Emotionale Gedenkfeier

An die Zerstörung Nassigs erinnert

Ortsvorsteher Axel Kempf legte mit Vertretern der Reservistenortskameradschaft sowie OB-Stellvertreterin Martina Wenzel einen Kranz nieder.

Von 
Birger-Daniel Grein
Lesedauer: 
Bei der Gedenkfeier zur Zerstörung Nassigs am Ende des Zweiten Weltkrieg 1945 legten Ortsvorsteher Axel Kempf, OB-Stellvertreterin Martina Wenzel sowie Vertreter der Reservistenortskameradschaft Nassig einen Kranz nieder. © Birger-Daniel Grein

Nassig. Mit einer emotionalen Gedenkfeier erinnerte Nassig am Montag an die Zerstörung des Dorfs am Ende des Zweiten Weltkriegs und die Toten dabei vor 80 Jahren. Das Gedenken stand dabei unter der klaren Botschaft: „Nie wieder Krieg.“

Ortsvorsteher Axel Kempf freute sich, dass so viele sich die Zeit nahmen, an die Ereignisse zurückzudenken. So waren etwa 150 Menschen auf den Friedhof gekommen.

Mit den Zeitzeugen dürfe die Erinnerung nicht sterben, so Kempf. Bereits 1995 habe man beschlossen, das Gedenken in den Volkstrauertag zu integrieren. Zum 80. Jahrestag des schrecklichen Ereignisses hatte man sich aber für eine zusätzliche Gedenkfeier entschieden.

Der Chor „NasSingers“ sang „Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut die Not um uns herum zu sehen.“ Kempf zitierte in seiner Ansprache aus drei Zeitzeugenberichten (siehe Infobox).

„Unsere damalige Dorfgemeinde Nassig wurde durch mehr als sinnlose Kriegshandlungen in großen Teilen dem Erdboden gleichgemacht. Aus heutiger Sicht das wohl dunkelste Kapitel in der inzwischen mehr als 800 Jahre alten Geschichte unseres Heimatortes.“

Nach acht Jahrzehnten stelle sich die Frage, warum die Erinnerung und das Gedenken auch heute noch wichtig sind. Seine Ausführungen könnten nur der Versuch sein, hierauf eine Antwort zu geben. „Die meisten unter uns haben die schrecklichen Geschehnisse am Ostersamstag 1945 nicht selbst erlebt. Diejenigen, die dabei waren, waren im Kindesalter.“ Um als nachfolgende Generationen zu verstehen, was sie erlebt haben, sei es wichtig, die Erlebnisse der Menschen in Erinnerung zu rufen.

Kempf begann mit dem Bericht des damals 16 Jahre jungen Soldaten Karl Dürrich. Dieser gibt auch Einblicke in das damalige politische Umfeld, aber auch über die Kampfhandlungen in den letzten Märztagen 1945. Dieser sagte darin: „Meine gefallenen Kameraden mahnen, alles zu tun, damit sich so etwas Schlimmes nicht wieder ereignet. Deshalb sage ich: Wehret den Anfängen.“

Kempf zitierte die Überschrift eines Artikels zur Gedenkfeier 1995: „Der verlustreiche Kampf um Nassig leitete das Kriegsende im Raum Wertheim ein“. Ungeklärt sei, ob der von den deutschen Truppen in Nassig geleistete Widerstand dazu dienen sollte, Zeit für die Sprengung des Wertheimer Fliegerhorstes zu gewinnen, oder aber auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Amerikaner von Neunkirchen her schneller als erwartet die Nassiger Gemarkung erreicht und so die deutschen Soldaten zu Kampfhandlungen gezwungen hatten.

