Tauberbischofsheim. Tauberbischofsheim. Schokoladenliebhaber kamen an diesem Abend im Engelsaal auf ihre Kosten – und zwar wortwörtlich, denn es gab im Verlauf der Lesung der Autorin Lisa Graf auch direkt etwas zu kosten in Form einiger dunkelbrauner Splitter und Krümel, die etwas trocken und körnig schmeckten, nicht so cremig und auch nicht so süß wie die meisten heutigen Sorten. Es war ein schmeckbares Beispiel früher Schweizer Schokoladenherstellung, für die der Firmenname „Lindt&Sprüngli“ heute fast bedeutungsgleich geworden ist. Lisa Graf alias Elisabeth Graf-Riemann, Verfasserin der überaus erfolgreichen, in mehrere Sprachen übersetzten dreibändigen „Dallmayr-Saga“, hat ihr jüngstes, ebenfalls auf drei Teile angelegtes Werk der Schweizer Schokoladen-Dynastie gewidmet, ihren bescheidenen Anfängen im Zürich des frühen 19.Jahrhunderts und ihrem Aufstieg zu einem der weltweit führenden Süßwarenproduzenten.
Der Held des ersten Teils ist Rudolf Sprüngli (1816-1897), der als Zehnjähriger in einer Züricher Apotheke mit seinem Taschengeld einige Stücke der damals noch sehr seltenen und entsprechend teuren Schokolade kauft, um mit dieser „Medizin“ seiner kranken Mutter zu helfen. Als Lehrling in dem Confiseriebetrieb seines Vaters David (1776-1862) erkennt er bald, dass aus dem bitteren Kakao mit einigem Erfindungsgeist ein wohl schmeckendes Genussmittel herzustellen sei. Bei Meister Louis Cailler im westschweizerischen Vevey erweitert er seine Fachkenntnisse und kann die kleine Confiserie-Fabrik als Nachfolger seines Vaters übernehmen, woraus 1847 als Grundstein für die weitere Erfolgsgeschichte die erste eigene Schokolademanufaktur in Horgen entsteht...
Dies ist kurz zusammengefasst in etwa der Inhalt des ersten Teils der Lindt&Sprüngli-Trilogie, aus der die Autorin im recht gut (allerdings fast ausschließlich von Zuhörerinnen) besuchten Engelsaal insgesamt sieben Abschnitte beziehungsweise Textproben vorlas. Diese weibliche Dominanz lag wohl in der Natur der Sache; bei einem anderen Stoff, etwa einer „Anheuser-Busch“ oder „Doornkaat“-Saga wäre der Männeranteil wohl größer gewesen. Eingeschaltet waren immer wieder Zwischenmoderationen von Lisa Graf, aus denen man Interessantes zur Kultur des 19. Jahrhunderts und den harten Lebensverhältnissen erfuhr, mit denen vor 200 Jahren auch ein Schweizer zu kämpfen hatte, wenn er nicht gerade der Oberschicht angehörte.
Die aus Passau stammende Autorin, studierte Romanistin, die vor ihrem Wechsel ins populär-belletristische Fach (sie hat auch einige erfolgreiche Krimis geschrieben) als Verlagslektorin, Übersetzerin und Sachbuchautorin tätig war, hat für ihre Trilogie offenbar sehr sorgfältig recherchiert und schreibt einen unprätentiösen, anschaulichen und leicht lesbaren Stil. Die Sympathie für ihren Helden, der sich zielsicher aus kleinen Verhältnissen nach oben kämpft, ist aus ihrer Darstellung unschwer heraus zu spüren. Gelegentlich klingt auch etwas Gesellschaftskritik an im Blick auf das recht materialistische Bürgertum im damals bereits wohlhabenden Zürich. So weit dies den Textproben zu entnehmen ist, bleiben dies freilich Streiflichter. Immerhin – wer an diesem speziellen Stoff und einem bestimmten Ausschnitt der Kulturgeschichte Europas interessiert ist, wird den Fortgang der „Lindt&Sprüngli“-Saga mit Spannung erwarten.
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