Wertheim. Mit ihrer Politsatire „Die Empörten“ von Theresia Walser entlarvte die Badische Landesbühne bei ihrer Vorstellung in der Aula Alte Steige in Wertheim Abgründe, die sich im Verborgenen befinden. Dass die Autorin und Regisseur Alexander Schilling nebenher noch Genres-Grenzen vermischten und dem ernsten Thema durch Slapstick-Einlagen eine lächerliche Note gaben, passte optimal zum Inhalt. Es sorgte bei den Zuschauern nicht nur für den Wechsel zwischen Lachen und Empörung ob des Bühnengeschehens, sondern zwang sie auch, im Anschluss noch länger über das Gesehene nachzugrübeln.
Groteske Lage
Schon die Anfangssituation im Rathaus der fiktiven Stadt Irbertsheim ist grotesk. Da hat Bürgermeisterin Corinna Schaad (Evelyn Nagel) mit Hilfe ihres Bruders Anton (Thilo Langer) die Leiche ihres zweiten Bruders Moritz aus der Leichenhalle geklaut. Der Hintergrund: Moritz fuhr mit einem Auto in eine Menschenmenge in der Fußgängerzone – warum bleibt bis zum Ende des Stückes unklar. Es gab ein Todesopfer, der Vater der Muslima Frau Achmedi (Elena Weber). Und wenn das rauskommt, ist die politische Karriere Schaads am Ende.
Und so passiert, was nach solchen Unglücken immer passiert. Es werden Schuldige gesucht und das Geschehen für das eigene Weltbild angepasst. Hat der Täter „Allahu Akbar“ geschrien? Oder ist er ein Rechtsextremer, der es auf muslimische Mitbürger abgesehen hat? So oder so wittert die Rechtspopulistin Elsa Lerchenberg (Cornelia Heilmann) Morgenluft und prognostiziert mit tiefen Sorgenfalten den bevorstehenden Untergang des Abendlandes. Schuld sei nur die Bürgermeisterin, die Flüchtlinge in die Stadt gelassen habe.
Diese Sprüche kennt man. Vorurteile und Rassismus treten offen zutage.
Ganz anders die vermeintlich liberale, weltoffene Bürgermeisterin. Denn diese setzt sich natürlich für die ausländischen Mitbürger ein – auch wenn sie die Tochter des Opfers aufgrund ihres Aussehens automatisch für die Putzfrau hält und sich ihren Namen nicht merken kann. Und spätestens als Frau Achmedi berichtet, dass sie seit 20 Jahren in der Stadt lebt und auf Schaad wegen deren Wohnungs- und Industriepolitik gar nicht gut zu sprechen ist, wird klar, dass es der Kommunalpolitikerin nicht um echtes soziales Miteinander, sondern ausschließlich um ihr Image geht. Noch grotesker wird dies, als sie der Tochter mitteilt, sie bekomme die Bürgermedaille, und diese völlig verdattert fragt, warum, sie habe doch nichts gemacht. Die Antwort: „Um ein Zeichen zu setzen.“
Walser gelingt es ausgezeichnet zu entlarven, wie politische Mechanismen an den Migranten als Menschen und Bürger vorbeigehen – und sie fälschlicherweise zu Opfern statt zu gleichwertigen und selbst fähigen Mitmenschen degradieren.
Doch noch weitere Typen lassen sich ausmachen: Etwa der Wendehals Pilgrim (Stefan Holm), der eigentlich keine Meinung hat und deshalb sein Fähnchen immer nach dem Wind dreht. Holm verkörpert die unfreiwillig komischste Figur im Stück auf unnachahmliche stoische Weise. Sein Zwiespalt, welche Sicht jetzt für ihn profitabler ist, wird deutlich, als er das Wandkreuz, um das ein Streit entbrennt, immer wieder auf- und abhängt. Fast möchte man ihm zurufen: „Jetzt entscheide dich endlich mal.“
Wahrheit interessiert keinen
Der Einzige, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, ist der, der scheinbar im Leben nichts erreicht hat: Anton. Immer wieder möchte er die Wahrheit in die Diskussion einwerfen und das Augenmerk auf seinen Bruder richten – allein, die Wahrheit interessiert niemand. Nach der Einbruchsaktion hat er beide Arme vollständig verbunden. Diese Einschränkung hindert Langer aber nicht am ausdrucksstarken Spiel.
Überhaupt leben die Schauspieler auf der Bühne ihre Charaktere, überzeugen durch Mimik und Gestik. Und bringen die – leider wenigen – Zuschauer ein ums andere Mal zum herzhaften Lachen – etwa, wenn die Leiche in der 500 Jahre alten Truhe versteckt wird und die dadurch angelockten Fliegen imaginär geklatscht werden oder wenn die Lichtschranke immer wieder mit Alarmton reagiert.
Lachen, Nachdenken, Gesellschaftskritik und Sprachwitz – „Die Empörten“ hatte alles, was ein gelungener Theaterabend braucht.
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