Tag des offenen Denkmals

Hausrettung in Wertheim: Paczkowski erzählt Geschichten hinter alten Fassaden

Viele Häuser in Wertheims Mühlenstraße wären beinahe einer Straßenverbreiterung zum Opfer gefallen. Heute zeugen sie von Bürgerengagement und Denkmalschutz.

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Nadine Schmid
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Tag des offenen Denkmals: Jörg Paczkowski erzählt seinen Zuhörern viel Interessantes über die Fassaden und die Bedeutung der Gebäude in der Wertheimer Mühlenstraße. © Nadine Schmid

Wertheim. Wenn es nach den Stadtverantwortlichen in den 70er-Jahren gegangen wäre, würde am Rathaus vorbei heute eine breite Mühlenstraße führen und die Häuser links und rechts der Straße wären abgerissen worden. Dies geschah glücklicherweise nicht und so konnte Jörg Paczkowski bei seiner Führung zum Tag des offenen Denkmals seinen etwa 50 Zuhörern einiges zu den Gebäuden entlang der Straße erzählen. Einige Häuser haben ihren Erhalt und ihre heutige Form engagierten Bürgern zu verdanken, wie die Alte Münz, die ebenfalls ihre Türen für Interessierte öffnete.

Los ging die Führung mit Paczkowski im Rathausinnenhof. Er habe sich eine Route ausgesucht, die nicht „Mainstream“ sei, erklärte der Historiker. Denn die Mühlenstraße gilt vielen als außerhalb der Altstadt gelegen und hieß früher sogar einmal Neustadt. Und doch gibt es Gebäude, von denen man Teile bis ins 14. Jahrhundert zurückdatieren kann. Diese seien damit älter als die Stiftskirche. Dies habe man seinerzeit nicht erkannt. Doch zum Glück konnte man die Häuser auf der rechten Seite durch Proteste und die auf der linken Seite wegen der Gefahr des Hangrutsches nicht abreißen – so blieben sie erhalten.

Haus war bereits zum Abriss freigegeben

Bis zur Wiederauflösung der Engstelle gebe es heute nur einen Neubau. „Hier wurde Wertheimer Geschichte geschrieben“, so der Experte. Dennoch waren einzelne Häuser immer wieder gefährdet und wurden dann doch gerettet. Etwa Haus Nr. 12, das schon zum Abriss freigegeben war. Heute ist das obere Stockwerk wieder vermietet.

Paczkowski wies auf einige Charakteristika vergangener Epochen hin, etwa barocke Fenster oder ein Walmdach. Bei Haus Nr. 19 könne man drei Fenster nebeneinander beobachten. Dahinter lag im 16. Jahrhundert gerne die gute Stube. Der hintere Teil des Hauses sei von ihm untersucht worden und er habe 1341 als Erbauungsjahr ermitteln können. „Ein Abriss hätte einen unersetzbaren Verlust bedeutet“. Zum Glück habe es „acht Spinner“ – darunter ihn selbst – gegeben, die bereit waren, das Haus wie einige andere zu renovieren. „Es hat uns einen neuen Blick auf die Wertheimer Geschichte eröffnet.“

„Was wäre Wertheim ohne Convenartis?“, fragte der Führer vor dem Gebäude Nr. 23 mit Verweis auf den Kleinkunstverein. Auch historisch sei es interessant. Es gebe gotische Stützbogen, das Fachwerk stamme aus der Zeit um 1500 und es gebe Hinweise, dass es im Mittelalter von Damen des Beginenordens bewohnt worden sei. Und trotzdem – auch dieses Gebäude entkam nur durch Engagement einiger Wertheimer Bürger der Abrissbirne.

Einhorn ziert die Fassade eines Gebäudes

Am gegenüberliegenden Haus wies Paczkowski auf einige Raffinessen an der Fassade hin, etwa ein Einhorn. Dieses sei früher oft als Zeichen der Keuschheit an Häusern angebracht worden. Was es bedeute, dass dieses Einhorn auf dem Rücken liegt, diese Frage sollten sich die interessierten Zuhörer selbst beantworten. Dann erklärte der Historiker einen Umstand, über den sich so mancher Autofahrer schon geärgert haben mag, der aber aus der Geschichte erklärbar ist. Die Verengung in der Straße. Denn hier stand das äußere Mühlentor.

Abschließend verriet Paczkowski noch, dass Lale Anderson, bekannt durch ihr Lied „Lilli Marleen“ einst in einem Haus in der Mühlenstraßen wohnte. Die Teilnehmer waren beeindruckt von Paczkowski fundiertem und kurzweiligen Vortrag und er sprach ihnen wohl allen aus dem Herzen, als er abschließend erklärte: „Man sollte immer genau hinschauen und untersuchen, bevor man Häuser abreißt.“

Liebhaber-Team fand bei Renovierung eine mumifizierte Katze

Um einen Abriss kam auch die Alte Münz herum, die von einem Liebhaber-Team in den vergangenen Jahren aufwendig renoviert wurde und an diesem Sonntag die Tür für Besucher öffnete. Das Haus war vor der Renovierung ziemlich heruntergewirtschaftet. Aber das hatte auch sein Gutes, wie Ilse Fürnkranz-Deroua bei der Führung durch das Haus erklärte. So habe man einiges wieder freilegen können. Dennoch musste viel herausgerissen werden, um einen Zustand zu erreichen, der möglichst nahe an den originalen herankommt. Allein 66 Container Schutt seien aus dem Haus geschafft worden. Man hatte unter anderem zugemauerte Säulen und Fenster freigelegt. Dabei sei allerlei Kurioses zum Vorschein gekommen: Windeln, die zur Dämmung genutzt wurden, genauso wie eine mumifizierte Katze, die heute im Museumsraum ausgestellt ist. Diese habe man früher gerne als Schutz gegen Hexerei eingemauert, berichtete die Führerin. Sie zeigte den etwa 20 Teilnehmern außerdem die Löcher, die im ersten Stock die Kaminwärme durchlassen, und demonstrierte durch das Hineinstecken eines Arms, dass die Mauern wirklich eine Armlänge breit sind.

Eines haben beide Führungen deutlich gezeigt: Wie wertvoll es ist, alte Gebäude zu erhalten und zu pflegen und wie dankbar man Menschen sein muss, die das aus Liebhaberei und historischem Bewusstsein in der Main-Tauber-Stadt mit so viel Herzblut tun.

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