Russlanddeutscher Kulturpreis geht nach Niederstetten

Land Baden-Württemberg ehrt Podcast „Steppenkinder“

Preis für Edwin Warkentin und Ira Peter „mehr als verdient“

Von 
Inge Braune
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Den Russlanddeutschen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg überreichte Ministerialdirektor Reiner Moser stellvertretend für den Stifter des Preises, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. Das Bild zeigt Moser (Mitte) gemeinsam mit Ira Peter und Edwin Warkentin. © Podcast Steppenkinder

Große Auszeichnung für Edwin Warkentin und Ira Peter: Sie werden für ihren Podcast „Steppenkinder“ mit dem Russlanddeutschen Kulturpreis für „hervorragende Leistungen auf kulturellem Gebiet“ ausgezeichnet.

Niederstetten/Stuttgart. Derzeit leben hierzulande Schätzungen zufolge rund 2,6 bis drei Millionen Russlanddeutsche. Einer von ihnen ist Edwin Warkentin: Geboren in der kasachischen Industriestadt Temirtau siedelte er 1994 gemeinsam mit seinen Eltern, dem Schauspielerehepaar Maria und Peter Warkentin, aus Kasachstan um nach Hohenlohe-Franken. 14 Jahre alt war er beim Umzug aus der russischen Industriestadt ins beschauliche deutsche Städtchen Niederstetten. Mit Ira Peter teilt Warkentin, der nach dem in Weikersheim abgelegten Abitur in München slawische Philologie, Politologie und die Geschichte Ost- und Südosteuropas studierte, ehe er in Berlin als Referent für Aussiedlerfragen und wissenschaftlicher Mitarbeiter eines abgeordneten tätig war, ein Stück Lebensgeschichte: Auch Ira Peter wurde aus Russland nach Deutschland „mitgebracht“, schon zwei Jahre bevor Warkentins nach Niederstetten kamen. Sie fand sich als damals Neunjährige in Buchen wieder.

Vor gut zwei Jahren entschlossen sich die beiden, gemeinsam Podcast-Neuland zu betreten: Sie entwarfen „Steppenkinder – Der Aussiedler-Podcast“. Jüngst wurden sie für diesen Podcast mit dem Russlanddeutschen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Steigende Hörerzahlen

Das Projekt des von Warkentin geleiteten, seit 2017 in Detmold beim Museum für Russlanddeutsche Kulturgeschichte angesiedelten Kulturreferats für Russlanddeutsche wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Claudia Roth gefördert.

Nun weiß man, dass Projekte schon mal versanden. Nicht so der Podcast „Steppenkinder“: der wird längst nicht mehr nur von Aussiedlern gehört.

Spätestens seit der im Februar erfolgten brutalen Ausweitung des seit 2014 laufenden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hören zunehmend auch politisch und gesellschaftlich Interessierte weit jenseits dieses Kreises zu. Die Zahl der Zugriffe habe seit Sommer 2022 deutlich zugenommen, berichtet Warkentin. „Mehr als verdient“ sei dieser Preis für den Podcast, so der Osteuropahistoriker und Migrationsforscher Hans-Christian Petersen, der selbst auch schon als Gast bei einer Steppenkinder-Folge mitwirkte. In den bis zur Preisverleihung 30 Podcast-Folgen – eine weitere ist zwischenzeitlich hinzugekommen – seien die „Steppenkinder“ für viele zum regelmäßigen Begleiter geworden.

Durch die breite Palette sehr unterschiedlicher Gäste und den biographischen Ansatz, „Geschichte in individuellen Geschichten zu erzählen“, gelinge den beiden Autoren nicht nur kompetente Aufbereitung auch vermeintlich abstrakter Themen, sondern es gelinge auch, selbst schwer vermittelbare Themen konkret und nachvollziehbar zu machen, so der Laudator weiter.

Informative Gespräche

Ira Peter und Edwin Warkentin suchen das Gespräch miteinander, mit ihren Gästen – unter anderem waren Wladimir Kaminer, Viktor Funk, Tamina Kutscher und Sergej Lebedew zu Gast bei den Steppenkindern – und der Gesellschaft. Es sind ruhige, informative, teilweise sehr persönliche und oft gut eine Stunde lange Gespräche, die den Podcast auszeichnen, Gespräche über aktuelle wie nicht leicht auf- und nachzuarbeitende Themen.

Eine Folge etwa widmete sich dem Umgang mit Fake-News wie exemplarisch beim angeblichen Vergewaltigungsfall Lisa, mehrere der Situation in der Ukraine, wo Ira Peters noch bis kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine als Stadtschreiberin in Odessa zu Gast war. Auch während dieser Phase produzierten Ira Peter und Edwin Warkentin, die übrigens beide auch familiengeschichtlich mit dem Land verbunden sind, den gemeinsamen monatlichen Podcast weiter, dann eben via Zoom. Alle Podcast-Folgen weiten den Blick, ermöglichen neue Einblicke und neuerliches oder erstmaliges Nachdenken über Bedingungen und Leben einst und jetzt in der Weite Osteuropas. Sie greifen Heterogenitäten und Ambivalenzen ebenso auf wie Fragen nach Wurzeln, Wegen und Umwegen, nach mehrfachen Heimatverlusten und -gewinnungen und den Umgang mit einer oft genug schwierigen Gegenwart der „Generation Post-Ost“. Viele der derzeit vom russischen Angriffskrieg getroffenen Orte sind eng verbunden mit den Lebensgeschichten der Russlanddeutschen und anderen Spätaussiedlern aus der Einflusssphäre der ehemaligen UdSSR.

Große Hilfsbereitschaft

„Rund die Hälfte der Russlanddeutschen haben auch eine ukrainische Lebensgeschichte, denn die Ukraine war ein Siedlungsschwerpunkt,“ betonte Edwin Warkentin im Gespräch mit der Autorin.

Entsprechend groß sei die Hilfsbereitschaft der Community für das bedrängte Land und die aus der Ukraine Geflüchteten. Die beiden jetzt ausgezeichneten „Steppenkinder“ berichten von zahlreichen Hilfstransporten, die Russlanddeutsche initiierten und in die Ukraine schickten, von großer Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen, sie bei der Wohnungssuche, Ämtergängen oder generell Sprachschwierigkeiten zu unterstützen.

„Gerade die Russlanddeutschen – eigentlich ist der Begriff ohnehin ein Antagonismus – können in dieser Situation einen immens großen Beitrag leisten und tun das auch“, betont Warkentin angesichts der wahrscheinlich über den Winter steigenden Zahlen Geflüchteter aus der Ukraine.

Ira Peter und Edwin Warkentin hoffen, mit ihrem Podcast auch einen Beitrag dazu leisten zu können, dass die Solidarität mit dem überfallenen Land trotz steigender Belastungen in Deutschland nicht nachlässt.

Sie sind der festen Überzeugung, dass die Bevölkerung in der Ukraine bereit ist, für ihre Freiheit sehr weit zu gehen.

Schließlich, so Warkentin, sei bereits die Nationwerdung des Landes im Kampf gegen Unterdrückung erfolgt und es sei schwierig, so ein Land in die Knie zu zwingen.

Der Hauptpreis des Russlanddeutschen Kulturpreises des Landes Baden-Württemberg ist dotiert mit 5 000 Euro, die der weiteren Podcast-Produktion und in diesem Zusammenhang entwickelten Projekten zugute kommen.

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