Stadtführungsreihe für Familien (Teil 4)

Die Wertheimer Altstadt ist der Raum für Sagen und Geschichten

Konsolensteine dienten einst als Auflage für eine Brücke, die zum gegenüberliegenden Haus von Katharina Elisabeth, Gräfin von Löwenstein und Wertheim führte.

Von 
Birger-Daniel Grein
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In diesem Haus lebte Gräfin Käterle, um die sich eine gruselige Geschichte dreht. © Birger-Daniel Grein

Wertheim. Im vierten Teil der Stadtführungsreihe für Familien widmen wir uns Gebäuden und Geschichten rund um die Stiftskirche herum. An der Seite der Stiftskirche, am engen Gassenteil Richtung Straße, findet man Konsolensteine. Sie dienten einst als Auflage für eine Brücke, die zum gegenüberliegenden Haus von Gräfin „Käterle“ (Katharina Elisabeth, Gräfin von Löwenstein und Wertheim) führte. Die Brücke wurde von der gräflichen Familie genutzt. Wenn deren Mitglieder den Gottesdienst in der Stiftskirche besuchten, nutzten sie nicht denselben Eingang wie ihre Untertanen. Sie hatten einen eigenen Eingang, der sie zu ihrem eigenen Bereich im oberen Teil der Kirche führte. Dieser Eingang war über die Brücke zu erreichen. Bei den Konsolensteinen an der Kirche sind auch noch Spuren des inzwischen entfernten Eingangs zu sehen.

Das Haus von Gräfin „Käterle“ findet man an der Straße. Sie lebte von 1586 bis 1634. Sie starb an der Pest. In ihrem Haus lebte sie zusammen mit ihrer Schwester Walburg. Zu Gräfin Katharina Elisabeth gibt es auch eine gruselige Sage. Sie galt als Todesbotin. „Käterle“ wurde nach ihrem Tod einbalsamiert. So wurde ihr Leichnam zu einer Art Mumie. Man erzählte sich, wenn das tote Käterle irgendwo in der Stadt gesehen wurde, kündige dies den baldigen Tod eines Mitglieds der gräflichen Familie an.

Der Schutzheilige der Region Franken

Auf der anderen Seite der Stiftskirche findet man die Kilianskapelle, die dem heiligen Kilian geweiht wurde. Er ist der Schutzheilige der Region Franken. Die Kapelle wurde ab 1472 gebaut. Im Untergeschoss fand sich eine Kapelle mit Grablege. Dort wurden Verstorbene zur Ruhe gelegt. Das Obergeschoss wurde damals auch als Kapelle genutzt. Ab 1571 diente das Obergeschoss als Lateinschule (vergleichbar mit dem heutigen Gymnasium). 1903 wurde das Obergeschoss erneut zur Kapelle umgebaut. In der Kapelle im Untergeschoss entdeckt man das alte Uhrwerk von 1544 aus dem Glockenturm der Stiftskirche. Interessant sind auch die Verzierungen an den Steinen des Gangs im Obergeschoss. Dort sieht man eine Figur, die man an einer Kirche nicht erwartet: einen Affen mit Spiegel in der Hand. Dieser „Wertheimer Affe“ am Pfeiler im Südwesten der Kapelle ist ein spöttisches Zeichen für die Eitelkeit.

Passend zur evangelischen Konfession gibt es auch eine Geschichte rund um Martin Luther und Wertheim, die sich aber höchstwahrscheinlich in Wirklichkeit nie ereignet hat. Man erzählt sich, als Luther auf der Reise zum Reichstag nach Worms war, soll er auch in Wertheim vorbeigekommen sein. Dort soll er in einer Gaststätte nahe der Stiftskirche Bratwürste verspeist haben, die er nie bezahlt hat. Weiter wird erzählt, als Luther dann von der Eichelsteige bei Wertheim auf die Stadt blickte, soll auch er die Hochwassergefahr für die Stadt erkannt haben. Er habe festgestellt: „Vom Feuer hat Wertheim nichts zu befahn, eh‘ wird‘s im Wasser untergahn.“ Heute würde man sagen: „Vom Feuer hat Wertheim nichts zu befürchten, eher wird es im Wasser untergehen.“

Viele Sagen drehen sich auch um die Hexerei

In der Wertheimer Altstadt spielen auch viele Sagen. Sie drehen sich auch um die Hexerei. Eine davon erzählt von einer Hexe als Gans. In früheren Tagen waren Nachtwächter unterwegs. Sie achteten darauf, dass in der Dunkelheit nicht Verbotenes geschah. Eines Nachts sah solch ein Nachtwächter nachts um zwei Uhr eine Gans neben sich auf der Straße laufen. Er fing sie ein und sperrte sie zu Hause in seiner Stube unter die Bank. Am Morgen lag dort überraschenderweise keine Gans mehr, sondern eine Frau. Dies habe bewiesen, dass sie nicht umsonst als Hexe galt, erzählte man sich. Der Glaube an Hexerei und die Bezichtigung, diese auszuüben, hatten aber auch in Wertheim für beschuldigte Menschen schlimme Folgen. Heute weiß man: Hexerei ist nur Aberglaube. Früher hatten die Menschen aber große Angst vor Zauberei und Hexen. Es gab leider auch eine Zeit, in der viele Frauen und Männer als Hexen und Hexer beschuldigt wurden. Sie wurden verfolgt und auch oft getötet. Im 17. Jahrhundert war die Hauptzeit dieser Verfolgungen.

Etwas entfernt von der Stiftskirche findet man an einem Haus in einer kleinen Seitengasse eine Figur des „Wertheimer Buddenscheißers“ aus Stein. Er weist auf den gleichlautenden Spitznamen der Stadtbewohner hin. Aufgrund der häufigen Hochwasser in der Altstadt gab es keine Sickergruben. Die Ausscheidungen der Menschen musste man so anders entsorgen. Sie kamen in hölzerne Budde vom Weinberg und wurden damit zu den Flüssen gebracht und dort entsorgt. Es wird erzählt, beim Versuch, eine Treppe mit der so gefüllten Budde herunterzugehen, sei ein Wertheimer in seinem Haus gefallen. Die Folgen möchte man sich lieber nicht vorstellen. Die Wertheimer nehmen diesen Spitznamen mit Humor hin und widmen ihm sogar den Namen eines Likörs.

Auch heute kann man in Wertheim noch einem Nachtwächter begegnen. Er sorgt nicht mehr für die Sicherheit, sondern führt in besonderen Stadtführungen im passenden Gewand und mit Laterne am Abend durch die Stadt. Dabei gibt es viel Spannendes über Wertheim zu erfahren. Die öffentlichen Nachtwächterführungen finden von April bis Oktober immer freitags um 21 Uhr statt. Treffpunkt ist am Spitzen Turm. An ihnen kann man ohne Anmeldung teilnehmen.

Der Wertheimer Affe an der Kilianskapelle ist ein Zeichen für die Eitelkeit. © Birger-Daniel Grein

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