Odenwald-Tauber. Ich erinnere mich dunkel an den brennenden Schmerz. „Gleich hast du’s geschafft“, sagte die Hebamme. Noch einmal alle Kraft zusammennehmen. Dann ist es plötzlich vorbei. Geschafft. Das Kind ist da.
Den Moment der Geburt meines ersten Sohnes werde ich nie vergessen und bin dankbar, dass da eine Frau an meiner Seite war, die genau wusste, wie sie mir helfen kann. Hebammen sind Geburtsprofis. Und: Sie sind rar, denn der Beruf fordert großen, persönlichen Einsatz. Eine leise Ahnung, was es bedeutet, Hebamme zu sein, bekomme ich schon bei meinem ersten Telefonat mit Silke Schmid.
Die 47-Jährige aus Eiersheim ist seit 23 Jahren Hebamme und arbeitet in allen Bereich ihres Berufs. Immer dienstags empfängt sie in ihrer Praxis in Tauberbischofsheim Schwangere, am Abend veranstaltet sie Rückbildungskurse. Sechs Mal pro Monat übernimmt sie Zwölf-Stunden-Schichten in der Neckar-Odenwald-Klinik in Buchen, dazu kommen drei bis vier Rufbereitschaften. An den Tagen dazwischen fährt sie mit ihrem Auto übers Land und besucht Mütter und Neugeborene im Wochenbett.
40 Wochen: die Schwangerschaft
Die Tür zum Behandlungszimmer zieren niedliche Baby-Bilder von Paul, Jonna, Tyler und vielen anderen Kindern, deren Mütter Silke Schmid begleitet hat. Eine Lampe am Kopf des kleinen Raumes hüllt den Bereich um den Schreibtisch der Hebamme in gemütliches Licht. Es ist kurz vor 11 Uhr. Silke ist seit zwei Stunden in der Praxis. Ihr nächster Termin ist Brigitte Weirich. Die 34-Jährige ist in der 36. Woche mit ihrem zweiten Kind. „Das Ende naht. Wie geht es dir?“, fragt die Hebamme. Brigitte wiegt den Kopf. „Ich bin müd’, das ist alles. Am Samstag war sie unruhig“, antwortet sie und meint ihre ungeborene Tochter.
Silke Schmid kennt ihre Klientin – weil diese ganz in ihrer Nähe auf dem Uissigheimer Aussiedlerhof lebt und sie bereits bei der ersten Schwangerschaft begleitet hat. Deshalb weiß die Hebamme, dass die 34-Jährige sich wenig schont. „Du brauchst jetzt viel Ruhe und Schlaf“, sagt sie. Heute steht eine Vorsorge an. Ob Schwangere diese bei ihrem Frauenarzt oder bei einer Hebamme in Anspruch nehmen, steht ihnen frei.
„Wir gucken uns erstmal deinen Bauch an“, kündigt Silke an. Brigitte legt sich aufs Bett, das gegenüber der Tür steht, und zieht den Pullover nach oben. Prall und kugelig wölbt sich ihr Bauch nach vorne. Die Hebamme streicht über den Bauch: Sie bestimmt die Lage des Kindes. Das lag bei der letzten Untersuchung nämlich noch mit dem Kopf nach oben. Sie drückt den Bauch sanft: links und rechts, oben und unten.
Silke Schmid betrachtet sich als Handwerkerin. „Mit meinen Händen und dem Hörrohr bin ich gut“, sagt sie über sich selbst und winkt mich ans Bett. Jetzt darf ich tasten: Meine Hände liegen links und rechts am oberen Bauchansatz. Zaghaft drücke ich in kleinen Bewegungen auf die Kugel und spüre ganz deutlich etwas Festes, Rundes. „Das ist der Kopf“, erklärt Silke. Das Mädchen liegt also weiterhin in der Beckenendlage. Silke Schmid erläutert der Schwangeren das weitere Vorgehen: Fußzonenreflexmassage, eine Therapie mit Räucherzigarren, spezielle Turnübungen und Einläufe könnten das Kind dazu bewegen, sich umzudrehen. Denn eine Geburt in Beckenendlage ist möglich, aber nicht ohne Risiko.
Drei Monate: das Wochenbett
Etwas weniger als 24 Stunden später klingeln wir an der Haustür eines Neubaus in Uissigheim. Manuel öffnet. Der 34-Jährige ist am 11. November um 5.30 Uhr zum ersten Mal Vater geworden. Nach dem Krankenhausaufenthalt in Folge der Entbindung übernimmt Silke nun die Betreuung von Frau und Neugeborenem. Während wir uns die Schuhe ausziehen, fragt Silke nach: Wie sind die Nächte mit dem Baby? Wie geht es Nadja? Hatte der kleine Ben seit dem Abgang des ersten Stuhls, dem Kolostrum, noch einmal Kot in der Windel?
Im ersten Stock liegt Nadja im abgedunkelten Schlafzimmer im Doppelbett. Ben schläft neben ihr. Kater Finn räkelt sich am Bettende. Jetzt gibt es viel zu besprechen: Wie geht es der 31-jährigen Mutter? Wie klappt das Stillen? Was machen die Geburtsverletzungen? Silke sitzt auf dem Bettrand neben Nadja. Ich halte mich im Hintergrund.
Es ist ein komisches Gefühl, im Schlafzimmer Fremder zu stehen, zumal in einer so intimen Zeit wie dem Wochenbett. „Du solltest jetzt viel, viel liegen“, rät Silke der Frau, während sie ihren Bauch massiert, um die Rückbildung der Gebärmutter zu unterstützen. Immer wieder fällt ihr Blick auf Ben, der zunächst schläft, dann blinzelt und schließlich wach wird. Die Hautfarbe des Neugeborenen gefällt Silke nicht. Der Teint des kleinen Jungen sieht gebräunt aus. Die Hautfarbe deutet auf Neugeborenengelbsucht hin. Ben sei heute deutlich gelber als gestern, berichtet die Mutter. „Das müssen wir im Blick behalten“, sagt die Hebamme.
Gelbsucht entsteht, wenn ein Neugeborenes zu viel Bilirubin im Blut hat. Verschlechtern sich die Werte, braucht die Leber des Kindes beim Abbau des Stoffs Unterstützung, um eine Schädigung des Hirns zu verhindern. Morgen nach dem Ende ihrer Nachtschicht wird Silke wieder nach dem Kleinen schauen und dann entscheiden, ob die Gelbsucht behandelt werden muss. Wird das Kind vorher ungewöhnlich schläfrig, sollen sich die Eltern sofort bei ihr melden.
Mehr als eine Stunde nachdem wir das Haus betreten haben, verabschieden wir uns schließlich von den jungen Eltern. Mit der Krankenkasse abrechnen kann die Hebamme wesentlich weniger Zeit. „Aber was soll ich machen?“ Hebamme sei eben ein Beruf, in dem man viel Herzblut und eine geduldige Familie brauche. „Ich kann das alles nur so machen, weil mein Mann und meine vier Kinder das mittragen“, sagt Silke.
Mit dem Hebammenauto düsen wir die kurvige Straße hinab in Richtung Werbach. Dort biegen wir wieder ins Neubaugebiet ab. Die Familien, die sie im Wochenbett besucht, gehören meist der Mittelschicht an, sagt Silke. Da jedoch auch Frauen am Rande der Gesellschaft die Hilfe einer Hebamme brauchen, übernimmt die Eiersheimerin alle zwei Wochen im Wechsel mit einer Kollegin die Hebammensprechstunde des Caritasverbandes. Im Werbacher Neubaugebiet öffnet uns dieses Mal eine große Schwester die Tür. Hanna ist ziemlich stolz auf ihre kleine Schwester. Das wird mir spätestens klar, als sie mich aufmerksam beobachtet, während ich Lina in meinen Armen wiege. Silke untersucht in dieser Zeit Mutter Nicole. Zuvor hat sie Lina gewogen, gründlich in Augenschein genommen und frisch gewickelt. Die Hebamme ist zufrieden: Mutter und Kind geht es gut.
Wie man Hebamme wird
Hebammen begleiten Frauen in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Sie können fest angestellt und selbstständig arbeiten. Laut Hebammenverband arbeiten viele Hebammen fest angestellt in Teilzeit und bieten parallel freiberuflich in Nebentätigkeit Hebammenleistungen an.
Das Betätigungsfeld einer Hebamme ist vielfältig: Sie kann zum Beispiel in der Schwangerschaftsvorsorge und -beratung, in der Geburtsvorbereitung, als Hausgeburts- oder Beleghebamme, in der Wochenbettbetreuung, im Kreißsaal, in Hebammenpraxen, als Familienhebamme bei sozialen Trägern oder als Hebammenwissenschaftlerin tätig sein.
Laut Hebammengesetz kann eine Hebamme eine normal verlaufende Geburt allein leiten. Ein Arzt darf eine Frau nur in Notfällen ohne eine Hebamme entbinden.
Wer Hebamme werden möchte, muss seit dem Jahr 2020 ein duales Studium absolvieren. Um zu einem Studium zugelassen zu werden, brauchen die Bewerberinnen und Bewerber das Abitur, die Fachhochschulreife (eingeschränkt) oder eine Hochschulzugangsberechtigung nach zehnjähriger Schulbildung, einem Berufsabschluss und durch mehrjährige Berufserfahrung. Weiterhin erfüllen Pflegefachfrauen oder Pflegefachmänner sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger die Zugangsvoraussetzungen.
Derzeit sind alle angebotenen Studiengänge auf mindestens dreieinhalb Jahre ausgerichtet. Das Hebammenstudium umfasst mindestens 2200 Stunden Theorie und mindestens 2200 Stunden Praxis in Kliniken und im außerklinischen Bereich bei freiberuflichen Hebammen. kabu
Zwölf Stunden: die Geburt
Die Pause bis zur Schicht im Kreißsaal der Neckar-Odenwald-Kliniken ist kurz. Für Silke beginnt sie um 18.30 Uhr, ich komme rund zwei Stunden später dazu. „Bisher ist es ruhig heute“, empfängt sie mich. Eine Geburt wird seit dem Morgen eingeleitet. Dass das Kind in dieser Nacht kommen wird, glaubt Silke nicht. Die Wehen sind noch nicht effektiv genug, auch wenn die Frau sich zum Atmen an einer Wand abstützt. „Schlaf. Ruh dich aus“, rät sie ihr. Wir ziehen uns in den Aufenthaltsraum der Hebammen zurück: In der Ecke steht ein blaues Schlafsofa, dort kann sich Silke hinlegen, um ein wenig zu schlafen. Das Kreißsaal-Telefon liegt jedoch immer neben ihr. Denn wenn es klingelt, muss die 47-Jährige sofort hellwach sein, um die Frauen zu unterstützen. Standardmäßig besetzt eine Hebamme den Kreißsaal. Sollte der Ansturm in einer Nacht sehr heftig sein, kann Silke per Rufbereitschaft eine Kollegin anfordern.
Heute ist das nicht nötig. Als ich mich gegen Mitternacht verabschiede, meldet sich zwar noch eine Frau deren Fruchtblase angerissen ist, aber ein Kind wird in dieser Schicht nicht mehr geboren.
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