Kommandeur im FN-Interview

Walldürn: Deshalb wird die Nibelungenkaserne ausgebaut

Oberstleutnant Mark Sterk spricht über die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die bevorstehende Umgliederung des Logistikbataillons 461 Walldürn.

Von 
Stefanie Čabraja und Michael Fürst
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Oberstleutnant Sterk sprach über die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die Umgliederung des Logistikbataillon 461 Walldürn. © Michael Fürst

Walldürn. Die Bundeswehr ist aktuell in aller Munde. Sehen Sie dies als etwas Positives, Herr Oberstleutnant Sterk?

Oberstleutnant Mark Sterk: Die Bundeswehr sollte aus meiner Sicht immer in aller Munde sein. Ich glaube die sicherheitspolitische Situation, spätestens seit 2022, erfordert das sogar. Nach meiner Bewertung müsste noch viel mehr über die Bundeswehr gesprochen werden. Es gilt jetzt innerhalb recht kurzer Zeit, die Gesellschaft mitzunehmen und auf eine möglicherweise sich verschlechternde Sicherheitslage vorzubereiten.

Die Gesellschaft wird über Nachrichten und Medien über die Gefahrenlage informiert. Wie kann man sich das bei der Bundeswehr vorstellen? Holen sich Soldaten oft auch Informationen, indem sie vor dem Fernseher sitzen?

Sterk: Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass jeder Soldat aufgrund seines Berufes sicherheitspolitisch interessiert ist. Soldaten verfolgen über die Medien die politische und militärische Lage intensiv. Insofern ist man alleine durch die Open-Source-Quellen gut informiert. Natürlich gibt es zusätzliche Informationen auch auf dem Dienstweg. Im Verteidigungsministerium gibt es beispielsweise einen Sonderstab Ukraine, der regelmäßige Berichte über die aktuelle Lage in der Ukraine mitteilt.

Sie haben die Lage in der Ukraine angesprochen. Wie bewerten Sie die aktuelle militärische Lage und wie konkret schätzen Sie eine Bedrohung Russlands ein?

Sterk: Zunächst bleibt festzustellen, dass Russland bedauerlicherweise eine Bedrohung für die Nato geworden ist. Das hat der schreckliche Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich gezeigt. Wir sehen in diesem Krieg, mit welcher Brutalität und mit welchem festen Willen Russland dort vorgeht. Gewalt wird als Mittel legitimiert, was nicht der richtige Weg ist. Jetzt bleibt es abzuwarten, wie sich auch mit der neuen US-Regierung der Krieg in der Ukraine weiterentwickelt - ob er in einem Waffenstillstand oder tatsächlich in einem Frieden endet, welche Sicherheitsgarantien in der Folge beschlossen werden und welche Rolle die Bundeswehr dann spielt. Da werden wir auch als Logistikbataillon 461 sehen müssen, wie sich die Auftragslage für uns ändern beziehungsweise anpassen wird.

Teilen Sie persönlich die Einschätzung von Verteidigungsminister Boris Pistorius und Generalinspekteur Carsten Breuer, dass Deutschland 2029 kriegstüchtig sein muss?

Sterk: Das Jahr 2029 ist ein Datum, das aus den nachrichtendienstlichen Erkenntnissen abgeleitet wurde. Wenn man davon ausgeht, dass Russland jedes Jahr knapp 1000 bis 1500 Panzer produziert, wäre ungefähr 2029 der Zeitpunkt, an dem Russland einen Angriffskrieg auch gegen einen NATO-Bündnisstaat starten könnte. Ich möchte mich an dem Jahr nicht festmachen. Je früher wir wieder so einsatzbereit sind, dass wir auch in einem Bündnisfall bestehen können, desto besser ist es. Sönke Neitzel (Anm. d. Red.: Deutscher Militärhistoriker) sagte, wer weiß, ob dieser Sommer der letzte in Frieden ist. Soweit würde ich nicht gehen wollen. Aber wir müssen schnellstmöglich abschrecken können und auch Russland als Nato oder zumindest als Europäer vermitteln können, wenn hier ein Bündnispartner angegriffen wird, dann bleibt das nicht ohne schwerwiegende Konsequenzen für den Angreifer.

