Prozess

Freispruch in Wertheim: SA-Parole angeblich nicht gekannt

60-Jähriger hat „Alles für Deutschland“ gerufen. Gericht urteilt nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“.

Von 
Alfons Göpfert
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Das Gericht in Wertheim urteilte nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ und sprach den Beschuldigten frei. © picture alliance/dpa

Wertheim. In einer Verhandlung beim Amtsgericht Wertheim lautete der Vorwurf gegen einen 60-Jährigen, Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen in der Main-Tauber-Stadt verwendet zu haben.

Der Angeklagte aus dem Raum Fulda räumte ein, dass er am 18. Mai 2024 auf dem Marktplatz während einer Veranstaltung des seit 2021 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Magazins „Compact“ den Satz „Alles für Deutschland“ gerufen hat. Er habe aber nicht gewusst, dass es sich um eine SA-Parole, um etwas strafrechtlich Verbotenes, handelt.

Die Staatsanwaltschaft sah das anders und beantragte eine Strafe von 60 mal 100 Euro. Der Verteidiger aus Fulda plädierte auf Freispruch. Der Vorsitzende orientierte sich am Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“, und sprach den Beschuldigten frei.

Am Pfingstsamstag im vergangenen Jahr hatte das Magazin ein „Volksfest“ auf dem Wertheimer Markplatz organisiert. Eine Gegen-Veranstaltung begann am Mainplatz. Deren Teilnehmer zogen von dort zum Rathaus. Die Polizei war bemüht, beide Seiten voneinander getrennt zu halten.

Am Marktbrunnen beobachtete ein Kripo-Beamter in Zivil eine bei einem Café sitzende alkoholisierte Gruppe von zehn bis zwölf Personen, die „kritische Äußerungen“ verlauten ließ. Darunter befand sich der Angeklagte. Er trug als Einziger ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift „Blaue Welle“. Die Bühne stand etwa 30 Meter entfernt.

Nach dem zweimal geäußerten Ruf „Alles für Deutschland“ (16.40 Uhr) verlangte der Beamte die Personalien des Mannes. Dessen Beleidigungen nahm er wegen der Trunkenheit „nicht ernst“. Ein Zeuge aus Hundheim erinnerte sich, ohne äußeren Anlass habe der Angeklagte den rechten Arm erhoben und die Hand zur Faust geballt.

Der Beschuldigte erklärte, seit 30 Jahren sei er an Pfingsten mit seinen Freunden unterwegs, 2024 auf dem Campingplatz in Bestenheid. Zufällig habe man am Marktplatz gesessen. Mit rechtem Gedankengut habe er nichts zu tun. Er habe jahrelang ausländische Mitarbeiter beschäftigt, sei Integrationshelfer gewesen und dafür von der Stadt Fulda ausgezeichnet worden.

Der Verteidiger regte die Einstellung des Verfahrens an, die Staatsanwaltschaft gab aber keine Zustimmung. So kam es zu den Plädoyers. Der Referendar der Staatsanwaltschaft betonte, spätestens seit der Verurteilung des AfD-Politikers Björn Höcke durch das Landgericht Halle (Saale) wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe in Höhe von 13.000 Euro am 14. Mai 2024 sei bekannt gewesen, dass der Ausspruch verboten ist.

Der Verteidiger erwiderte, das habe sein Mandant nicht mitbekommen, und das Urteil sei seines Wissens nach nicht rechtskräftig. Für den Vorsitzenden war nicht mit Sicherheit feststellbar, dass der Angeklagte am Tattag wusste, dass die Parole verboten war. Man könne nicht ins Gehirn eines Menschen schauen.

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