Dertingen. In den Ecken der Kirche nahe der Orgel stehen etliche Pfeifen. Ein paar Rasterbrettchen sind daneben aufgestapelt. Dort, wo sonst der Organist sitzt, liegen Kartons und jede Menge Verpackungsmaterial. Gerade steigt Tilman Trefz eine schmale steile Leiter aus dem Orgelinneren hinunter. In der Hand hat er ein weiteres Rasterbrett, auf dem recht kleine Pfeifen in den Löchern stecken.
Pfarrer Bernhard Ziegler, der gerade in einem Picknickkorb Kaffee vorbeigebracht hat, fasst zu, nimmt das Brett mit den Pfeifen ab, damit Trefz sicher die Stufen hinabklettern kann. Seit 9 Uhr morgens ist der Orgelbaumeister in Dertingen am Werk.
Trefz hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Inzwischen leitet er eine eigene Firma in Rommelshausen bei Stuttgart, die sowohl Orgeln renoviert, repariert als auch neu baut. Der Neubau der dreimanualigen Orgel in der Stadtkirche in Vaihingen an der Enz war eines der letzten großen Objekte seines Unternehmens.
Nun also steht die Barockorgel in Dertingen auf der Agenda. Sie stammt von 1967, birgt rund 1000 Pfeifen und wurde von den Gebrüdern Mann gebaut. Die Kirche selbst ist noch deutlich älter. Sie wurde im Hochmittelalter, also im 13. Jahrhundert, erbaut und durch den Konfessionswechsel der Grafschaft Wertheim evangelisch. Heute birgt sie einen vorreformatorischen Marienaltar.
Mängel festgestellt
Bei einer Routinebereisung durch die Landeskirche Karlsruhe wurde der akustische, handwerkliche und materielle Mangelzustand der Orgel festgestellt. „Sie passt auch von der Größe eigentlich nicht so richtig in die Kirche“, sind sich der Orgelbaumeister, Kirchendiener Steffen Baumann und Pfarrer Ziegler einig. Schnell wurde klar, eine Sanierung der Mann-Orgel wird fast genauso teuer wie ein Neubau, allerdings mit Qualitätseinbußen.
Der Dertinger Kirchengemeinderat entschied sich vor über fünf Jahren gemeinsam mit der damaligen Bezirkskantorin Katharina Wulzinger für die Demontage der alten Orgel und einen anschließenden Neubau. „Wir haben damals eine Orgelbereisung gemacht, uns mehrere angeschaut und angehört“, erinnert sich Ziegler.
In Bächlingen an der Jagst (gehört zu Langenburg) steht eine Trefz-Orgel, die den Vorstellungen der Dertinger sehr nahe kam.
In mühevoller Kleinarbeit baut Tilman Trefz zwei Tage lang die rund 1000 Pfeifen und Register, die Rasterbrettchen und den Motor aus. „Intakte Pfeifen und Register werden in der neuen Orgel verbaut, um Geld und Ressourcen zu schonen“, erklärt der Orgelbaumeister. Er rechnet damit, dass er etwa die Hälfte der Pfeifen wieder verwenden kann. „Das Grundproblem in Dertingen war, dass die alte Mann-Orgel technisch nicht mehr zu einem adäquaten Preis zu renovieren war.“ Außerdem würde sie die Kirche aufgrund ihrer Größe total dominieren. „So etwas kann man deutlich besser gestalten. Aber dafür muss man auch die ganze Technik neu bauen.“
Ein Bassregister, das noch in einem guten Zustand ist, wird allerdings nicht mehr in Dertingen verbaut, sondern kommt der Orgel in der Nachbargemeinde Bettingen zugute.
Die Herausforderung für den Orgelbauer: „Obwohl die neue Orgel baulich kleiner sein wird, muss sie die Kirche mit einem adäquaten Klang füllen können.“ Verbaut werden soll dafür eine dauerhafte Technik. „Ich finde es immer positiv, wenn man ohne Elektronik auskommt. Sich bei einer Orgel, die 100 Jahre hält, auf Elektronik und Computer zu verlassen, ist einfach keine gute Idee“, sagt Trefz. Für Dertingen baut er eine rein mechanisch betriebene Orgel, bei der man sehr gut ohne Elektrik zurechtkommen wird. Lediglich der Motor, der die Luft schaufelt, wird wieder eingebaut. Weil die Technik bei jeder Orgel sehr individuell ist, können auch nur die Pfeifen und die Gebläsemaschine mit Motor wieder verbaut werden, der „Rest“ muss neu angepasst und zusammengefügt werden.