Wie sieht diese Vorbereitung konkret im Logistikbataillon 461 aus?

Sterk: Vergangenes Jahr haben wir im Bataillon sehr intensiv für den Bündnisfall ausgebildet. Wir waren viel unterwegs: Von einer computergestützten Simulation über eine logistische Übung in Norddeutschland, Gefechtsschießen auf dem Bataillonsübungsplatz bis hin zu einer freilaufenden Feldeinsatzübung im November vergangen Jahres mit zwei weiteren Bataillonen von der Luftwaffe und dem Heer - haben wir logistische Prozesse unter kriegsnahen Bedingungen geübt. Das war sehr intensiv, aber auch sehr wertvoll. Denn das bringt die Soldatinnen und Soldaten weiter.

Vor drei Jahren haben Sie gesagt, dass Sie die Einsatzbereitschaft des Verbands hochhalten wollen. Ist Ihnen das mit den eben aufgezählten Übungen gelungen?

Sterk: Ja und nein. Wir haben bis jetzt immer geliefert. Wir hatten 2023 das Redeployment (Anm. d. Red.: Rückverlegung) aus dem Einsatz MINUSMA in Mali als Leitverband mit abgedeckt. Wir stellen kontinuierlich Einzelabstellungen an Personal in nahezu alle Einsatzgebiete der Bundeswehr. Wir haben bis Juni 2024 anteilig Kräfte für die Nato-Response-Force gestellt und sind seit dem 1. Januar 2025 in die EU-Battlegroup eingebunden. Das heißt, wir haben ständig einsatzbereites Personal. Und mit unserer Ausbildung haben wir auch einen guten Schritt in Richtung Kriegstüchtigkeit für die Bündnisverteidigung gemacht. Aber: Es reicht noch nicht. Wir müssen noch besser werden, zum Beispiel bei den Themen, wo wir auch noch materielle Defizite haben. Stichwort: Drohnen. Die Ausbildung mit Drohnen können wir noch nicht vollumfänglich darstellen. Hier braucht es noch viel mehr Initiative in der Bundeswehr. Deshalb hat die Bundeswehr vergangenes Jahr eine Drohnen-Taskforce gebildet. Man hat also gemerkt: Da ist noch Handlungsbedarf. Und da gilt es jetzt weiter voranzuschreiten. Genauso kann nur vorhandenes Personal einsatzbereit ausgebildet werden. Die Nachwuchsgewinnung ist auch im Logistikbataillon 461 nach wie vor ein Thema und wir freuen uns über jeden Neuzugang an Personal.

Würde an diesem Punkt die Einführung der Wehrpflicht helfen?

Sterk: Ich persönlich bin ein großer Verfechter einer neuen Dienstpflicht. Das kann eine reine Wehrpflicht sein oder auch ein Dienst, der den zivilen Bereich mit abdeckt, solange ein Anteil Wehrpflicht dabei ist. Uns ist es früher gelungen, aus der Wehrpflicht rund 60 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten zu gewinnen. Das waren junge Menschen, die keine Vorstellung von der Bundeswehr hatten und erst mit der Berührung mit uns, das Interesse an dem Beruf gefunden haben. Und da müssen wir wieder hin. Damit einher geht, dass ich davon überzeugt bin, dass jeder Bürger seinem Land auch etwas zurückgeben sollte. Die Möglichkeit, eine verpflichtende und zugleich wertvolle Aufgabe für den Staat zu leisten, ist sehr gut für das staatsbürgerliche Bewusstsein eines jeden. Wenn es zu einem echten Kriegsfall käme, dann wäre die gesamte Gesellschaft und nicht nur die Bundeswehr betroffen. Das muss man sich vor Augen halten.

Wie schnell wäre die Kaserne in Walldürn bereit, die Dienstpflicht umzusetzen?

Sterk: Sofort. Wir haben bereits jetzt vorbereitende Maßnahmen für die Ausbildung weiterer Rekruten getroffen, indem wir zum Beispiel aus anderen Kompanien zusätzliche Ausbilder benannt haben. Zeitgleich haben wir infrastrukturell Räumlichkeiten für die Unterbringung weiterer Rekruten festgelegt. Das funktioniert natürlich nur, indem man mit dem Personal aus anderen Kompanien zusammenrückt. Perspektivisch müssen die personellen, materiellen und infrastrukturellen Voraussetzungen für eine nachhaltige Lösung dann geschaffen werden.

