Walldürn. Im ersten Teil unserer Serie beleuchteten wir die Gründungsjahre und die ersten Jahrzehnte der „Löwenlichtspiele“ Walldürn, die heuer ihr 100-jähriges Bestehen feiern können. Bereits seit 1930 wurde das Walldürner Kino durch die Familie Stumpf betrieben. Maria Stumpf wird nach dem Tod ihres Gatten Otto ab 1941 als Besitzerin benannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Maria Stumpf mit Genehmigung der amerikanischen Militärregierung bereits im Frühjahr 1946 das Kino wiedereröffnen und betrieb es dann bis ins Jahr 1957, wo Waldemar Stumpf die Nachfolge antrat und weitere 20 Jahre bis 1978 den Familienbetrieb führte.
Menschen wollten vom Nachkriegsalltag abgelenkt werden
Das Filmangebot in den deutschen Kinos war in den beiden Dekaden nach dem Krieg mit unterschiedlichen Genres gefüllt. Neben thematisch anspruchsvollen Filmen wie „Die Mörder sind unter uns“, „Die Brücke“ oder „Rosen für den Staatsanwalt“ erlebten vor allem Heimatfilme ihre Blütezeit. Produktionen wie „Das Schwarzwaldmädel“ oder „Grün ist die Heide“ lockten ein Millionenpublikum in die Kinos. Die Menschen wollten im Kino von dem harten Nachkriegsalltag abgelenkt werden.
Neben synchronisierten großen Hollywoodproduktionen wurden hauptsächlich auch historische Liebesfilme wie „Sissi“, Kriminalfilme wie die Edgar Wallace-Verfilmungen und Abenteuerfilme wie die sehr erfolgreichen Karl May-Filme gezeigt. Im Zuge des westdeutschen Wirtschaftswunders startete ein Höhenflug der Lichtspielhäuser, die Kinovorführungen wurden durch Wochenschauen und Kulturfilme aufgewertet. So gab es 1960 nach Angaben der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V., Wiesbaden im Bundesgebiet einschließlich West-Berlin 6.884 ortsfeste Filmtheater, davon konnten in Baden-Württemberg in 3.382 Städten und Gemeinden 924 Kinos besucht werden.
Ein Umbau erfolgte 1950
Das Walldürner Kino wurde 1950 umgebaut, berichtet die Familie Stumpf in einem Interview aus 1995. Die Stufen im Saal verschwanden, eine Schräge und eine Bühne mit Vorhang wurden eingebaut. Klappstühle aus Holz und eine zweite Vorführmaschine wurden beschafft. Ab 1959 gab es dann gepolsterte Stühle und eine bessere Akustik durch eine Wandbespannung. Xenon-Lampen im Vorführraum anstelle der zuvor verwendeten Kohle-Brennstäbe sorgten nun für eine konstante Helligkeit bei der Filmwiedergabe.
Wachtmeister Ebel kontrolliert bei Bergmans Skandalfilm
Gezeigt wurde in Walldürn im Mai 1962 der im neuen Verfahren CinemaScope gedrehte Film „Ben Hur“, dessen Filmlänge mit dreieinhalb Stunden sogar dazu führte, dass es eine Pause gab. Mit der fiktiven Geschichte des Kaufmanns Judah Ben-Hur, der zur Zeit Jesu lebte, wurde erstmals die ganze Projektionswand ausgefüllt, wo zuvor nur ein Rechteck die Filme wiedergab. Besonders war auch immer darauf zu achten, dass niemand unter 16 Jahren eine Eintrittskarte erhielt.
1963 kam dann „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman in die Kinos. Das Siegel FSK18 und die schon im Vorfeld erfolgte Verteufelung des Films wegen seines damals anstößigen Umgangs mit Sex, führte dazu, dass sich Wachtmeister Ebel im Foyer vor der Kasse platzierte, um hier die Zugangsberechtigung zu den ausverkauften Vorstellungen zu legitimieren. Wenn „anrüchige“ Filme im Schaukasten beworben wurden, musste dieser seinerzeit während der Prozessionen in der Wallfahrtszeit verhüllt werden. Das „Wunder von Bern“, der WM-Sieg Deutschlands gegen die als unschlagbar geltende ungarische Fußballnationalmannschaft 1954 wurde auch in den Löwenlichtspielen gezeigt – allerdings nur auf zwei aufgestellten Fernsehgeräten.
Zeitzeuge Waldemar Stumpf, Sohn der damaligen Kinobetreiber, erinnert sich, dass in den 60er und 70er-Jahren wochentags von Mittwoch bis Samstag um „achte“ Kinozeit war. Samstags gab’s dann um „halber elfe“ die Spätvorstellung und am Sonntag wurden um 14.30 Uhr, 17 Uhr und 20 Uhr Filme gezeigt. Es gab drei Preiskategorien. Die ersten drei Reihen, auch „Schleudersitze“ genannt, da die Sitze ebenerdig mit der Leinwand waren und man den Kopf ein wenig nach hinten legen musste, um den Film zu sehen, kosteten 60 Pfennig. Die letzten vier Reihen hießen Sperrsitz und kosteten eine Mark, die Sitze dazwischen 80 Pfennig.
Julius Stumpf, der Bruder des Betreibers, riss die Karten beim Eingang zum Kinosaal ab und fungierte dann auch noch als Vorführer, wenn sein Sohn Robert verhindert war. Später übernahmen Markus und Uwe Stäudinger, Neffen des Besitzers, bis ins Jahr 1997 diese Aufgaben.
Mit einem nassen Sack die Flammen gelöscht
Der Filmvorführer hatte seinerzeit keine einfache Aufgabe, da ein Kinofilm in normaler Länge aus sechs Filmrollen bestand. So gab es in Walldürn zwei Projektoren, die nebeneinander im Vorführraum standen. Durch kleine Öffnungen warfen sie das Bild im Wechsel auf die Leinwand. Am Ende jeder Filmrolle erschien ein Kreuz auf der Leinwand, was bedeutete, dass der zweite Projektor gestartet wurde.
Die Kunst bestand darin, den Vorgang so zu koordinieren, dass die Zuschauer das Überblenden nicht merkten. Per Hand mussten die Filmrollen dann zurückgespult werden. Auch die Lautstärke im Saal wurde manuell reguliert. Die bis Anfang der 1960er für Filmvorführer erforderliche Zertifizierung, die darin begründet war, dass Filmrollen zu dieser Zeit höchst brennbar waren, was zu vielen Kinobränden führte, entfiel.
In diesem Zusammenhang sei rückblickend erwähnt, dass im Walldürner Kino am 11. November 1928 während der Vorführung des Stummfilms „Der Dieb von Bagdad“, einem frühen Klassiker der Hollywood-Märchenfilme, der Filmstreifen brach und sofort Feuer fing. Vorführer Willi Crezeli meldet an das Bezirksamt Buchen, dass er „einen nassen Sack, den er bereit liegen hatte, über die Filmtrommel warf, aus der starke Flammen schlugen und die glühenden Teile mit Wasser abkühlte. Da der fünfte Akt verbrannt war, wurde die Vorstellung abgebrochen.“ Gendarmerie-Hauptwachtmeister Kesel bestätigt den Vorgang und meldet den Vorfall an die Staatsanwaltschaft.
Eheleute Stumpf suchten die Filme persönlich aus
Ausgesucht wurden die Filme mehrfach im Jahr persönlich durch die Eheleute Stumpf in Frankfurt/Main, wo die großen Filmverleiher wie United Artists, Metro Goldwyn Meyer oder Paramount ihre Büros hatten. Dort war zu verhandeln, welche Filme man wann und zu welchem Preis bekommen könnte. Die Krux an diesem Geschäft war, dass man, wenn ein sehr guter Film, der hohe Zuschauerzahlen verspricht, geliehen wurde, man auch einen nehmen musste, der nicht viel einspielen würde.
Die Filmrollen kamen zum vereinbarten Termin mit dem Zug aus Frankfurt in einer Art großem Klappkoffer am Bahnhof Walldürn an, von dort aus brachte sie der Pferdekutscher „Allies“ lange Zeit mit dem Pferdefuhrwerk zum Kino.
Ende der 1950er Jahre gab es ein zweites Kino
Erwähnt sei der Vollständigkeit halber noch, dass von 1955 bis 1960 im „Modernen Theater“ von Erna Künkel ebenfalls Filme in Walldürn gezeigt wurden. Das Domizil des MT war in der Friedensstraße 22, heute Adolf-Kolping-Straße im Gebäude des späteren Schöpflin-Markts, nach Abbruch Lidl, Conny´s Hauswaren und heute Elektrobetrieb Jakobi-Abazi.
(Quellenangaben: Walldürner Heimatgeschichte, T. Wick, Stadtarchiv Walldürn, Generallandesarchiv Baden-Württemberg, Karlsruhe)
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