Weikersheim. Der Anruf kann jederzeit kommen: Unfälle, Großschadensereignisse, Suizide und plötzliche Sterbefälle richten sich nicht nach Bürozeiten. Dann ist oft mehr erforderlich als medizinische und technische Hilfe. Seelischen Beistand leisten Notfallseelsorger und Notfallseelsorgerinnen.
Zehn Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger, teilweise im pastoralen Dienst, teilweise ehrenamtlich, sind es aktuell im Main-Tauber-Kreis. Die Notfallseelsorge ist in die Alarmierungsstruktur der Rettungs- und Hilfsdienste eingebunden. Die Notfallseelsorger werden von der Leitstelle zur Unterstützung aktiviert und leisten Erste Hilfe für die Seele.
Eine von ihnen lebt in Weikersheim: Stefanie Breidenbach. Sie ist Mitte vierzig, verheiratet, Mutter von zwei Kindern, DRK-Mitglied und gehört als Fachberaterin Seelsorge der Feuerwehr Weikersheim an. Im Juni wurde sie im Rahmen eines ökumenischen Blaulichtgottesdienstes in der Weikersheimer Stadtkirche von Dekanin Renate Meixner in ihr neues Amt als Koordinatorin der psychosozialen Notfallversorgung – kurz Notfallseelsorge – im Main-Tauber-Kreis eingesetzt.
Betroffenen hilfreich zur Seite stehen
Seit mittlerweile fast einem Jahrzehnt ist sie in der Notfallseelsorge aktiv. Übers DRK und einen in der Notfallseelsorge aktiven Pfarrer erfuhr sie von der herausfordernden Aufgabe. Das ökumenische Angebot für Menschen in Notsituationen interessierte sie, die Voraussetzungen – unter anderem ökumenische Offenheit und Achtung vor anderen Religionen, Weltanschauungen und Kulturen, dazu die Bereitschaft, sich mit Themen wie Tod und Trauer auseinanderzusetzen, psychische wie physische Belastbarkeit und die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung – erfüllte sie.
Aber schafft man es wirklich, Betroffenen in krassen Situationen wie bei der Überbringung von Todesnachrichten, bei plötzlichen Todesfällen, nach Suiziden oder an Unfall-, Brand- oder Tatorten hilfreich zu Seite zu stehen?
Herausfinden kann man das nur, wenn man es erlebt. Entsprechend wichtig ist die Hospitation: Sechs Monate lang begleitete die angehende Notfallseelsorgerin erfahrene Kollegen bei ihren Einsätzen, nahm teil an Gesprächen, erlebte hautnah die Reaktionen Betroffener. „Jeder reagiert anders“, berichtet sie, und eigentlich laufe auch jeder Einsatz anders als gedacht.
Auch Hilfskräfte brauchen oft Unterstützung
Mit der Vielfalt menschlicher Emotionen – sie reichen von versteinertem Schweigen bis zu verzweifelten Gefühlsausbrüchen – in den bis zu vier Stunden dauernden Einsätzen klar zu kommen, ohne zu viel davon auf die eigene Seele zu laden, ist eine Herausforderung. Nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern manchmal auch erprobte Hilfs- und Rettungskräfte brauchen nach Einsätzen seelische Ersthilfe – ebenfalls eine Aufgabe der Notfallseelsorger, die sich gegenseitig unter anderem mit Supervisionen – einzeln oder in der Gruppe – und bei regelmäßigen Treffen unterstützen.
Kann man es lernen, Stütze zu sein, wenn man die Polizei beim Überbringen einer Todesnachricht begleitet, wenn ein Suizid oder ein plötzlicher Kindstod allen den Boden unter den Füßen wegreißt, ein Bekannter oder auch ein Unbeteiligter einen Toten aufgefunden hat oder ein vielleicht noch schwelender Brand alles Hab und Gut vernichtete?
Über mehrere Kurse vorbereitet
„Begrenzt“, sagt Stefanie Breidenbach. Empathiefähigkeit und Resilienz müssen einander die Waage halten: Einfühlungsvermögen einerseits und eigene psychische Widerstandskraft auf der anderen Seite. Gesprächskurse und die beiden verpflichtenden Kurswochen, bei denen angehende Notfallseelsorger mit möglichen Szenarien, Hintergrundwissen zu Abläufen, Rechtsfragen und natürlich den Strukturen von Feuerwehr, Polizei und anderen Hilfskräften vertraut gemacht werden, helfen im Umgang mit brennenden Fragen.
Warum passiert das alles? Warum wurde er oder sie Opfer? Wieso war die Reanimation nicht erfolgreich? Warum eine Leichenschau? Warum kann ich meinen Angehörigen nicht sehen? Wie geht es weiter? Wann ist eine Bestattung möglich? Direkt beteiligte Rettungs- und Hilfskräfte, die erst einmal weitere Menschen aus unmittelbarer Gefahr retten müssen oder direkt zum nächsten Einsatz gerufen werden, haben oft nicht die Zeit für das, was Beteiligte umtreibt.
Kontakte über Grenzen hinweg
In der Notfallseelsorge, so Breidenbach, gelte es den Blick zu richten auf das Gute, das man tun könne für den Angehörigen. Ob eher Worte gefragt sind oder eher gemeinsames Schweigen, ob ein Kind eher eine Umarmung, ein Kuscheltier, ausweinen oder ganz einfach eine klare Aussage brauche – „Kinder sind oft erst sachlicher“ - , sei sehr individuell, fordere feines Gespür für das, was der andere gerade brauche.
Ihre Aufgaben als Koordinatorin der psychosozialen Notfallversorgung sind vielfältig: Neben der Organisation der Bereitschaftsdienste und ihrer Ausstattungen mit Uniformen und Notfallkoffern steht Kooperation ganz oben auf Breidenbachs Prioritätenliste. Da geht es nicht nur um die Zusammenarbeit und Kontaktpflege mit den Hilfsdiensten wie DRK, Polizei, Feuerwehr, THW, DLRG, Katastrophenschutz und weiteren, sondern auch zum Landkreis sowie den politischen und kirchlichen Gremien. Nicht weniger wichtig ist der Ausbau der Kontakte über die Landkreisgrenzen und Landesgrenzen hinweg: Gute Erfahrungen bei der gegenseitigen Unterstützung sollen etwa im Rahmen gemeinsamer Übungen intensiviert werden.
Weitere Interessierte werden gesucht
„Zehn Notfall-SeelsorgerInnen sind einfach zu wenig für den Main-Tauber-Kreis“, sagte Stefanie Breidenbach unter Verweis auf bereits 35 Einsätze allein im ersten Halbjahr 2025. Sie will weitere Haupt- und Ehrenamtliche für die Notfallseelsorge gewinnen. Wer Interesse hat, kann sich über die E-Mail-Adresse NFS.Main-Tauber-Kreis@elkw.de direkt mit ihr in Verbindung setzen. Willkommen sind auch Spenden unter dem Stichwort „Notfallseelsorge“ auf das Konto des Katholischen Dekanatsamts Mergentheim (IBAN DE91673525650000116509, BIC SOLADES1TBB).
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