Wertheim. Abschluss-Schüler der Comenius-Realschule Wertheim haben wieder den alljährlichen Er-innerungsdienst für die im NS-Regime ermordeten Wertheimer abgehalten. Sie taten dies an Stolpersteinen in der Kernstadt und in Dertingen.
Die Schüler standen mit selbst angefertigten Plakaten, die das Leben des Ermordeten thematisierten und – falls bekannt – ein Foto der Person zeigten, für eine Stunde an den Stolpersteinen. Sie wollten die Passanten über die jeweilige Person informieren und mit ihnen ins Gespräch kommen.
Es ist der jedes Jahr gleiche Handlungsrahmen, aber: stets mit anderen, nämlich den jeweils aktuellen Abschluss-Schülern der Realschule. Damit wird das Wissen und die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis von Jahrgang zu Jahrgang weitergegeben. Dies geschieht in der Hoffnung, dass die Gefahren einer Diktatur erkannt und der Wert von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geschätzt werden.
Die Schüler tun diesen Dienst aus eigenem Antrieb. Es gibt keine schulische Verpflichtung. Sie bereiten ihn komplett in ihrer Freizeit vor und halten auch die Erinnerungsstunde entsprechend ab. In diesem Jahr beteiligten sich 26 Schüler an der Aktion.
Sie taten dies durchaus mit großem Ernst, aber auch mit Liebe, wie die mitgebrachten Blumen zeigen. Ein Schüler sagte, er finde den Dienst wichtig, „denn die Verbrechen geschahen ja mitten unter unseren Vorfahren und es waren Mitbürger.“ Sie hätten sogar im 1. Weltkrieg teilgenommen.
Eine Schülerin meinte, sie habe schon immer gewusst, warum die Steine hier liegen – „zum Gedenken halt“. Aber erst durch die intensive Beschäftigung würden sie ihr jetzt bewusst. Sie habe auch schon immer aufgepasst, nicht draufzutreten, denn „das fände sie komisch“.
Sophia erinnerte an Lisl Keller, für die am Eingang zum Glasmuseum ein Stein liegt. Die Familie von Lisl wohnte in dem Gebäude im damaligen Besitz des Fürstenhauses, in dem Baumeister des Fürsten untergebracht waren. Auch Lisls Vater gehörte dazu. Seine Tochter erkrankte seelisch und kam in die Heilanstalt Illenau. Dort lebte sie Jahrzehnte und verfasste in dieser Zeit ein berührendes Gedicht über ihre Lage und ihre Gefühle. Sophia hat es auf ein großes Plakat übertragen, so dass es die Passanten lesen konnten. Als ihr Vater gestorben war, wurde Lisl in die Pflegeanstalt nach Krautheim verlegt. Ein Absturz. Denn auf der Illenau war sie gut betreut, jetzt nur noch verwahrt. Sophia meint, im NS-Regime kam es nicht nur zu Millionen Toten, sondern es waren Millionen einzelne Personen. Das mache das Projekt Stolpersteine deut-lich.
Austausch zwischen Generationen
Aber auch die (meist älteren) Passanten brachten sich in ein Gespräch ein. Einer brachte seine Gemälde vom alten Wertheim mit, auf denen die Schüler sehen konnten, wo und wie genau die Familien damals lebten.
Ein weiterer Passant ging von Schüler zu Schüler und empfahl den Jugendlichen, den Film „Die Fotografin“ anzuschauen, der gerade im Roxy gezeigt wird. Der Film sei die logische Fortsetzung zu dem, was die Schüler hier gerade thematisierten.
Eine andere Passantin empfahl den Jugendlichen und ihren Lehrkräften, die ebenfalls vor Ort waren, die Räume zum jüdischen Wertheim im Grafschaftsmuseum zu besuchen. Da werde mehr Kontext zu dem vermittelt, was im Erinnerungsdienst Thema sei. So kam es zu einem Austausch zwischen den Generationen, der neben der Weitergabe der Erinnerung ein weiteres wichtiges Ziel des Projektes Stolpersteine ist.
„Die Plakate bleiben nach dem Erinnerungsdienst noch drei Tage an den Stolpersteinen liegen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigte, dass sie noch auf großes Interesse bei den Bewohnern stoßen“, so Dieter Fauth, Leiter des Projektes Stolpersteine abschließend.
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