Vorrang für Windenergie (I) - Walldürn, Hardheim und Höpfingen müssen sich trotz unterschiedlicher Interessenlagen auf einheitliche Standards verständigen

Bürgerwille kontra Haftungsrisiko

Von 
Ralf Scherer
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Wer von Walldürn aus auf Wettersdorf zufährt, sieht von der Ortschaft erst einmal nicht viel, die Windräder im Hintergrund auf bayerischer Seite aber umso deutlicher. Die Bewohner fürchten sich deshalb vor einer Einkreisung, wenn auf Walldürner Gemarkung weitere Rotoren aufgestellt würden.

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Walldürn/Hardheim/Höpfingen. Auf Wettersdorfer Gemarkung steht kein einziges Windrad. Trotzdem befürchten die Einwohner, dass sie bald ringsherum auf sich drehende Rotoren blicken müssen. Nicht ganz ohne Grund, denn entlang der Grenze zum bayerischen Landkreis Miltenberg stehen inzwischen 16 Windkraftanlagen, die von Wettersdorf aus deutlich zu sehen sind.

Eine nicht unerhebliche Zahl könnte auf der eigenen Gemarkung hinzukommen, falls der Gemeindeverwaltungsverband (GVV) Hardheim-Walldürn seinen Flächennutzungsplan zur Ausweisung von Vorrangflächen für Windenergie auf der Grundlage des aktuellen Entwurfs beschließt. Unter Berücksichtigung der überarbeiteten Auswahlkriterien des Regionalverbands Rhein-Neckar sind darin im Verbandsgebiet 23 Flächen enthalten, die laut Windatlas mindestens die geforderten 5,5 Meter pro Sekunde in 140 Meter Höhe vorweisen können. Eine 85 Hektar große Fläche liegt nordwestlich von Wettersdorf in Richtung Reinhardsachsen, ein 64 Hektar großes Areal südwestlich bei Glashofen. Die beiden Gebiete wären groß genug, um dort bis zu 14 Windräder bauen zu können. Vorausgesetzt, es stehen einem solchen Vorhaben keine artenschutzrechtlichen oder andere gewichtigen Gründe entgegen.

Geschlossenes Votum

Um eine Einkreisung von Wettersdorf durch Windkraftanlagen zu verhindern, hat der Ortschaftsrat am Donnerstag vergangener Woche einstimmig beschlossen, dass solche Anlagen nicht näher als 1000 Meter an das Dorf herangebaut werden sollen. Am liebsten wären den Wettersdorfern aber, wenn überhaupt kein Windrad mehr in ihrer Sichtweite errichtet würde.

Ganz ähnlich sehen das die Ortschaftsräte der anderen Walldürner Stadtteile. Auch sie sind mit dem Bau von Windkraftanlagen nur einverstanden, wenn mindestens 1000 Meter Abstand zu Wohngebieten eingehalten werden. Dieses geschlossene Votum lässt zwar an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, hat letztlich aber doch nur empfehlenden Charakter.

"Unser Einfluss endet an der Tür unseres Sitzungsraums", hat es Reinhardsachsens Ortsvorsteher Winfried Kister bei der Gründung der Bürgerinitiative "Keine weiteren Windräder um Reinhardsachsen/Kaltenbrunn" etwas zugespitzt formuliert. Auch dort droht den Bewohnern die gefürchtete Einkreisung. Auch dort formiert sich der Widerstand. 181 innerhalb weniger Tage gesammelte Unterschriften dokumentieren die klare Erwartungshaltung an den Gemeinderat.

Immerhin gilt in Walldürn das ungeschriebene Gesetz, wonach sich das Kommunalparlament nicht gegen Entscheidungen der Ortschaftsräte stellt. Ob das Gremium dieser Linie auch in der Sitzung am Montag treu bleiben wird, daran hat mancher Ortsvorsteher allerdings seine Zweifel. Denn einerseits muss der Gemeinderat im Auge behalten, ob bei 1000 Meter Mindestabstand überhaupt noch genügend Vorrangflächen übrigbleiben würden. Eine entsprechende Karte will das Bauverwaltungsamt in der Sitzung vorlegen. Andererseits werden die Räte einen Blick auf die beiden anderen Mitgliedsgemeinden des GVV werfen.

In Höpfingen hat sich das Kommunalparlament bereits für die Anwendung des Kriterienkatalogs des Regionalverbands Rhein-Neckar und damit für einen Mindestabstand von 750 Metern ausgesprochen. Nicht, weil die Gemeinderäte überzeugt waren, dass dieser Abstand ausreichend wäre. Der Ortschaftsrat Waldstetten hatte sich gar die zehnfache Höhe der jeweiligen Anlage als Abstand gewünscht. Ausschlaggebend in der Sitzung Anfang Juni war vielmehr die Angst vor Schadenersatzansprüchen der Firma Zeag, die im Bereich "Kornberg/Dreimärker" sechs Windkraftanlagen errichten will und auf einen entsprechenden Vertrag mit Hardheim und Höpfingen verweisen kann. Hätte sich Höpfingen für 1000 Meter Abstand entschieden, könnte der Standort "Kornberg/Dreimärker" als Vorrangfläche nahezu vollständig aus der Planung herausfallen. Mit finanziellen Risiken für die Gemeinde. Auch der Hardheimer Gemeinderat steckt deshalb in der Zwickmühle und hat seine für vergangenen Montag erwartete Entscheidung gleich ganz vertagt. Weil sich alle drei Verbandsgemeinden auf identische Kriterien verständigen müssen, sahen die Ratsmitglieder Beratungsbedarf mit den Gremien der Nachbargemeinden, ehe sie sich endgültig festlegen wollen.

Investoren abgelehnt

In Walldürn reiben sich derweil die Verantwortlichen in der Verwaltung verwundert die Augen. "So etwas machen wir auf keinen Fall", kommentierte Norbert Riedl, Leiter des Bauverwaltungamts, bei der Sitzung des Wettersdorfer Ortschaftsrats den Vertragsabschluss der Nachbargemeinden. Tatsächlich haben in Walldürn Bürgermeister und Verwaltung in der Vergangenheit konsequent interessierte Investoren abgewiesen und diesen gar verboten, Gespräche mit Grundstückseigentümern zu führen - um eben nicht in die Bredouille zu kommen, ehe der Flächennutzungsplan auf einem soliden Fundament steht.

Dennoch könnte sich der Walldürner Gemeinderat am Ende veranlasst sehen, mit seinem Votum Schaden von den Nachbargemeinden abzuwenden - auch auf die Gefahr hin, die eigenen Bürger damit vor den Kopf zu stoßen. Finanziell drohen der Wallfahrtsstadt über den GVV keine Haftungsrisiken. Müssten Hardheim und Höpfingen tatsächlich Schadenersatz zahlen, fürchtet trotzdem manches Walldürner Ratsmitglied den erneuten Ruf nach Solidarität. Bereits 2013 hatte Walldürn in die Gemeindekasse gegriffen, um Hardheim bei der Rückabwicklung der Lidl-Ruine finanziell zu unterstützen. Rund 50 000 Euro und damit 50 Prozent der Kosten waren damals als Nachbarschaftshilfe geflossen.

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