Gedenkveranstaltung

Erinnerung an die Pogromnacht in Wenkheim

„Gedenkstättenverein Wenkheimer Synagoge – die schul“ ließ die Ereignisse vor 85 Jahren Revue passieren

Von 
Jens-Eberhard Jahn
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Der Davidstern erinnerte an die Pogromnacht in Wenkheim vor 85 Jahren. © Jens-Eberhard Jahn

Wenkheim. „Nie wieder ist jetzt“, so das Motto: Am Donnerstag fand in der früheren Wenkheimer Synagoge eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 85. Jahrestages der nationalsozialistischen Novemberpogrome statt. Über 30 Personen waren der Einladung des „Gedenkstättenvereins Synagoge Wenkheim – die schul“ gefolgt. Vor der Synagoge hatten Vereinsmitglieder einen Davidstern aus Kerzen aufgebaut. Der Wind fuhr diesem nach außen sichtbaren Gedenkens allerdings in die Parade.

In der Synagoge wies Wendelin Bopp vom Gedenkstättenverein zu Beginn darauf hin, dass auch im kleinen Wenkheim vor 85 Jahren Pogrome stattgefunden hätten. Drei Sprecher erinnerten in einer szenischen darstellung an deren Vorgeschichte. Die 46 Jüdinnen und Juden, die 1933 in Wenkheim ansässig waren, seien vermehrt feindlichen Übergriffen ausgesetzt gewesen und zudem durch den Boykott jüdischer Geschäfte in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht, so dass vier Unternehmer bis 1938 ihre Betriebe aufgegeben hatten. Eindringlich schilderten die Mitglieder des Gedenkstättenvereins die Ereignisse, die genau dort und auf den Tag genau vor 85 Jahren stattgefunden hatten: Am 9. November 1938 verwüsteten einheimische und aus Tauberbischofsheim herbeigekommene SS-Leute den Innenraum der Synagoge und zogen dann zu den jüdischen Häusern weiter, deren Bewohner sie misshandelten und beraubten.

Die ursprünglich beabsichtigte Sprengung der Synagoge fand nicht statt, da befürchtet wurde, das Feuer könne auf die umstehenden Häuser übergreifen. Das aus diesem Grund erhalten gebliebene Gebäude nutzte später die örtliche Hitlerjugend. Die verbliebenen 13 Wenkheimer Jüdinnen und Juden, die noch nicht ins Ausland geflohen waren, wurden im Oktober 1940 im Rahmen der sogenannten Wagner-Bürckel-Aktion in das französische Internierungslager Gurs nahe der spanischen Grenze deportiert.

Dieses Schicksal betraf fast alle jüdischen Deutschen in Baden, darunter insgesamt knapp 100 Menschen aus dem damaligen Landkreis Tauberbischofsheim. Danach begann die industrielle Vernichtung jüdischen Lebens in Europa.

Unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ wurden vier Texte vorgetragen, die vor wenigen Tagen in der Tageszeitung „taz“ erschienen waren. In ihnen schildern deutsche Jüdinnen und Juden, wie nach dem Überfall der Hamas auf Israel vor einem Monat die Furcht in ihr Leben Einzug gehalten habe. Ein Chemnitzer Gastwirt berichtet, wie mehrfach täglich aus Angst vor Anschlägen reservierte Tische storniert würden. Ein Start-Up-Gründer aus Pforzheim stellt fest, dass sich immer weniger Menschen in die Synagoge trauen. Nur eine alte Rentnerin scheint gelassen und zitiert ihren Adoptiv-Vater: „Wir Juden geben niemals auf, wir gehen immer vorwärts“.

Dies ist auch die Kernbotschaft des Films „Lauf, Junge, lauf“ des Regisseurs und Produzenten Pepe Danquart aus dem Jahr 2013, der im Anschluss an die kurze Feierstunde gezeigt wurde. Die deutsch-polnisch-französische Koproduktion basiert auf dem gleichnamigen israelischen Jugendroman von Uri Orlev und dieser wiederum auf den Ereignissen im Leben von Yoram Fridman (1934-2017).

Im Mittelpunkt des Films steht ein neunjähriger Junge, der sich nach geglückter Flucht aus dem Warschauer Ghetto über zwei Jahre lang durchschlägt. Dies gelingt ihm durch Verstellung: Aus dem polnischen Juden Srulik Fridman wird der polnische Katholik Jurek Staniak. Kurz vor Kriegsende findet er in der Familie eines Schmieds ein neues Zuhause. Als ihn der Beauftragte des jüdischen Waisenhauses von dort abholen, widersetzt sich Jurek zunächst.

Dann erinnert er sich an die Worte seines Vaters „Vergiss nie, dass du ein Jude bist“. Als Srulik entscheidet er sich daher für das Waisenhaus und wandert als Erwachsener schließlich nach Israel aus. Der Film endet dokumentarisch am Strand von Tel Aviv.

Eine Zuschauerin in Wenkheim freute sich, dass der Film weitgehend ohne Schwarz-Weiß-Malerei auskomme: „Interessant fand ich die Rolle der polnischen Zivilbevölkerung und die Abwechslung tröstlicher und ermutigender Begegnungen mit schrecklichen Ereignissen.“

Schrecken und Ermutigung kennzeichnen das deutsche Schicksalsdatum „Neunter November“: 1848 endete an diesem Tag die Märzrevolution, 1918 wurde die Republik ausgerufen, 1923 fand der Hitlerputsch statt, 1938 die Pogromnacht und 1989 schließlich der Fall der Berliner Mauer.

Auf die Erinnerung an die Schrecken vor 85 Jahren folgte am Donnerstag auch in Wenkheim die Ermutigung: Nach der Veranstaltung brannten die Kerzen auf dem Vorplatz wieder. Der leuchtende Davidstern unterstrich das klare Bekenntnis der Teilnehmerinnen und -teilnehmer zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland.

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