Der Kommandeur des Logistikbataillon 461 stellte sich den Fragen von FN-Redakteurin Stefanie Čabraja. © Michael Fürst

Die Bundeswehr wirbt in den vergangenen Jahren verstärkt für sich. Beim Logistikbataillon 461 war es vergangenes Jahr konkret „Nachwuchs rollt“ und in diesem Jahr der am 3. April stattfindende „Boys and Grils Day“. Zeigt sich am Zulauf der Rekruten, dass diese Werbemaßnahmen auch etwas bringen?

Sterk: Der „Boys and Grils Day“ ist bei der Bundeswehr mit Schwerpunkt der Girls-Day, weil wir ein männerdominierter Beruf sind. Die Frauenquote beim Logistikbataillon 461 liegt bei etwa elf Prozent. Wir zeigen dieses Jahr nicht nur die Leistungsfähigkeit des Verbandes, sondern wollen auch einen Einblick in die Logistik geben. Zudem ist Personal vom Karrierecenter da. Die Maßnahmen sind wichtig, denn wir haben einen sehr guten und wichtigen Beruf. Dafür gilt es, junge Menschen zu interessieren und zu motivieren.

Mit welchen Argumenten würden Sie einen jungen Menschen davon überzeugen wollen zur Bundeswehr zu gehen?

Sterk: Mein bestes Argument bin ich selbst. Wenn ich auf über 25 Jahre Dienstzeit zurückschaue, kann ich an zwei Händen die Tage abzählen, die mir bei der Bundeswehr nicht gefallen haben. Ich glaube, die Bundeswehr bietet viel Abwechslung für junge Menschen. Es ist eine erfüllende Tätigkeit. Wenn man weiß, wofür man dient, und das ist mit der Landes- und Bündnisverteidigung nochmal deutlicher als bei den Auslandseinsätzen, hat man einen tiefen Sinn in seinem Beruf. Wir bieten eine sehr gute Ausbildung, zunehmend modernes Gerät, eine Infrastruktur, in die investiert wird. Wir werden eine moderne Armee. Das Gesamtpaket finde ich schon sehr überzeugend.

In der Industrie hört man nur sparen, sparen, sparen und in die Bundeswehr wird investiert.

Sterk: Mit dem 500 Milliarden-Paket wird auch in die Infrastruktur investiert. Es gibt viele Felder, in die investiert werden muss. Die Bundeswehr reiht sich da ein. Die Zeit der Friedensdividende ist aber vorbei. Jetzt muss wieder in Sicherheit investiert werden. Das ist das Preisschild für die Freiheit und die Art, wie wir leben. Das muss den Bürgern bewusst werden.

In die Entwicklung der Walldürner Kaserne werden rund 100 Millionen Euro verplant. In was wurde mit dem Geld bisher investiert?

Sterk: Rund 22 Millionen sind schon investiert worden. Es sind eine Gärtnerhalle, ein neuer Konditionsraum in der Sporthalle, eine Lagerhalle und Schleppdächer für Fahrzeuge entstanden. Dieses Jahr fangen wir mit dem Bau neuer Unterkunftsgebäuden an. Die alten wurden bereits abgerissen. Bis 2028 sollen die neuen stehen. Damit können wir den Soldaten wieder eine adäquate Unterkunft zur Verfügung stellen, die auch schon auf die neue Ausstattung angepasst sind.

Für wie viele Soldaten ist dann Platz in der Kaserne?

Sterk: In der neuen Struktur haben wir als Logistikbataillon rund 750 Soldaten vorgesehen. Wir haben am Standort noch weitere Einheiten. Und auch die Rekrutinnen und Rekruten werden hier untergebracht. Aktuell sind wir auf 96 Rekruten pro Quartal ausgelegt. Perspektivisch werden wir abhängig von einer Wehr- oder Dienstpflicht die Kapazität am Standort erhöhen. Wir planen im nächsten Jahr mit bis zu 136 Rekruten und wollen damit um einen weiteren Zug wachsen.

Ist das bei der bisherigen Größe der Kaserne möglich?

Sterk: Die Kaserne an sich ist klein. Mit Blick auf die materielle Ausstattung und die Umgliederung zum 1. April, bei der wir eine zweite Transportkompanie aufstellen und eine Nachschubkompanie auflösen wird es perspektivisch nicht reichen. Zwei Transportkompanien bedeuten, dass wir sehr viele Fahrzeuge unterbringen müssen. Da werden wir sehen, ob wir die Kaserne von der Größe erweitern werden müssen, um dann ausreichend Stellflächen zu haben.

Wie kann man sich die Erweiterung vorstellen?

Sterk: Die Berechnungsgrundlage für die Stellflächen, die wir als leichtes Logistikbataillon brauchen, ist da. Man initiiert dann eine sogenannte Landerwerbsmaßnahme. Dabei würde der Bund dann Land von der Kommune kaufen, in diesem Fall von der Stadt Walldürn. Aber der Prozess dauert seine Zeit.

Ändert die Umgliederung auch etwas an dem Auftrag des Logistikbataillons?

Sterk: Die Indienststellung ist eine Folge der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Diese wurde bereits vor zehn Jahren geplant. Konnten wir bislang zwei Einsatzgebiete im Ausland parallel logistisch unterstützen, so liegt jetzt liegt der Fokus auf der Landes- und Bündnisverteidigung. Das heißt, dass wir künftig viel größere Mengen an Munition, Betriebsstoffen und Versorgungsgütern über weitere Distanzen transportieren können. Der Schwerpunkt der Logistik in diesem Bataillon verändert sich auf Umschlag- und Transportleistungen: Künftig heißt es Umschlagen, Disponieren, Weitertransportieren und so die Truppe auch unter Gefechtsbedingungen bestmöglich zu versorgen.

Seit Jahren läuft ein Thema in Walldürn auf Dauerschleife, wenn die Bürger sich über die Kaserne unterhalten: Die Panzerstraße. Man hört von Feldjägern, die zivile Personen mit Blaulicht verfolgen, die über die Panzerstraße fahren. Ist dies nicht auch einschüchternd?

Sterk: Die Panzerstraße hat eine „Anlieger frei“-Berechtigung. In den vergangenen Jahren wurden einige Unfälle auf dieser Straße nur knapp verhindert. Künftig werden wir dort noch mehr Verkehr auch mit Baustellenfahrzeugen haben. Bereits im vergangenen Jahr haben wir angekündigt, dass wir Kontrollen mit der örtlichen Polizei und auch mit der Verstärkung der Feldjäger machen werden. Irritierend ist es für mich, wenn das als Einschüchterungsmaßnahme gesehen wird. Blaulichtorganisationen helfen uns und sorgen dafür, dass wir uns an gemeinsame Regeln halten. Wenn wir davon eingeschüchtert sind, dann haben wir in dieser Gesellschaft echt ein Problem.

Ihre Dienstzeit endet in diesem Jahr. Wissen Sie schon, wie es weitergeht?

Sterk: Bedauerlicherweise werde ich das Bataillon zum Oktober hin an meinen Nachfolger übergeben. Das heißt, drei Jahre meiner Dienstzeit sind schon wieder um. Die Zeit ist dabei gerast. Gerade im vergangenen Jahr war so viel Taktung drin, dass das Jahr wie im Flug vorbeiging. Ich werde wunschgemäß zurück ins Bundeministerium der Verteidigung nach Bonn gehen. Dort wohne ich auch. Im BMVg werde ich mich um Grundsatzangelegenheiten der Logistik kümmern.


Öffentlicher Umgliederungsappell

Der Jahresempfang der Stadt Walldürn gemeinsam mit dem Logistikbataillon 461 findet am Mittwoch, 2. April in der Nibelungenhalle statt. Davor ist der öffentlich zugängliche Umgliederungsappell des Logistikbataillons 461 auf dem Auerbergsportplatz, um 16 Uhr. Der Indienststellungsappell ist unter der Schirmherrschaft von Oberst Matthias Kampf, Kommandeur des Logistikregiments 4.

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