Walldürn. "Fokus Balkan" - unter diesem Titel stand gestern eine Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung und der Fränkischen Nachrichten im Walldürner Rathaus. In dem Planspiel ging es um die Erweiterung der Europäischen Union. Auszubildende der Landratsämter aus dem Main-Tauber-Kreis und dem Neckar-Odenwald-Kreis, Schüler der Frankenlandschule Walldürn und Teilnehmer am Projekt "Klasse Azubis" der Volksbank Franken und den FN nahmen teil. Insgesamt 32 jungen Menschen beschäftigten sich intensiv mit europäischer Politik. Betreut wurden sie von Holger-Michael Arndt vom Civic Institut für internationale Bildung und Anja Glück, Sebastian Gratz und Leif Schubert von der Landeszentrale.
"Fokus Balkan" gewährte Einblicke und ermöglichte es, den Erweiterungsprozess zu erfahren. Die Teilnehmer schlüpften dabei in die Rollen der Akteure, etwa der Beitrittskandidaten, von EU-Parlamentariern oder Mitgliedern der EU-Kommission oder des Rats. Sogar eine Pressestelle gab es. Eingerahmt wurde das Planspiel durch eine interaktive Einführung in die Institutionen der EU oder die Regeln für eine Erweiterung der Europäischen Union.
Und über die Ergebnisse ihrer Sitzungen und Beratungen haben sich die Teilnehmer dann mit Dr. Thomas Ulmer, Mitglied des Europäischen Parlaments, unterhalten. "Also mit einem von denen, die für uns wichtige Entscheidungen treffen", wie Arndt sagte. Ulmer kam am Mittag in das Rathaus, um sich mit den Teilnehmern über Europa und europäische Politik zu unterhalten. (Weitere Informationen zu dem Abgeordneten und seiner Arbeit gibt es unter www.medizin-fuer-europa.de).
Das erste Wort des Tages hatte aber der Hausherr, Bürgermeister Markus Günther. Er bezeichnete sich als "überzeugten Europäer" und sprach von einer interessanten Veranstaltung, bei der die Teilnehmer Institutionen und Personen der europäischen Politik kennenlernen. Seit fast 70 Jahren habe man Frieden in Europa, ein wesentlicher Beitrag der Europäischen Gemeinschaft. Denn ein wichtiger Punkt sei eben gegenseitiges Verstehen und Kennenlernen - und hier leiste die EU wertvolle Arbeit.
Geschichte vorgestellt
Holger-Michael Arndt sagte, der 9. Mai sei ein besonderer Tag, "es ist der Europatag". Solche Planspiele würden seit vielen Jahren stattfinden. Vor Ort wolle man dabei "mit jungen Menschen das Thema Europa bearbeiten". Das Ziel "wählen gehen" habe man dabei immer im Blick, denn "wählen gehen ist wichtig".
Arndt sprach auch die häufig negative Sicht auf Europa und Entscheidungen der EU an. Sicher könne man Dinge kritisieren, aber es gebe auch viel Positives. Sein Fazit: "Es gibt bei Europa nicht nur eine Sicht."
Richtete sich das Angebot früher nur an Schüler, so sind seit drei Jahren auch Auszubildende dabei. Anschließend stellte er Geschichte und Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Einrichtungen und Institutionen vor. Um gleich danach den Blick auf das Thema des Tages zu lenken, den geplanten Beitritt von Balkanstaaten zur EU.
In der über 60-jährigen Geschichte des europäischen Einigungsprozesses gab es einige Erweiterungsrunden, am 1. Juli 2013 ist die Union mit der Aufnahme Kroatiens auf 28 Mitgliedsstaaten gewachsen. Und schon stehe die Frage der zukünftigen Einbettung der Balkan-Staaten auf der Agenda der europäischen Politik. Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien oder Serbien könnten die nächsten Staaten sein. Konkret ging es am Freitag im Walldürner Rathaus darum, ob Serbien, Mazedonien und Kosovo Beitrittskandidaten werden.
Wie funktioniert der Erweiterungsprozess? Welche Interessen verfolgen Mitgliedstaaten, Beitrittskandidaten und die Bürgerinnen und Bürger? Wer hat was zu sagen oder zu entscheiden? Antworten auf alle diese Fragen wurden am Freitag gesucht. Und zwar praktisch, von den Auszubildenden und den Schülern selbst, die bei dem Planspiel aktiv wurden. Sei es als Parlamentarier, Kommissionsmitglied oder Ratsmitglied.
In mehreren Gruppen wurde dabei diskutiert und beraten, beschlossen und verworfen, zugestimmt und abgelehnt. Und das mit großer Begeisterung, die Teilnehmer waren mit viel Eifer bei der Sache, wie Arndt sagte. Und die Mittagspause fiel kürzer aus als geplant.
Dr. Thomas Ulmer freute sich zunächst, dass sich die Teilnehmer Gedanken über Europa machen. Um dann einen Einblick in die Arbeit der europäischen Institutionen und seine Arbeit als Abgeordneter zu geben. Da kommen schnell viele Wochenstunden zusammen. Zumal, wenn man, wie Dr. Ulmer sagte, "drei Leben hat": als Abgeordneter, als Teil einer Gemeinschaftspraxis und als Präsident eines Fußballvereins. Bei aller Belastung müsse man sich von zwei Maximen leiten lassen: "Sie müssen alles aus Begeisterung machen" und "sie dürfen sich nicht ärgern lassen".
In den letzten zehn bis 15 Jahren seien viele Staaten in die EU aufgenommen worden, so schnell werde es daher keine Neuaufnahmen geben. Bis ein Beitrittskandidat zum Mitglied wird, da können einige Zeit ins Land gehen. "Zehn bis 15 Jahre kann das schon dauern." Aber diese Länder haben eine Perspektive, da war sich Ulmer gestern sicher. "In 20 Jahren sind alle dabei."
Auf dem Weg dahin ist man gestern zumindest in Walldürn zu einer anderen Bewertung gekommen als in Brüssel, wie Dr. Ulmer feststellte. Und Arndt sprach "von einer Verkehrung der Realität". Beschlossen hat der Rat der Europäischen Union nämlich, dass Serbien und Mazedonien Kandidaten sind, Kosovo dagegen "nur" ein potenzieller Beitrittskandidat. Da kamen die Schüler und Auszubildenden zu einer anderen Einschätzung.
Unterschiedliche Entscheidungen
Die "Walldürner Kommission" hatte sich für Serbien und Kosovo ausgesprochen, nicht aber für Mazedonien. Das "Walldürner Europaparlament" war wieder gegen Serbien und Mazedonien, aber für Kosovo. Und der "Walldürner Rat" schließlich sagte "Nein" zu Mazedonien und Serbien und "Ja" zu Kosovo als Beitrittskandidat.
Diese unterschiedlichen Entscheidungen, aber auch andere europäischen Fragen standen im Mittelpunkt einer Diskussionsrunde, bei der Dr. Ulmer Rede und Antwort stand.
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