Der zweite ausgewählte Augenzeugenbericht stammt von Ernst Scheurich, ehemaliger Bürgermeister und Ortsvorsteher des Dorfs. Er berichtet eindrucksvoll von der Zerstörung. 34 meist junge deutsche Soldaten hätten bei den schweren Kämpfen ihr Leben lassen müssen, heißt es im Zeitzeugenbericht. Kempf ergänzte: „Nicht genau bekannt ist die Zahl der gefallenen Amerikaner. Man nimmt sie mit mindestens zehn an, sodass sich eine Gesamtzahl von etwa 50 Toten ergibt.“

Als Drittes las er aus dem Bericht des damaligen Pfarrers Erich Kaufmann, der die Zerstörung Nassigs und auch den Wiederaufbau miterlebte. Kempf erklärte: „Wir halten fest: Zerstörung und unmenschliches Leiden legten sich damals über unser Dorf, aber auch erste Gedanken in eine hoffnungsvolle Zukunft sind aus den Worten Kaufmanns vage erkennbar.“ Die eindrücklichen Schilderungen führe deutlich vor Augen, was ideologische Verblendung anzurichten vermag. „Auch in einem kleinen Dorf wie bei uns in Nassig.“

Mit dem Verschwinden der direkt vom Krieg Betroffenen verändere sich die Gedenkkultur und deren Gestaltung. Er sei überzeugt, die „Stunde null“ in Nassig fordere uns auch heute heraus. „Wir müssen lernen, uns mit dem Scheitern von Friedensbemühungen auseinanderzusetzen, uns mit der Fragilität von Friedensschlüssen oder dem Nachwirken von Kriegen für die Nachkriegsgesellschaften zu beschäftigen.“

In der Auseinandersetzung werde schnell klar, dass Krieg und Frieden keine fixen, keine absoluten Zustände sind. Frieden sei heute an vielen Orten im wahrsten Sinne des Wortes „unter Beschuss. „Das Gedenken an die Opfer der apokalyptischen Vorgänge in Nassig am 30. und 31. März 1945 sei uns heute Mahnung wider das Vergessen. Nicht das Verschweigen, nicht das Verdrängen, sondern die Erinnerung bereitet den Weg, die richtigen Schlüsse zu ziehen.“

Gemeinsam mit Stefan Arndt und weiteren Vertretern der Reservistenortskameradschaft Nassig sowie der stellvertretenden Oberbürgermeisterin Martina Wenzel legte er einen Kranz am Ehrenmahl nieder. Dies begleitete der Posaunenchor musikalisch.

Wenzel betonte, das „den Krieg nicht vergessen wollen und können“ ziehe sich in Nassig durch die letzten 80 Jahre. Das NS-Regime habe Deutschland damals fest im Griff gehalten und Millionen Tote verursacht. Ausgelöst worden seien die Ereignisse durch die jungen Soldaten, die dem verbrecherischen Befehl folgten, Nassig zur verteidigen. Man gedenke heute den Opfern des blinden Gehorsams und der Zerstörung Nassigs. „Lassen sie und alle Lehren daraus ziehen.“ Man dürfe nicht mehr zulassen, dass Rassismus und Gier nach Macht um sich greifen. „Meinungsfreiheit und die Werte der Demokratie müssen durch uns alle verteidigt werden.“

Nach einem gesungenen Vaterunser der „NasSingers“ erklärte Pfarrer Christoph Brandt, die Zeitzeugenberichte würden ganz klar zeigen, dass die Zerstörung von Nassig nicht aus heiterem Himmel gekommen sei, die Einwohner aber unvorbereitet traf. „Sie war Folge eines Krieges, falscher Hoffnung und Indoktrination. Gnade uns Gott, dass so etwas nicht mehr passiert.“ In seinem Gebet erinnerte er an die schrecklichen Stunden der Angst, den Verlust und die Trauer der Menschen in Nassig vor 80 Jahren. Man gedenke auch den Narben, die bis heute spürbar sind. „Hilf uns, wachsam und Friedensstifter zu sein!“

Zeitzeugenberichte bei der Gedenkfeier verlesen

Nassigs Ortsvorsteher Axel Kempf verlas bei der Gedenkfeier „80 Jahre Zerstörung Nassig“ drei Zeitzeugenberichte von jenem schrecklichen Osterwochenende 1945. Sie finden sich in einer umfassenden Dokumentation der damaligen Geschehnisse von Albrecht Englert.

