Wertheim. "Die sind einfach genial", kommentierte am Ende der Aufführung von "Waisen" ein begeisterter Besucher das Kammerspiel, das die Badische Landesbühne am Dienstagabend in der Aula Alte Steige aufgeführt hat.
Die Wohngegend ist nicht die beste. Aber es macht ja bald ein neues Cafe auf. "Ist alles klar?", Liam, Bruder von Helen, die im Kerzenschein mit ihrem Freund Danny in der gemeinsamen Wohnung sitzt, kommt blutüberströmt hereingeplatzt. Danny hat Lachs mit Basmatireis gekocht. "Ihr esst zu Abend und dann so etwas". Liam versucht, sich zu entschuldigen. Aber so richtig will das nicht gelingen.
Liam ist durcheinander. Er weiß nicht so richtig, was er sagen soll. Ein Junge wurde angegriffen und Liam versuchte, ihm zu helfen. Doch so nach und nach kommt die grausame Wahrheit ans Licht. Danny will die Polizei rufen, doch die schwangere Helen verlangt von ihm Loyalität zu ihrer Familie. Schließlich ist ihr Bruder vorbestraft. Wer wird ihm glauben, dass er nicht an der schweren Verletzung des Jungen beteiligt ist?
Nur die Familie zählt
Man muss Liam ein falsches Alibi geben. "Er war die ganze Zeit bei uns", beschwört Helen ihren Partner Danny. Der will das aber nicht. Die schwangere Helen möchte deshalb jetzt auch nicht mehr das Kind von Danny, von einem, der die Familie verrät. Letztendlich steht Danny zu seiner Partnerin und ihrer Familie. Er unterstützt Liam bei der Einschüchterung des Verletzten, den Liam gefesselt, gefoltert und eingesperrt hat. Niemand darf etwas erfahren. Am Ende will Helen das Kind von Danny behalten, aber jetzt will Danny kein Kind mehr von dieser Familie.
Geniales Verwirrspiel
Wolf E. Rahlfs hat das Stück des britischen Autors Dennis Kelly außergewöhnlich treffend und perfekt inszeniert. Der Ausdruck und die Sprache der Akteure auf der Bühne, von Missverständnissen geprägt bis hin zu einem sprachlichen Verwirrspiel aufgebaut, ist genial. Die Schauspieler Kathrin Berg, Andreas Schulz und Maximilian Wex haben es geschafft, mit einem ausgezeichneten Gefühl für Dramatik und die Situation die Zuschauer zum Nachdenken zu bringen: "Steckt auch ein kleiner Liam in mir? Was ist die Loyalität zur Familie wert? Kann man den Gewaltausbruch von Liam akzeptieren oder muss man die Gesellschaft davor bewahren?" Es ist ein Dilemma. Es gilt, sich diesem zu entreißen. Schonungslos ist dieses Dilemma bis zum bitteren Ende beschrieben und erstklassig auf die Bühne gebracht. Es war kein Kuschelrock, der in der Aula gespielt wurde. Das Kammerspiel ist ein packendes Stück bis zur letzten Minute. Genial eben.
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