Prävention

Ein falscher Weg aus der Einsamkeit

„Achtung?!“-Projektreihe der Schulen gegen Radikalisierung. Theater „Q-rage“ in der Tauberphilharmonie

Von 
Inge Braune
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Weikersheim. Mehr als 120 Zuschauer will das Theater „Q-rage“ eigentlich nicht bei der Aufführung des interaktiven und multimedial angelegten Theaterstücks „Achtung?!“ zulassen. Denn ihnen geht es darum, die Schülerinnen und Schüler einzubinden, sie selbst zu Wort kommen zu lassen – und dadurch auch Denkanstöße zu geben.

In der vergangenen Woche waren es 150 Schülerinnen und Schüler aus gleich drei Weikersheimer Schulen, die sich gemeinsam mit Lehrkräften auf den Weg in die Tauberphilharmonie machten. 14 bis 16 Jahre alt sind sie, auf der Suche nach sich selbst, Sinn, Zielen, Orientierung, nach Freunden, die sie ernst nehmen und achten. Hellwach nehmen sie wahr, was schief läuft in dieser Gesellschaft und der Welt drumrum: Da gibt es Reiche, Abgehängte, Arme; Mächtige, Mitläufer, Unterlegene. Und jede Menge Krisen, Kriege und Konflikte, Rechts- und Linksradikale, Islamisten, Salafisten; Gewaltexzesse gegen Einzelne ebenso wie terroristische Anschläge gegen Gruppen und Einrichtungen. All das steckt in den Köpfen der Jugendlichen – auch auf dem Weg zu dieser Schulveranstaltung. Theater! „Q-rage“ heißt die aus Ludwigsburg angereiste Gruppe, „Achtung?!“ das Stück. Was sie erwartet? Hmm. „Abwarten“.

Zwei Spieler – Ismael Boerner und Dorothea Förster – empfangen sie mit Power-Sound und kurzer Einführung: Ins Gespräch kommen wollen sie mit den Jugendlichen, die ganz offen ihre Meinung sagen dürfen und sollen. Auch die beiden Darsteller, die nicht nur als die guten Freunde Tarek und Lina auftreten, werden nicht nur spielen, sondern nachfragen, nachdenken, den eigenen Rollen nachspüren.

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lra
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Der Stückanfang: ganz locker, den Teens bestens vertraut. Schulfreunde, die sich beim Abfragen helfen, sich in der Freizeit auch über private Schwierigkeiten und Ärgernisse austauschen und einfach wissen, dass sie schon vom Kindergarten an zusammen gehören. Dass Tareks Vater Türke, Tarek selbst Moslem ist, spielt für Lina keine Rolle. Dass sie, weil ihr Vater einen Job in der tiefsten bayrischen Provinz bekommt, wegziehen muss, liegt Lina schwer im Magen. Immerhin können sie ja übers Handy in Kontakt bleiben.

Anschluss wird gesucht

Im kleinen Kaff ist sie allein. Und Tarek geht es in der Heimat nicht viel besser: sie suchen Anschluss. Lina landet in einer ausländerfreindlich eingestellten Truppe, Tarek im Umfeld einer salafistisch orientierten Bruderschaft. In kurzen Soloszenen und Video-Einspielern erleben die Zuschauer Tarek beim Koranstudium und im Chat mit seiner Moslem-Community, Lina beim Zorn über die Eltern, die Vereinsamung, beim Konzert einer rechts außen Band.

Was treibt sie dahin? Die jungen Zuschauer verweisen auf fehlende Freunde, Zuneigung, Zugehörigkeit. Dass man halt einfach mal jemanden zum Reden braucht. Was tun gegen’s alleine sein? Jugendzentrum? Gibt’s nicht überall. Vereine? Passen auch nicht immer. Und in der Schule? Kann auch mal schwierig sein. Es sind Anstöße, die sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig geben. Macht sie das immun gegen die geschickt inszenierte Auffangbereitschaft radikaler Gruppen, die einem das Gefühl vermitteln, dazu zu gehören, gemeinsam etwas reißen zu können im Widerstand gegen eine viel zu kompliziert und oft eiskalt gewordene Welt?

Nicht mehr ranzukommen

Im Video-Zuspiel eine Lehrerin: Nicht mehr ranzukommen sei an Tarek; andere Meinungen akzeptiere der einfach nicht mehr. Die Mutter: „So haben wir dich nicht erzogen.“ Und im Gespräch mit den Schülern die Feststellung, dass der radikalisierte Tarek seiner Mutter und den Mitschülern echt Angst macht. Bei Lina läuft’s nicht wirklich anders, nur eben mit anderen, extrem rechten Vorzeichen.

Bei einem Treffen der beiden ehemaligen Freunde eskaliert die Situation: Sie knallen sich gegenseitig die inzwischen verfestigten Vorurteile derart um die Ohren, dass die Zuschauer im Saal nicht mehr an sich halten können: „Voll krass!“ – „Geht gar nicht!“ – „Wie brutal“. Einige scharen sich dichter um einen Mitschüler mit Migrationsgeschichte.

Nachdenkliche Minen

Zum Schluss sehr intensiver Applaus, nachdenkliche Minen – und klar erkennbar das Bedürfnis, zu reden, schon auf dem Rückweg in die Schulen. Die legten nach: Mit Gesprächsstunden mit Schulsozialarbeitern und Lehrern, dem Aktivierungsvortrag „Du bist gefragt“, intensiver pädagogischer Nachbereitung des Stücks im Rahmen eines Workshops mit Vertretern des Vereins „Inside out“ und dem Besuch bei der im Gymnasium parallel zu erlebenden Ausstellung „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos“ der vom Schweizer Theologen Hans Küng gegründeten Stiftung Weltethos.

Die Ausstellung präsentiert großen Religionen und ihre gemeinsamen – und auch von großen Philosophen vertretenen – gemeinsamen Jahrtausende alten Welt-Werte der Mitmenschlichkeit, Gegenseitigkeit, Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Partnerschaft und Nachhaltigkeit.

Spannende Impulse – jetzt unter Ausschluss der Lehrerschaft - setzt die Künzelsauer Schulsozialarbeiterin Panagiota Panoria, die im Rahmen des landesweiten Präventionsprojekts „Achtung?!“ unter der Überschrift „Du bist gefragt!“ mit den Jugendlichen aktuelle globale und gesellschaftliche Herausforderungen und Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen, unter die Lupe nimmt.

Der unter anderem auf sonderpädagogische Fragen, Integration, Medienprävention, Radikalisierung und Traumatherapie spezialisierten Sonderpädagogin geht es dabei vor allem darum, die Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeiten, Empathie- und Beziehungsfähigkeit zu unterstützen. Denn genau auf diese Fähigkeiten seien die Demokratie und ein friedliches Miteinander angewiesen.

Bei den Schülerinnen und Schülern der Kraft zu Hohenlohe-Schule kam dieser Ansatz gut an: Panoria war von den sehr aufmerksamen und bereits gut informierten Schülern und ihrer engagierten Diskussion sehr angetan und ist schon jetzt gespannt auf die weiteren Schulklassen.

Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

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