Wenkheim. Theodor Erbacher aus Werbach hatte eine Stiege voller Äpfel von seiner Streuobstwiese mit dabei. Die hatte sein Vater vor vielen Jahren in Werbachhausen nahe der Brücke angelegt. An diesem Tag nun hatte er die Möglichkeit, wie viele andere auch, die Sorten von Deutschlands bekanntestem Pomologen Werner Nussbaum bestimmen zu lassen. Dem Fachmann genügte manchmal nur ein kurzer Blick, und schon war klar, dabei handelt es sich um einen Lohrer Rambur oder James Grieve. Doch nicht nur Erbacher nutzte die Chance der Sortenbestimmung. Die Warteschlange hinter ihm nahm schnell zu.
Im Flur davor war eine lange Tafel aufgebaut, auf der die über 120 in Wenkheim erfassten Apfel-Sorten auf kleinen Tellern angerichtet und mit Namen versehen waren. Im Nebenraum saßen ein paar Gäste, die mit Interesse einen Film über die Kartierung und die Sortenbestimmung verfolgten.
Bewusstsein für Kulturlandschaft schärfen
Die eigentliche Veranstaltung fand in der Turnhalle statt. „Wir wollten mit der Kartierung unserer Streuobstwiesen wertvolle Relikte sichtbar machen und das Bewusstsein für die Kulturlandschaft schärfen.“ Mit diesen Worten beschrieb der Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins Wenkheim (OGV), Wolfgang Schulze, das große Ziel der Kartierung. Dabei handelt es sich um ein außergewöhnliches Pilotprojekt, bei dem tatsächlich jeder Baum auf den Streuobstwiesen erfasst, die Sorten erkannt und der Zustand der Bäume bewertet wurden.
Insgesamt haben die Mitglieder des Vereins mehr als 500 Stunden dafür aufgewandt, allen voran Klaus Seidenspinner und Fachberater Tobias Hornung. Hornung ist gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Vereins Tauberländer Bio-Streuobstwiesen. „Ohne seine Initiative wäre die Kartierung wahrscheinlich nicht durchgeführt worden“, gibt Wolfgang Schulze zu.
Hornung war es auch, der am Sonntag das genaue Vorgehen bei der Kartierung und die daraus resultierenden Ergebnisse den zahlreichen Anwesenden vorstellte. Man habe die Kartierung in Angriff genommen, um den Ahnen Respekt zu erweisen und das Kulturgut Streuobstwiese für die Zukunft zu bewahren, so Hornung.
Nicht nur für ihn sind Streuobstwiesen ein wichtiges Kulturgut, dem eine Schlüsselfunktion im Ökosystem zukommt und das es zu bewahren gilt. Deutlich machte Hornung den zahlenmäßig rapiden Rückgang (siehe Infokasten). „Dieser Verlust tut mir sehr weh“, sagte er.
Doch weil diese Daten bisher nur per Satellit erfasst wurden, war er der Meinung, dass man „Nägel mit Köpfen machen müsse“ und initiierte deshalb das Projekt der Kartierung.
Die Bestimmung der Apfel-Sorten übernahm Werner Nussbaum. Die Kartierung fand vom 16. Bis 19. September 2024 und noch einmal wenige Tage vor der Konferenz statt (wir berichteten).
Durch die exakte Kartierung wolle man alte, regionale und seltene Sorten unbedingt erhalten und somit den Genpool sichern. „Die Kartierung bietet Einblicke in den Bestand und ermöglicht somit auch, das Erstellen eines Pflegekonzepts.“ Hornung rief andere Kommunen auf, es den Wenkheimern gleich zu tun, „um den Schwund aufzuhalten.“
Die Mitglieder des OGV und der Fachmann sind bei der Kartierung auch auf absolute Raritäten gestoßen, fanden aber auch einen Winterrambur mit 960 Gramm Gewicht.
Festgestellt wurde auch, dass rund zehn Prozent aller kartierten Bäume befallen sind. Auch die Pilzarten und Höhlen in den Bäumen wurden erfasst, genauso wie das Alter der Bäume. Hornungs Fazit: Die Bäume sind überaltert, es gibt zu wenig Neupflanzungen, eine Sortenverarmung findet statt, es gibt zu viele kranke und ungepflegte Bäume. An dieser Stelle greifen die Angebote des OGV, wie ihre Pflegemaßnahmen, Beratungen und angebotene Schnittkurse.
Aber auch der Verein Tauberländer Bio-Streuobstwiesen trägt mit umfangreichen Maßnahmen zum Erhalt der alten Sorten bei. Dafür gab es vom zahlreichen Publikum sogar Zwischenapplaus.
Wenkheimer roter Scheunenapfel jetzt im Register erfasst
Als einen Höhepunkt der Kartierung bezeichnete Hornung die Eintragung des Wenkheimer Scheunenapfels beim Bundessortenamt als Amateursorte. „Er wollte mit seinem Vortrag nicht nur auf sinkende Bestände hinweisen, sondern gleichzeitig aufzeigen, dass Vereine Maßnahmen gegen den Schwund der Streuobstwiesen und der Sorten ergreifen.
Mehrere Grußredner zollten dem Pilotprojekt und dessen Mitwirkenden ihre Achtung. Werbachs Bürgermeister Georg Wyrwoll: „Das Projekt ist nicht nur vorbildlich im Kreis, sondern ein landesweites Aushängeschild.“ Landrat Christoph Schauder zeigte sich überrascht über die große Anzahl der kartierten Apfelsorten in der Gemarkung. „Wenn man weiß, was man hat, kann man es auch schützen.“
Eva Grubmiller ist Geschäftsführerin des Landesverbands für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg: „Mit der Kartierung ist ein wertvolles Werk entstanden, das Wissen bewahrt und ein Fundament für die Zukunft legt. Solche Pilotprojekte sind wichtig, weil sie Praxis und Wissenschaft verbinden.“ Der OGV Wenkheim zeige seit seiner Gründung 1990, was so ein Verein leisten kann. „Ohne diese Arbeit würde unsere wertvolle Landschaft anders aussehen und es würde etwas fehlen“, würdigte sie die Vorreiterrolle der Wenkheimer mit ihrem Pilotprojekt. Besonders hervorgetan in der Förderung des Obstbaues hat sich Klaus Bauer, der von 2996 bis 2025 Vorsitzender des Vereins war. Bauer wurde mit der bronzenen Medaille des Landesverbands ausgezeichnet.
Glückwünsche überbrachte auch Harald Lurz, Fachberater für Obst, Garten und Landschaft beim Main-Tauber-Kreis. „Dieses Projekt ist zukunftsweisend. Denn es wurden Sorten gefunden, die trockenresistent sind. Bäume, die hier stehen, könnten zukünftig das Paradies für uns bedeuten.
Mit einem Vortrag über die Vorgehensweise bei einer Kartierung und die Sortenbestimmung rundete der Pomologe Werner Nussbaum die Veranstaltung ab. „Jeder Baum, der heute umfällt, kann bedeuten, dass diese Sorte damit für immer verschwindet“, mahnte er.
Die Ergebnisse der Kartierung
- Bundesweit gibt es 240.000 Hektar Streuobstwiesen, in Baden-Württemberg etwa 80.000 Hektar (rund 7,1 Millionen Bäume). Der Rückgang betrug seit 1960 etwa 60 Prozent.
- Im Main-Tauber-Kreis wurden per geografischer Erhebung etwa 134.000 Bäume auf Streuobstwiesen erfasst. Der Rückgang in den vergangenen zehn Jahren wird mit 17 Prozent beziffert.
- Nach der exakten Kartierung auf Wenkheimer Gemarkung ergeben sich folgende Ergebnisse: Gezählt wurden 1515 Bäume, davon 1062 Apfelbäume, 115 Birnbäume aber auch eine Schwarznuss und eine Edelkastanie.
- Nach der Sortenbestimmung durch den Fachmann wurde festgestellt, dass auf Wenkheimer Streuobstwiesen über 120 verschiedene Apfelsorten zu finden sind. Spitzenreiter mit 120 Bäumen ist der Brettacher Apfel, gefolgt von Rheinischen Winterrambur (108), Rh. Bohnapfel (83) und Boskop (51).
- Raritätenfunde waren unter anderem eine Oberdiecks Renette (Nussbaum weiß von nur nochfünf Bäumen), Rambur Papeleu, oder Weißer Kanada.
- Absolute Neuheit: der Wenkheimer rote Scheunenapfel. Er wurde auf dem Grundstück der Familie Bopp gefunden und ist inzwischen im Sortenregister eingetragen.
- Ein Hektar Streuobstwiese speichert rund 1 Million Liter Grundwasser . hei
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