Der damals 16 Jahre junge Soldat Karl Dürrich beschreibt seine Einblicke in das damalige politische Umfeld und die Kampfhandlungen in den letzten Märztagen 1945. Er berichtet, er sei mit zehn Jahren zum Jungvolk und mit 14 zur Hitlerjugend gekommen. „Am 20. April meldete sich der ganze Jahrgang 1928 als Geburtstagsgeschenk für den Führer kriegsfreiwillig. Neben der Ausbildung an den Waffen wurde nur Hass gegen den Feind geschürt, zuletzt mit dem Vorwand, unsere Heimat verteidigen zu müssen“, zitierte Kempf aus dem Bericht. So motiviert seien sie zur Wehrmacht eingezogen worden und marschierten in den letzten Märztagen 1945 Richtung Front.

Dürrich berichtete auch über seine Erlebnisse im Deckungsloch. Er sei vom Kampfeslärm erwacht und habe sich die Ohren zwischen die Knie geklemmt, um nichts hören zu müssen. „Er erlebte, wie ein amerikanischer Panzer über sein Deckungsloch fuhr. Sein Kamerad und acht weitere Soldaten in vier anderen Deckungslöchern kamen dabei um. Dürrich ergab sich, hatte Mühe, aus dem mit Erdreich zugedrückten Loch freizukommen und kam in Gefangenschaft“, berichtete Kempf. „Sein Zeitzeugenbericht bei der Gedenkfeier 1995 schließt mit den Worten: Meine gefallenen Kameraden mahnen, alles zu tun, damit sich so etwas Schlimmes nicht wieder ereignet. Deshalb sage ich: Wehret den Anfängen.“

Der zweite ausgewählte Augenzeugenbericht stammt von Ernst Scheurich, ehemaliger Bürgermeister und Ortsvorsteher des Dorfs. Dort hieß es zum Ostersamstag 1945: „Gegen Mittag lag ein dichter Rauchschleier über dem Ort, der sogar das Tageslicht verdunkelte. In Nassig brannte es an allen Ecken und Enden, auch unsere schöne Kirche wurde ein Raub der Flammen. Es schien, als sei nun der letzte Tag über unser Dorf hereingebrochen.“ In das Bersten der Granaten und das Hämmern der Maschinenwaffen habe sich das von Angst erfüllte Gebrüll der Kühe und das Quieken der in den Ställen verbrennenden Schweine gemischt. Die Bevölkerung habe zum Teil noch in der Nacht Zuflucht in den Wäldern nördlich von Nassig gesucht. „Einer Familie, die in den Morgenstunden noch einmal ins Dorf zurückkehrte, um eine alte Frau zu retten, wurde dies zu Verhängnis.“ Sie wurde getötet. Weiter berichtete Scheurich, 28 Wohnhäuser, 64 Scheunen, die Kirche, die erst 1929 gebaute Schule sowie ungezählte Nebengebäude waren vernichtet worden. Die Zivilbevölkerung hatte fünf Tote zu beklagen. Darunter die 69 Jahre alte Katharina Krank, die im Keller erschossen wurde. Sie war schwerhörig und deshalb der Aufforderung der Amerikaner, den Keller zu verlassen, nicht gefolgt. 34 meist junge Soldaten hatten bei den schweren Kämpfen ihr Leben lassen müssen.

Als drittes las er aus dem Bericht des damaligen Pfarrers Erich Kaufmann, der die Zerstörung Nassigs und auch den Wiederaufbau miterlebte. Für Kaufmann seien die, Zitat, auflodernden Flammen des Karfreitags nur das Präludium des Schlussakkords des schrecklichen Krieges. Gewesen. Für ihn kündigte schließlich „das Rasseln der Panzerketten aber auch an, dass es vorbei ist und eine neue Zeit beginnt, von der niemand wusste, was sie bringen würde.“ bdg

Freier Autor

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke