Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen

124 Frauen wagen Schritt in ein neues Leben

Eine von vier Frauen erlebt in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt durch ihren Partner. Mit einem Anruf bei "Frauen helfen Frauen"-Beraterin Sandra Klingert machen Betroffene den ersten Schritt raus aus der Gewalt.

Von 
Katharina Buchholz
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143 Taten von Partnergewalt dokumentiert die Kriminalstatistik für den Main-Tauber-Kreis. © dpa/Christin Klose

Main-Tauber-Kreis. Die Textnachricht kommt mitten in der Nacht. Er schreibt: „Ich komme jetzt zu dir. Du wirst deine Knochen nicht mehr an deinem Körper spüren.“ Die Nachricht, die Sandra Klingert frei aus dem Gedächtnis zitiert, macht Angst. Sie stammt vom Partner einer ihrer Klientinnen.

Klingert ist bei der Beratungs- und Interventionsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ beschäftigt. In ihrem Büro im Laudaer Caritashaus empfängt sie Frauen aus dem ganzen Main-Tauber-Kreis, die von ihrem Lebensgefährten oder Ehemann bedroht und misshandelt werden. Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst für das vergangene Jahr 143 Fälle von Partnergewalt im Main-Tauber-Kreis.

Allein in der vorvergangenen Woche haben sich vier neue Klientinnen bei der Beratungsstelle gemeldet, zwei weitere suchten am Montag dieser Woche den Kontakt. Die Gesamtzahl der Frauen, die in den vergangenen Jahren die Hilfe der Beratungsstelle in Anspruch nahmen, ist in etwa konstant: 124 Fälle hat Klingert für 2022 dokumentiert, 119 im Jahr 2021, 105 im Jahr zuvor.

Frauen, die Hilfe suchen, kommen aus allen Schichten

Hinter all diesen Zahlen stehen die Geschichten der Frauen. Diese seien kaum miteinander vergleichbar: Die Frauen kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten – von der Ärztin bis zur Bürgergeldempfängerin. Ein Drittel von ihnen hat Migrationshintergrund. Und während sich manche Betroffene sofort nach dem ersten Vorfall an die Beratungsstelle wenden, bringen andere eine jahrelange Leidensgeschichte mit. Eines haben die Frauen jedoch gemeinsam: „Sie haben das große Bedürfnis im geschützten Raum alles loszuwerden“, sagt Klingert. Zum Teil bis zu einer Stunde erzählen die Frauen, was ihnen in ihrem eigenen Zuhause widerfahren ist: Sie wurden psychisch und physisch misshandelt, eingesperrt oder beleidigt. Sie wurden klein gehalten, indem sie nur über ein Taschengeld verfügten oder nur nach Absprache das Haus verlassen durften.

Mehr Taten werden angezeigt – Hilfe erhalten

Die Anzahl der Taten von Partnergewalt steigt laut Kriminalstatistik seit fünf Jahren kontinuierlich an. So registrierte die Polizei im Main-Tauber-Kreis. 2018 82 Fälle, 2020 128 Fälle und 2022 143 Fälle.

„Es ist bekannt, dass die Zahlen während der Corona-Pandemie angestiegen sind. Ein Blick in die Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Heilbronn (PPH) zeigt aber, dass bereits davor (2018 bis 2019) ein starker Anstieg zu verzeichnen war. Ein Grund dafür dürfte das Anzeigeverhalten der Betroffenen sein. Es werden mehr Taten als früher angezeigt, weil das Thema durch häufige Berichterstattung aber auch durch Sensibilisierungskampagnen präsenter ist als früher“, erklärt Carsten Diehmer vom PPH.

Wer Opfer von Partnergewalt wird, sollte dies konsequent anzeigen und Hilfsangebote in Anspruch nehmen, rät er Betroffenen. „Nur so kann verhindert werden, dass sich Gewalt innerhalb von (Ex-)Partnern/Partnerinnen wiederholt.“

Aus der Kriminalstatistik des Polizeipräsidium Heilbronn (2022): 995 Taten im Bereich Partnergewalt, davon 572 (60%) einfache Körperverletzung, 152 (16%) Bedrohung, 121 (13%) gefährliche/schwere Körperverletzung, 47 (5%) Nachstellung, vier Straftaten gegen das Leben.

Im Main-Tauber-Kreis erhalten Betroffene in der Beratungs- und Interventionsstelle von „Frauen helfen Frauen“ Hilfe. Die Beratungen finden nach Vereinbarung telefonisch oder vor Ort kostenlos, vertraulich und anonym statt. Die Beratungsstelle wird vom Landkreis finanziell unterstützt.

Betroffene erhalten Hilfe unter Telefon 09343/5899491, mobil oder per SMS unter 0178/4663454 sowie per E-Mail an frauenhelfenfrauen.tbb@t-online.de.

Neben der Beratungsstelle ist Öffentlichkeitsarbeit die zweite Säule der Arbeit des Vereins „Frauen helfen Frauen“. Die Ehrenamtlichen organisieren Fahnenaktionen an den Rathäusern in Wertheim, Tauberbischofsheim und Bad Mergentheim zum „Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen“, der jedes Jahr am 25. November stattfindet, organisieren die Ehrenamtlichen einen Kleiderbazar und einen Flohmarkt in Bad Mergentheim sowie verschiedene Benefizveranstaltungen. Informationen zum Verein unter www.fhf-tbb.de oder unter Telefon 09343/5899491. kabu

Sobald die Frauen sich Luft verschafft haben, beginnt Klingerts eigentliche Arbeit. Sie lotet aus, um der Frau den Ausstieg aus ihrer Situation zu ermöglichen: Braucht sie ein eigenes Konto? Benötigt Sie Kleidung, weil sie nicht mehr nach Hause zurückkehren kann? Fehlen wichtige Dokumente? Kann sie vorübergehend in ihrer eigenen Wohnung bleiben, weil der Partner einen Wohnungsverweis von der Polizei erhalten hat? Kann sie bei Freunden unterkommen oder ist ein Frauenhaus der bessere Platz? Benötigt die Frau Prozesskostenhilfe oder andere Unterstützung? Wurden Verletzungen ärztlich dokumentiert? „Wir erarbeiten eine Hausaufgabenliste, die die Frau bis zum nächsten Termin abarbeitet. Sollte sie das nicht allein können, unterstütze ich dabei“, beschreibt Klingert. Sie selbst aktiviert nach einem Termin ihr Netzwerk: Bleibt die Frau in der Region, nimmt die Beraterin Kontakt zu den verschiedenen Stellen wie dem Jugendamt, einer Familienhebamme, der Familienhilfe oder einer Psychologischen Beratungsstelle auf. Sie unterstützt, bei einem Platzverweis (2022: 19 mit Hilfe der Beratungsstelle), besorgt Formulare für einen Gewaltschutzantrag (gerichtlich angeordnetes Kontaktverbot) und bewahrt Beweise wie Text- oder Sprachnachrichten auf, mit denen die Frauen das an ihnen verübte Unrecht beweisen können.

Wenige Frauenhausplätze im Main-Tauber und im Neckar-Odenwald-Kreis

Die Fälle, in denen Klingert Frauen Hals über Kopf von zuhause abholt und unverzüglich in ein Frauenhaus bringt, sind selten. Aber sie kommen vor. Meist jedoch planen Beraterin und Klientin den „Auszug“.

„Frauenhausplätze sind deutschlandweit rar. Im Frauenhaus, das der Neckar-Odenwald-Kreis und der Main-Tauber-Kreis betreiben, gibt es zurzeit drei Plätze. Nach dem Umbau der Räumlichkeiten werden es sieben sein.“ Nach den Vorgaben des Istanbuler Abkommens, das einen Platz pro 10 000 Einwohner vorsieht, müssten es eigentlich 27 sein. Aber: „Wenn eine Frau in ein Frauenhaus möchte, finden wir irgendwo einen Platz“, betont Klingert, Fünf Frauen vermittelte die Beraterin im vergangenen Jahr letztlich in ein Frauenhaus.

Sobald die Betroffene sicher untergebracht ist und ein neues Leben begonnen hat, endet in der Regel der Kontakt zur Beratungsstelle. In einigen Fällen wird Klingert allerdings erneut aktiv: „Etwa wenn der Gewaltschutzantrag nach einem halbem Jahr ausläuft, der Mann gegen die Auflagen des Kontaktverbots verstößt oder es Probleme mit der Umgangsregelung bezüglich der Kinder gibt“, nennt sie Beispiele.

Die Zahl der Kontakte pro Fall habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. „Von 2019 mit 437 auf 2020 mit 773 Gesprächen haben sie sich fast verdoppelt“, berichtet Klingert. Im Jahr 2022 waren es 931 Kontakte.

Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der Platzverweise und der Gewaltschutzanträge, die Frauen mit Hilfe der Beratungsstelle erwirkt haben: 2019 stellt lediglich eine Frau einen Gewaltschutzantrag, 2022 waren es 23. „Das hat etwas mit dem Wissen der Frauen zu tun und mit der Bereitschaft, etwas gegen die Männer zu tun“, schätzt Klingert. Das Thema stehe heute zum Glück mehr in der Öffentlichkeit.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Wertheim

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