen „Tribute to Neil Young“-Abend.

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke