Weikersheim. Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt Universität zu Berlin und Spiegel-Bestseller-Autor, sprach vor rund 550 Zuhörern in der Tauberphilharmonie und vielen weiteren im Livestream zum Thema „Konsens oder Konflikt – wie polarisiert ist unsere Gesellschaft?“. Er erklärte, weshalb Spaltung oftmals Gefühlssache ist.
„Unsere empirischen Daten zeigen keine strukturelle Spaltung in Deutschland – so wie beispielsweise in den USA, wo zwei deutliche Lager die Gesellschaft spalten“, erklärte Prof. Steffen Mau vor zahlreichen Interessierten in der Tauberphilharmonie in Weikersheim. Das möge den ein oder anderen überraschen, meinte der Experte für Makrosoziologie, der bei der 9. Enter the Future-Veranstaltung der Wittenstein Stiftung zu Gast war, und erläuterte weiter, man dürfe „aus der Diskursebene im öffentlichen Raum nicht die falschen Schlüsse ziehen“.
In grundsätzlichen Ansichten nicht so verschieden
Die Menschen in Deutschland seien in ihren grundsätzlichen Ansichten nicht so verschieden, wie sie das in manch anderen Ländern – wie Großbritannien oder Polen – seien, und wie es womöglich den gefühlten Anschein mache. Beim Klimawandel zum Beispiel würden nur unter zehn Prozent der Bevölkerung dessen Existenz leugnen – doch sei man im Umgang mit dieser Thematik unterschiedlicher Meinung, dort liege der zentrale Konflikt. Auch das inzwischen wahlentscheidende Thema Migration werde in seinen Grundzügen ähnlich von den Befragten bewertet: „Die allermeisten wollen keine Abschottung“, doch würden sie sich eine Politik wünschen, „die leistet, was sie verspricht“ und eine Lösung samt Maßnahmen dafür findet.
Der öffentliche Diskurs werde von den „lauten extremen Rändern“ eingenommen, machte Steffen Mau deutlich, und hauptsächlich werde diese „Polarisierung von oben gebracht“. Sie entstünde zum einen durch „Polarisierungsunternehmer“ in der Politik, „die das Narrativ der gespaltenen Politik brauchen, um ihre Politik zu machen“. Als Beispiel nannte der Experte Sahra Wagenknecht, die mit dem BSW keine wirkliche Partei, sondern vielmehr einen Wahlverein gegründet habe, merkte er an.
Das könne auch ein Günther Jauch vollbringen, „der aufgrund seiner Popularität sicher einige Wählerstimmen bekäme“. Außerdem sei da Donald Trump, der die Angst der Menschen im US-Wahlkampf geschürt habe – und Angst beziehungsweise eine negative Emotion sei viel leichter zu erzeugen als eine positive.
Auch auf den diversen Social Media-Plattformen könne man den Eindruck gewinnen, dass den Nutzerinnen und Nutzern nur die Option bleibe, zu Themen entweder „Ja“ oder „Nein“ zu sagen. Die mittlere Konsensebene würde verschwinden und außerdem pushe der Algorithmus Themen zusätzlich, bei denen die Nachfrage groß sei – auch hier seien es vorwiegend Beiträge, die in ihrem zugespitzten Inhalt oder der Machart polarisieren.
So habe es unter anderem die AfD geschafft, von jungen Wählerinnen und Wählern Aufmerksamkeit zu erhalten, andere Parteien hätten aufgrund fehlender Präsenz und Agenda Settings im politischen Diskurs eingebüßt. Auch Berichte in der Presse, wo mitunter kleine Konflikte und marginale Fragen „hochgekocht werden“ würden, so der Soziologe, befeuern die Spaltung weiter. Parteien, denen zunehmend die Mitglieder fehlen, würden in einer Zeit der „Affektpolitik“ der Themenkonjunktur hinterherlaufen. Der Wähler habe sich außerdem von Stammkunden zum Schnäppchenjäger gemausert, stellte Steffen Mau dar, was alles zu einer „Hyperpolitik“ führe, in der nicht mehr klar sei, wie Kompromiss etabliert werde.
Herbeigeredete Spaltung ist gefährlich
Eine eigentlich nicht vorhandene, aber doch durch die Stimmung herbeigeredete Spaltung sei gefährlich, schlussfolgerte Steffen Mau, da aus ihr eine reale Spaltung resultieren könne. Menschen würden durch die emotional geführten Debatten getriggert, weil sie sich ungerecht behandelt und nicht gesehen fühlen. Es fließe viel Energie in nebensächliche Diskussionen, doch letztendlich erfolge keine Weichenstellung für nachhaltige Strategien.
Auf die Frage, wie man ein Auseinanderdriften in der Gesellschaft aufhalten könne, antwortete er, dass man die „stille gesellschaftliche Mitte in den Diskurs zurückbringen“ müsse. Der verrohte öffentliche Diskurs durch die überlauten Ränder müsse eingebremst werden. Der Schlüssel zu allem sei, dass die Menschen sich nicht von der Entwicklung überrollt fühlen, sondern mitgestalten können. An die Stelle der negativen Gefühle und der Ohnmacht sollten Stolz und gefühlte Anerkennung treten, ein „Sense of Ownership“, eine Erfahrung der Selbstwirksamkeit und der Verantwortung.
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