Improvisationstheater

Eine Kuckucksuhr für King Charles

Die Würzburger „Beutelboxer“ begeisterten in der Schäftersheimer Bauernhalle

Von 
Inge Braune
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Was für ein Glück: Die Würzburger „Beutelboxer“ haben schon vor hundert Zeugen ein Wiederkommen zugesagt. Das Bild zeigt (von links) Andreas Neumann, Annette Patrzek, Stefan Merk und Herby Diedrich. Nicht zu sehen ist Kai Müller, der kongeniale Pianist des Impro-Kleeblatts. © Inge Braune

Schäftersheim. Mit dem Vorverkauf für den „Beutelboxer“-Abend in der Bauernhalle mussten sich die „Doredräwer“ nicht lange aufhalten: Nur ein paar Tage, und schon war das Kontingent weg. Gerade mal für eine Hundertschaft hatte die Schäftersheimer Theatertruppe aufgestuhlt: „Bei so einem Event müssen auch die Gäste mal ausholen können“, fand die diesmal nur als Organisator agierende Amateurgruppe, die hier erst jüngst mit der Gesellschaftskomödie „Eine ganz heiße Nummer“ von Andrea Sixt ihr Publikum in schräge Szenen mitnahm.

Die „Beutelboxer“ waren von den Doredräwern vor gut einem Jahr schon mal eingeladen worden – da allerdings privatissime, zur internen Feier ihres 35-Jahr-Gründungsjubiläum, bei dem das Würzburger Spielquartett plus Pianist die ganz frisch umgebaute Bauernhallenbühne sozusagen „anspielte“. So köstlich amüsierten sich die Schäftersheimer Mimen da, dass sie den Genuss des vielfach prämierten Improvisationstheaters unbedingt auch einem größeren Publikum ermöglichen wollten.

Nur ein Momentchen hielt die Schockstarre an, die unvermeidlich auftaucht, wenn man als Publikum plötzlich selbst die Regie führen soll: Schnell mal ein Test, zwei Worte und dann runterzählen. „Fünf, vier, drei, zwei, eins, Los!“. Na ja, beim Erstversuch sind die Zuschauer noch etwas leise, dann aber von Improstück zu Improstück mit wachsender Begeisterung dabei. Selbst als die Aufgabenstellungen immer vertrackter werden.

Dann also: Einfach mal ran ans Unbekannte im Schrank, im völlig fremden Land, im Irgend-Nirgendwo, von dem weder das Publikum noch die vier Impro-Mimen Herby Diedrich, Stefan Merk, Andreas Neumann und Annette Patrzek und schon gar nicht Pianist Kai Müller auch nur einen Hauch von Ahnung hat. Dann: Impro im Gefühlsquadrat von Trauer, Wut, Verliebtheit, Heiterkeit. Da drin begehrt ein Unbekannter – genauer: drei davon im Abklatsch-Wechsel – die Taufe von einem ebenfalls vom Standort-Feeling abhängigen Pfarrer. Wie es Kai Müller schafft, zum völlig unabsehbar wechselnden Wort-, Gestik- und Gefühlswirrwarr den passenden Orgelton anzuschlagen, grenzt schon ans Wunderbare. Passt ja: Das Publikum fühlt sich schon mitten drin im Kirchenraum, in dem natürlich auch der Pfarrer den Lach-, Wein-, Wut- und Traurigkeits-Quadranten streift.

Aus Peter Grafs Auswahl eigensinniger Wortschönheiten aus dem guten alten Wörterbuch piekst eine Besucherin „Lilaps“ heraus. Kennen Sie nicht? Macht nix, die Vier-plus-eins-Erklär-Spieler haben ebenso wenig Ahnung.

Ein „wirklich entzückendes kleines Lilaps“, das sie im Puppenhaus unterbringen will, hat Annette im Wald entdeckt. Die Mitspieler mutieren zur Geschwistergang, zur erzürnt zum Essen zitierenden Mutter. Das Publikum sieht das „Lilaps“ flirrend entfleuchen. Und: Klappe. Tosendes Gelächter.

Bei Grimm, nur nebenbei, ist Lilaps ein er, und zwar ein rechter Narr und Hannepampel. Noch vor der Pause – na klar, es ist Kings Charles-Tag – ist ein Geschenk zur Krönung. Das Publikum schlägt vor: Goldhamster. Oder Kuckucksuhr. „Wir nehmen beides,“ entscheidet Andreas Neumann, und das Publikum zählt ein. Herby Diedrich mutiert zum Hamster im Laufrad, Stefan Merk wird Harry und Uhrkuckuck, Andreas Neumann Charles und Annette Patrzek Queen Camilla. Dann beißt der Hamster Charles, Camilla tröstet und aus der Kuckucksuhr kräht’s „Meghan, Meghan, Meghan!“ Schöne Bescherung!

Und nach der Pause dann – man kann sich ja auch mal vom National Geographic-Verlag inspirieren lassen – ein Tennismatch in gut 200 Meter Höhe überm Boden: einfach genial samt Höhenangst und Machoauftritt plus Ballgedribbel und Sturz in die Tiefe.

Und – Double speech – in brenzliger Situation. Hier: Standesamt. Und eine Braut, die doch nicht will. Dann: Krimiplot. Genieautorin, Ermittler, blutscheuer Assistent, Verdächtiger.

Sie platzen schier vor Ideenreichtum, fallen sich gegenseitig ins Wort, ins Spiel und in den Rücken und amüsieren sich selbst köstlich über die Irrungen und Wirrungen der Chefermittlung mit Live-Autorin, dass es im Grund schon keinen Joke mehr bräuchte, um dem Publikum einen gewaltigen Lachmuskelkater zu bescheren.

Kann der vom Jobcenter gesuchte Giraffenpfleger angesichts dieser Auswahl – einer komplett verwirrt, einer so richtig sauer und eine, die bestenfalls mit Hamstern Erfahrung hat – gefunden werden?

Nichts ist unmöglich – und schon gar nicht bei den Beutelboxern, die sich auch locker der aus den Tiefen des Internets hervorgezauberten mutierten Ziege mit zwei Gesichtern stellen, gekonnt meckern und im Notfall auch einen Ausweg für einen nicht paarungsbereiten ICE finden.

Zum Schluss – ein Schuh dient hier als Universalding von Krone über Telefon bis zu Tennisball (Stefan Merk setzt seinem Sturz aus höchster Höhe jetzt hinkend mit wiedergefundenem Tennisball noch eins drauf) und Wünschelrute – dann noch ein Potpourri aus allem, was den Abend über angespielt wurde.

Die Gäste fanden’s grandios und hätten nur zu gern noch ein paar Stunden weiter mitimprovisiert, mitgelästert, mitgelacht. Schluss, aus, das war’s – zumindest heute.

Doch immerhin, und für diese Zusage gibt’s immerhin einhundert Zeugen: Sie kommen wieder, diese Beutelboxer, bei denen jede Premiere zugleich eine Dernière ist.

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