Amateurtheater

Publikum biegt sich vor Lachen

„Doredräwer“ feiern in der Schäftersheimer Bauernhalle gelungene Premiere mit „Eine ganz heiße Nummer“

Von 
Inge Braune
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Schäftersheim. Ausverkauft – schon vor der Premiere! Selbst für die Zusatzvorstellung am 30. März ist kaum noch eine Handvoll Karten zu bekommen. Zu schade – aber mit vollstem Recht, denn auf die Gäste wartet ein umwerfend komischer Abend mit Lachmuskelkater-Garantie. Der Hintergrund des 2011 verfilmten Stücks von Andrea Sixt ist ernst: Mit der angekündigten Schließung der Glashütte stehen nicht nur die Existenzen der dort Beschäftigen auf dem Spiel, sondern im Grunde die Existenz des ganzen Dorfes.

Es sind die Frauen, die sich jetzt gezwungen sehen, das Ruder herumzureißen: Bürgermeistergattin Gerti Oberbauer (Sonja Hein) setzt wie Pfarrer Gandl (Klaus Richter) aufs Gebet und hofft verzweifelt auf einen Auftrag aus der Domstadt. Und die geschiedene Ladenbesitzerin Maria Brandner (Marlene Herrmann), der jetzt auch noch die Kündigung des Kredits ins Haus flattert, setzt mit ihrer Mitarbeiterin Waltraud Wackernagel (Jutta Gromes) und der Hilfskraft Lena Rosner (Linda Eder) auf „Eine ganz heiße Nummer“: Wenn’s um das blanke Überleben geht, müssen moralische Bedenken eben fallen – und mit Telefonsex lässt sich ja vielleicht doch Geld in die Kasse holen.

Es ist schlicht genial, wie das Ladentrio die Gefühlsklaviatur beherrscht: Rauf und runter zwischen Verzweiflung, Hoffnung, hin und her zwischen Ernst und Heiterkeit, im teilweise sekundenschnellen Wechsel zwischen Angriff und Verteidigung, ergreifendem freundschaftlichen Mitgefühl und schwülstigem Sextalk – es könnte einem schwindlig werden angesichts des Strudels, würde man nicht immer wieder angesichts der einfach umwerfenden Situationskomik durchs unvermittelt durchschüttelnde eigene Gelächter auf einen der rund 150 Sitzplätze in der Bauernhalle zurückgeholt.

Mitten zwischen dann doch nicht mehr ganz so jungen Erbsen aus der Region, Toilettenpapier, Haushaltswaren, vordigitaler Waage und einem Kaugummiautomaten aus der „Das war dann mal weg“-Serie versuchen die Mädels, sich anhand einschlägiger Heftchen über „Igitt“ und „wie soll das denn gehen?“ hinwegzusetzen und üben – das Publikum schmeißt sich schier weg vor Lachen – ein, wie sich Orgasmen akustisch vorspielen lassen.

Spärlicher Publikumsverkehr

Das alles – auch die einfach zum Schreien komisch gestaltete Dildofee-Party (Frank Dimler, der auch als knallharter Banker und Telefonsex-Kunde auftritt) – läuft im Dorfladen mit zwar spärlichem, aber doch noch vorhandenem Publikumsverkehr, mit dem im Nebenzimmer liegenden kranken Vater Marlenes (Philipp Schmitt als Eugen) und mit der steten Gefahr, dass nicht nur Kunden, gute Bekannte und Partner – darunter Landwirt Willi (Benedikt Reindel) und Waltrauds Ehemann, kreativer Gestalter der Glashütte (Andreas Fischer-Klärle) – vorbeischauen, sondern dass auch der Pfarrer oder die äußerst neugierige Frau Bürgermeistergattin, zugleich Frauenbund- und Kirchenchorvorsitzende, unverhofft hereinplatzen.

Zur Hauptbühne Laden gesellen sich angedeutete Nebenschauplätze: die Kirche, in der der Pfarrer Solidarität und Moral einfordert, und ein angedeutetes Wohnzimmer, von dem aus mancher Anruf eins der drei Diensthandys erreicht.

Es ist eine wirklich erstaunliche Leistung, die Regisseurin Stefanie Schnitzler mit dieser Truppe auf die Bauernhallenbühne bringt: Eine Unzahl akustischer Einspieler und Lichtwechsel hat das Technik-Team zu meistern, und ohne die hoch engagierten Teams von Bühnenbau, Regieassistenz, Kostümbetreuung, Maske, Vorverkauf und Küche – nur das Soufflage-Duo wird während der Vorstellungen kaum in die Pflicht genommen – wäre die Aufgabe nicht zu bewältigen gewesen.

„Ganz schön mutig“, loben Kollegen aus der Amateurtheaterzunft. Das muss man erst einmal schaffen: Orgasmen sound so Aug’ in Aug’, fast hautnah vor dem 150-köpfigen Publikum zu produzieren. Ist das noch jugendfrei? Ist es. Netz und TV liefern auch am helllichten Tage weit mehr.

Ist das moralisch noch vertretbar? Aber hallo! „Sex sells“ zwar, aber hier geht’s um anderes: Das juckt nichtverzweifelte Rettungsversuche, auch wenn das Trio ein ganzes Dorf gegen sich aufbringt, auch um Vereinsamung, ums Frauen- und ums Männerbild, um Vorurteil, Scheinheiligkeit, um sterbende Dorfinfrastruktur, um hie möglichst viel und möglichst billig und da den drohenden Laden-Exitus. Es geht um Freundschaft, Liebe und ganz nebenbei – und einfach köstlich von Philipp Schmitt präsentiert – um das Tabu der Lust im Alter.

Die „heiße Nummer“ ist, genau besehen, ein vielschichtig konstruiertes Gesellschaftsstück im Lustspielgewand, reich an Esprit, Witz, Ernst und Heiterkeit. Da wird perfekt auf den Punkt gespielt, bis an den Rand, doch nie drüber hinaus gemimt, gespielt und – ja, auch das – perfekt gekeucht.

Alle schlichtweg perfekt

Wen soll man nur aus dieser Spielerschar am meisten loben? Sie sind doch alle schlicht perfekt: Dimlers „Dildofee“ ist punktgenaue Parodie, die Aus- und Einbrüche von Jutta Gromes sind bis ins letzte ausgespielt, wie Linda Eder und Marlene Herrmann Flirt und Verzweiflung samt auf die Bühne bringen, ist ebenso perfekt wie Richters Pfarrer-Segensgeste, Schmitts fast schon sabbernde Eugen-Wühlerei in einschlägigen Journalen, Sonja Heins moralische Gerti-Empörung, Benedikt Reindels Willi-Bekenntnis oder Fischer-Klärles emotional berührendes Spiel als Waldtrauds Ehemann.

Und insgesamt? Das Publikum spielt mit, lässt sich mit- und hinreißen, lacht sich halb schlapp. Wenn’s stimmt, dass Lachen so gesund ist, ist „Eine ganz heiße Nummer“ schlicht eine Kur – empfehlenswert gerade dieser Tage.

Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

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