Hat der Fachmann die über 1000 Pfeifen aus der Orgel gebaut, sortiert und verpackt, wird nur noch das Gehäuse stehen.
In Rommelshausen werden die Pfeifen dann vermessen und begutachtet, die letzten Pläne gezeichnet, für die man diese Maße benötigt. Ein Mitarbeiter im Unternehmen ist bereits seit Tagen dabei, die neuen Tasten zu bauen.
In den nächsten Tagen werden dann die Dertinger aktiv, um den Holzkörper mit Hilfe eines Schreiners komplett abzubauen. „In der Gemeinde herrscht schon eine bestimmte Betroffenheit, weil man sich von einem alten Stück verabschieden muss“, erzählt Baumann, der lange Zeit im Kirchengemeinderat aktiv war und heute Führungen durch den sakralen Bau anbietet.
Eine Pfeife für eine Spende
Der Pfarrer rechnet mit Gesamtkosten von rund 200 000 Euro – inklusive Elektrikarbeiten und Bemalung. „Für eine kleine Kirchengemeinde, wie wir es sind, ist das eine sehr große Summe“, sagt Bernhard Ziegler. Von der Landeskirche werden 30 000 Euro Beihilfe fließen. „25 Prozent der Summe wird über ein Darlehen finanziert, welches wir auch über die Landeskirche bekommen, und der Rest sind Eigenmittel oder Spenden“, erklärt der Pfarrer. So müssen durch Spenden und Eigenmittel voraussichtlich 110 000 Euro selber aufgebracht werden.
In der Gemeindetätigkeit wird nun der Schwerpunkt auf den Neubau der Orgel ausgerichtet, um Gelder zu akquirieren. Den aktuellen Spendenstand kann Ziegler nicht benennen, weil sich die Summe täglich ändert. Er schätzt, dass bereits 15 000 Euro im Säckel sind. „Die Spendenakquise läuft erst richtig an, weil man jetzt, wenn die Orgel abgebaut ist, erst etwas sieht“, so Ziegler. Auch denke man darüber nach, eine Spende mit einem Teil aus der Orgel, der nicht mehr gebraucht wird, als Andenken zu vergüten. „Nun hoffen wir, dass der Spendenfluss Fahrt aufnimmt.“
Die Fertigstellung
Tilman Trefz rechnet damit, dass die Arbeiten in einem Jahr abgeschlossen sein werden und das Instrument nach Pfingsten das erste Mal erklingen kann. Mit einem entsprechenden Gottesdienst soll die neue Trefz-Orgel dann eingeweiht werden. Und weil es eine Barockorgel ist, würde sich ein Werk von Johann Sebastian Bach durchaus anbieten, so Ziegler. „Wir versprechen uns nicht nur eine gottesdienstliche, sondern auch eine kulturelle Nutzung der Orgel und damit verbunden die Bereicherung des kulturellen Lebens in Dertingen“, so Ziegler. Der Pfarrer könne sich durchaus vorstellen, dass man dann in Zukunft – verstärkter als bisher – interessante Konzerte anbieten werde.
Damit Gottesdienste, wie beispielsweise am kommenden Sonntag, nicht auf Orgelklang verzichten müssen, erhält die Kirche eine Minipfeifenorgel im Truhenformat als Leihgabe. „Das ist wirklich ein spannendes Instrument“, sagt Trefz. „Sie kommt aus der Nachbargemeinde Reichholzheim und steht dort im evangelischen Gemeindesaal“, weiß Steffen Baumann. Ersatz über die Landeskirche zu beschaffen, wäre sehr aufwendig geworden, so Baumann.
Noch schnell klären die drei Männer, wo die Truhenorgel am besten aufgestellt werden soll. Als auch das geklärt ist, steigt Tilman Trefz die steile Leiter wieder hinauf und verschwindet im Innern der Orgel.
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