Flächennutzungsplan 2030 - Walldürn will bis zum Jahr 2030 bis zu 200 neue Bauplätze ausweisen / Forscher gehen von deutlich sinkenden Einwohnerzahlen aus

Baugebiete so groß wie 40 Fußballfelder

Von 
Ralf Scherer
Lesedauer: 
Auf den rot markierten Flächen „Vorderer Wasen II“ (links, 8,74 Hektar), „Neuer Wasen“ (Zweite von rechts, 4,37 Hektar) und „Roter Weg“ (rechts, 0,64 Hektar) sollen in den kommenden Jahren Bauplätze entstehen. Die gelb markierte Fläche dazwischen soll als Entwicklungsfläche in den Flächennutzungsplan 2030 des Gemeindeverwaltungsverbands aufgenommen werden. © Ralf Scherer/Active Art one

Walldürn. Für viele Anwohner, aber auch Bürger aus dem gesamten Stadtgebiet ist der „Wasen“ am westlichen Stadtrand ein beliebtes Naherholungsgebiet. Wiesen wechseln sich mit Streuobstbeständen und Blühstreifen ab. Zwischendrin grasen Pferde in Koppeln. Von früh morgens bis spät abends nutzen jeden Tag hunderte Spaziergänger, Radfahrer und Jogger den Landstrich zwischen der Bebauungsgrenze und dem Waldrand, um dem Trubel des Alltags einen Moment lang zu entfliehen. Zahlreichen Tier- und Pflanzenarten bietet das Gelände einen wertvollen Lebensraum.

Wenn es nach dem Willen des Walldürner Gemeinderats geht, soll ein Großteil des „Wasen“ mit Wohnhäusern bebaut werden. Nach den FN vorliegenden Informationen soll mit der Erschließung eines 8,74 Hektar großen Areals mit der Bezeichnung „Vorderer Wasen II“ bereits ab dem Jahr 2025 begonnen werden können. Zusammen mit den geplanten Baugebieten „Neuer Wasen“, „Roter Weg“ und „Leinenkugel“ will Walldürn in der Kernstadt bis 2030 rund 16,6 Hektar Wohnbaufläche bereitstellen. Das entspricht der Größe von 40 Fußballfeldern – oder knapp 200 Bauplätzen.

Unmittelbar an die Fläche „Vorderer Wasen II“ angrenzend soll ein weiteres rund sechs Hektar großes Gebiet als Entwicklungsfläche deklariert werden, um bei Bedarf auch dort Bauplätze schaffen zu können.

Bekannt wurde das gesamte Ausmaß der Planung jetzt im Rahmen der Offenlage des Vorentwurfs des Flächennutzungsplans (FNP) 2030. Darin wird das Gebiet des Gemeindeverwaltungsverbands (GVV) Hardheim-Walldürn neu überplant. Zahlreiche von den drei Verbandsgemeinden längst beschlossene Vorhaben wie die Baugebiete „Leinenkugel“ und „Neuer Wasen“ sollen darin ihren Niederschlag finden. Der Entwurf enthält aber auch Überraschungen. Auf Anfrage der FN bestätigte Christian Berlin, Leiter des Stadtbauamts, dass Walldürn die Aufnahme des Areals „Vorderer Wasen II“ und der Entwicklungsfläche in den Vorentwurf des FNP 2030 veranlasst hat. Öffentlich zugängliche Unterlagen deuten darauf hin, dass der Ausschuss für Technik und Umwelt diese Vorgehensweise in nicht-öffentlicher Sitzung zustimmend zur Kenntnis genommen hat.

Unvollständige Unterlagen

Gemäß dem Einheitlichen Regionalplan Rhein-Neckar befindet sich die Fläche „Vorderer Wasen II“ in einem Regionalen Grünzug und in einem landwirtschaftlichen Vorranggebiet. Wie der Bereich „Roter Weg“ liegt auch das Areal „Vorderer Wasen II“ in einer Kernfläche des landesweiten Biotopverbunds. Trotz dieser Schutzausweisungen betrachten die Planer den Eingriff zugunsten neuer Baugebiete als unvermeidbar. „Die Wohnbauentwicklung der Kernstadt ist im Südwesten durch den Bundeswehrstandort beschränkt. Im Süden, Südosten und Nordosten kann sich die Kernstadt aufgrund der vorhandenen Industrie- und Gewerbegebiete nicht weiterentwickeln. Auch im Norden wird die Entwicklung durch die bestehenden Waldflächen begrenzt“, heißt es in den Unterlagen.

Nicht erwähnt wird darin, dass sich im Plangebiet „Vorderer Wasen II“ zahlreiche ökologisch wertvolle Streuobstwiesen befinden. Auch in der Planskizze sind diese Streuobstbestände nicht eingezeichnet. Rund 340 Apfel-, Birnen-, Zwetschgen-, Mirabellen und Walnussbäume müssten alleine für die Erschließung des Bereichs „Vorderer Wasen II“ gefällt werden. Umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen zur Kompensation wären notwendig. Mehrere Grundstückseigentümer haben bereits durchblicken lassen, dass sie dieser Planung skeptisch gegenüberstehen und ihren Grund und Boden nicht verkaufen wollen.

Weshalb jeglicher Hinweis auf die Streuobstwiesen in den Unterlagen fehlt, hat sich bisher nicht aufklären lassen. Die zuständigen Planer des GVV und des beteiligten Ingenieurbüros befinden sich im Urlaub.

Begründet wird der massive Eingriff in die Landschaft in den Verfahrensunterlagen mit einem Wohnflächenbedarf für Walldürn bis 2030 in einer Größenordnung von 16,1 Hektar. Berechnet mit einer neuen Methode, die der Planungsausschuss des Verbands Region Rhein-Neckar im März vergangenen Jahres beschlossen hat. Obwohl dieser sogenannte „Orientierungswert“ nichts über den tatsächlichen Bedarf aussagt, hat die Walldürner Verwaltung sogar noch zusätzliche 6,5 Hektar angemeldet. Insgesamt sollen in der Wallfahrtsstadt bis zu 22,6 Hektar neues Bauland ausgewiesen werden können.

Mangelhafte Umsetzung

Aus der Entwurfsplanung geht jedoch auch hervor, dass neue Baugebiete gar nicht notwendig wären, wenn die bereits vorhandenen Flächen konsequent genutzt würden. Beispielsweise existiert für den Auerberg zwischen der Pater-Josef-Eckstein-Straße, dem Waldrand und dem Friedhof seit 1991 ein rechtskräftiger Bebauungsplan. Platz wäre in diesem Bereich für rund 70 Wohnhäuser. Der Beginn der Erschließung lässt jedoch auf sich warten. Weil es Probleme bei der Umlegung der Grundstücke gibt. In den vergangenen 27 Jahren ist es der Verwaltung nicht gelungen, die Schwierigkeiten zu überwinden. Am liebsten würden die Gemeinderäte den Bebauungsplan „Steinacker/Auerberg II“ deshalb ganz aufheben. Dann stünden der Stadt aber offenbar Schadenersatzforderungen von Grundstückseigentümern ins Haus.

Kaum Fortschritt gibt es auch bei der Bebauung innerstädtischer Flächen. Auf das gesamte Stadtgebiet verteilen sich derzeit 95 Grundstücke (8,5 Hektar), die nicht bebaut werden können, weil die Eigentümer die Flächen nicht verkaufen wollen. Einige behalten Grundstücke für ihre Nachkommen zurück, andere spekulieren auf eine weitere Wertsteigerung und vielen fehlt es angesichts des Zinstiefs an attraktiven Möglichkeiten, einen Verkaufserlös sinnvoll anzulegen. Einen Bauzwang gibt es für die betroffenen Grundstücke nicht. Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass bis 2030 lediglich zehn Prozent der Baulücken geschlossen werden können.

Mehr Verkaufsbereitschaft bei den Eigentümern könnte die Einführung einer Grundsteuer „C“ – einer Art Strafsteuer auf brachliegende Bauplätze – schaffen. Im Zuge der Grundsteuerreform wird das zurzeit von Experten diskutiert. Bis Ende 2019 muss die Bundesregierung ein Konzept auf den Tisch legen. Die Gemeinden könnten dann ein Instrument in die Hand bekommen, um innerstädtische Flächen für eine Bebauung zu aktivieren.

Keine verlässlichen Zahlen

Flächen, die laut der Erwartung von Gemeinderat und Stadtverwaltung benötigt werden, um bis 2030 einen zusätzlichen Zuzug von 450 Einwohnern bewältigen zu können. Als Grundlage für diese Zahl werden Erweiterungspläne von Procter&Gamble (P&G) am Standort Walldürn und eine Aufstockung der Dienstposten in der Nibelungenkaserne angeführt. Allerdings haben sich bisher weder P&G noch das Bundesverteidigungsministerium in die Karten schauen lassen. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Weshalb die Planer im Vorentwurf selbst mit der Einschränkung „voraussichtlich“ argumentieren und einräumen, dass „der Einwohnerzuwachs noch nicht konkret abgeschätzt werden kann“.

Nach den FN vorliegenden Informationen haben bisher keine fünf Prozent der 250 in Kronberg von der Produktionsverlagerung betroffenen Mitarbeiter das Angebot angenommen, nach Walldürn zu wechseln. P&G wirbt deshalb offensiv in der Region um neue Arbeitskräfte.

Ob das zu einem Zuzug nach Walldürn oder mehr Pendelverkehr führen wird, bleibt abzuwarten. Sollten sich die Annahmen der Planer bewahrheiten, ist immer noch unklar, weshalb Walldürn neue Baugebiete in der angestrebten Dimension braucht.

Demografische Entwicklung

Ob die erwarteten 450 neuen Einwohner einen Zuzug über die Prognose des Statistischen Landesamtes hinaus bedeuten, geht aus dem Vorentwurf nicht hervor. Die Bertelsmann-Stiftung, die für ihre Projektion Daten mehrerer Institute und eigene Berechnungen zusammengeführt hat, geht davon aus, dass bis 2030 tatsächlich mehr Menschen nach Walldürn ziehen als abwandern (plus 1,6 Prozent gegenüber 2012). Gleichzeitig erwarten die Forscher wegen der natürlichen Bevölkerungsentwicklung (mehr Sterbefälle als Geburten) einen Rückgang der Einwohnerzahlen um 8,7 Prozent. Unter Berücksichtigung aller Faktoren weist der Demografiebericht im Vergleich zum Jahr 2012 einem Rückgang der Bevölkerung um 6,2 Prozent auf rund 10 530 Einwohner aus. Ein Allzeithoch bei den Einwohnern verzeichneten die Statistiker im Jahr 2004 mit 12 110 Personen. Rechnet man die Walldürn seit 2015 zugewiesenen Flüchtlinge heraus, hat sich seitdem der Abwärtstrend allenfalls verlangsamt.

Aufschlussreich ist auch die Prognose der Bertelsmann-Stiftung zur Entwicklung der Altersgruppen. Demnach soll in Walldürn der Anteil der 19- bis 25 Jährigen an der Bevölkerung bis 2030 um mehr als 30 Prozent sinken, der Anteil der 25- bis 44-Jährigen – also die Zahl der potenziell Bauwilligen – um rund 15 Prozent. Die Zahl der 65- bis 79-Jährigen soll dagegen gut 30 Prozent zulegen, die der ab 80-Jährigen sogar um knapp 50 Prozent. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass nicht die Ausweisung neuer Baugebiete am Stadtrand die zentrale Herausforderung der Zukunft sein wird, sondern die Schaffung von seniorengerechtem Wohnraum im Zentrum.

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten