Wertheim-Dertingen. Guten Wein kann man in Dertingen hinreichend genießen, genauso wie einen erholsamen Spaziergang durch die Weinberge. Ab kommendem Jahr kann man dort sogar unter einem Weinstock seine letzte Ruhestätte finden.
Zugegeben, ein wenig Verwunderung herrschte schon, dass Dertingens Ortsvorsteher Egon Beuschlein auf den Friedhof zum Gespräch bat. Ein Friedweinberg vermutet man dort nicht unbedingt. „Direkt in den Weinbergen können wir diese besondere Fläche nicht anlegen“, erklärt Beuschlein und weist auf zahlreiche bürokratische Hürden hin. Aus diesem Grund wird der Friedweinberg nun Teil des Dertinger Friedhofs werden.
Angelegt werden soll der Friedweinberg auf einer geschätzt 50 Quadratmeter großen Fläche. Parallel zum gepflasterten Weg werden in Kürze rund 20 Weinstöcke in zwei Zeilen gesetzt, genau wie in einem Weinberg. „Natürlich weiße und rote Sorten“, meint Beuschlein. Geliefert werden die Pflanzen vom ortsansässigen Rebveredler. Welche Sorten genau, das weiß er noch nicht. „Sie müssen jedenfalls relativ resistent gegen Krankheiten sein“, ist der Anspruch. Die Verwendung von Spritzmitteln kommt nämlich auf einem Friedhof so gut wie nicht in Betracht. Natürlich sollen die Weinstöcke nach einer bestimmten Zeit auch Trauben tragen, die essbar sind. „Mal sehen, vielleicht lesen wir die Trauben mit den Kindergartenkindern“, meint der Ortsvorsteher. Gut möglich kann aber auch sein, dass die Friedhofsbesucher die frischen Trauben genießen. Das letzte Wort ist darüber nicht gesprochen – noch ist es ein weiter Weg bis zur ersten Lese.
In diesem Frühjahr
In diesem Frühjahr soll es mit dem Pflanzen der Weinstöcke, dem Aufstellen der Drahtrahmen und dem Setzen der Pfähle losgehen. Die ersten Urnenbeisetzungen direkt am Rebstock könnten dann im kommenden Jahr stattfinden.
Die Pfähle werden eigens für die daran anzubringenden Namensschildchen der Verstorbenen und an der Stelle Beerdigten aufgestellt. Rund um jeden Weinstock können bis zu vier Urnen ins Erdreich gebettet werden. Rein rechnerisch hätten 50 Urnen auf diesem Abschnitt Platz. Aber ganz so viele sollen es laut Egon Beuschlein nicht werden. Wie viele genau, das weiß der Ortsvorsteher noch nicht. Dass das Interesse an dieser Art der letzten Ruhestätte groß ist, darüber allerdings kann er schon sehr ausführlich berichten: „Mir haben schon wirklich Viele gesagt, dass sie genau dort beerdigt werden wollen – am Fuß eines Weinstocks.“
Wer seinen Blick über den Dertinger Friedhof schweifen lässt, bemerkt sehr schnell viele freie Flächen. Die deutlich zunehmende Nachfrage nach Urnengräbern ist sichtbar. „Es will ja kaum noch jemand die Arbeit der ständigen Grabpflege seinen Nachkommen aufbürden“, weiß Beuschlein.
Auf dem Dertinger Friedhof gib es auch sogenannte Rasengräber. Mitten im Gras liegt nur eine kleine Gedenkplatte. Es gibt keine zu pflegende Begrenzung, keine angepflanzten Blumen, keinen Kies – nur eben Rasen, der vom Friedhofsgärtner gepflegt wird.
„Merkwürdigerweise werden die Urnenrasengräber besser angenommen als die Sargrasengräber“, erklärt Beuschlein und zeigt dabei auf die vielen freien Flächen direkt an der Friedhofsmauer, die schon vor vier Jahren angelegt wurden und bisher leer blieben. Anders wird sich die Nachfrage nach Stellen im Friedweinberg verhalten, vermutet der Ortsvorsteher.
Doch wer wird sich um die Weinstöcke kümmern? „Ach, das machen wir schon“, winkt Beuschlein ab. Er weiß genau, dass es in Dertingen viele engagierte Bürger gibt, die gern mithelfen.
Auf die Idee, einen Friedweinberg anzulegen, ist die Dertingerin Nadine Strauß gekommen. Ihr hatte vor etlichen Jahren jemand davon erzählt. „Einen Friedwald gibt es doch inzwischen überall. Aber ein Friedweinberg nicht. Die Idee fand ich toll – vor allem für Dertingen“, erinnert sie sich. Doch die Suchmaschine im Internet spuckte damals nur wenige Ergebnisse zum Thema „Friedweinberg“ aus. „Der Nächstgelegene dieser Art ist in Nordheim. Da bin ich dann hingefahren und habe mir den angeguckt. Dort ist aber die Mauer des Friedhofs zum Weinberg offen. Es sind somit ganz andere Gegebenheiten“, erzählt sie. Viele Informationen erhielt Strauß auch aus Bad Neuenahr-Ahrweiler.
Von der Idee begeistert
Die übergab sie dann dem Ortschaftsrat und dem Pfarrer. Beide waren von der Idee angetan. Das ist jedoch Jahre her. „Inzwischen trat eine neue Friedhofsordnung in Kraft. Da hatte ich schon Sorge, dass es mit dem Friedweinberg nichts mehr wird“, so Strauß. Heute ist sie froh, dass ihr Vorschlag in diesem Frühjahr nun Wirklichkeit wird.
In Dertingen kann man sich durchaus vorstellen, dass es Nachahmer geben wird. Denn Orte, die dem Wein sehr verbunden sind, gibt es nicht nur rund um Wertheim.
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