Interview - MdB Dr. Sebastian Schäfer (Grüne) setzt sich für sozialen Ausgleich ein,  Waffenlieferung an die Ukraine sollten ausgebaut werden

MdB Schäfer: Gezielte Entlastung unterer Einkommen anstatt einer Streubüchse

Ukraine-Krieg und Energiekrise, Klimaschutz und Finanzspielräume: Es gibt derzeit viele Brennpunkte in der Bundespolitik. Nicht immer ist sich die Koalition in Berlin einig, wie Sebastian Schäfer (Grüne) feststellt.

Von 
Diana Seufert
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Der Obmann der Grünen im Haushaltsausschuss, MdB Dr. Sebastian Schäfer (Mitte), war gemeinsam mit Kreisrat Rainer Moritz zu Besuch bei den Fränkischen Nachrichten. Der Bundespolitiker mit Wurzeln in Franken stellte sich den Fragen von Redakteurin Diana Seufert. © Martin Bernhard

Odenwald-Tauber. Dr. Sebastian Schäfer ist Betreuungsabgeordneter der Grünen für den Wahlkreis Odenwald-Tauber. Auf seiner Sommertour machte der 43-jährige gebürtige Dettelbacher Station bei den Fränkischen Nachrichten. Im Interview sprach er sich für eine Übergewinnsteuer und eine Reform des Beschaffungswesens der Bundeswehr aus – und er setzt sich für eine Entlastung vor allem von Bürgern mit kleineren Einkommen ein.

Das Grüne Spitzenpersonal im Bund steht bei den Bürgern ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Wie geht die Partei damit um?

Sebastian Schäfer: Als baden-württembergische Grüne sind wir es schon ein bisschen gewohnt, dass der Teppich mal fliegt, wie es Ministerpräsident Kretschmann ausgedrückt hat. Aber wir bleiben auf dem Teppich. Dennoch ist es hilfreich und macht die Arbeit leichter, wenn in schwierigen Zeiten die Partei und das Spitzenpersonal so viel Zuspruch finden. Wir tragen viel Verantwortung für Baden-Württemberg und das ganze Land in diesen herausfordernden Zeiten.

Das klingt nicht unbedingt euphorisch.

Schäfer: Es sind keine Zeiten für Euphorie. Dafür ist die Lage aktuell zu schwierig. Wir freuen uns über die Wertschätzung, aber wir machen weiter unsere Arbeit.

Als Obmann im Haushaltsausschuss haben Sie ein Wörtchen mitzureden, wenn es um die Verteilung von Geldern im Bereich Landwirtschaft, Umwelt und Verteidigung geht. Für viele sind das die drei größten Schwerpunkte aktuell. Für Sie auch?

Schäfer: Ja klar, das ist mein tägliches Brot. Gerade der Verteidigungsetat war in den Haushaltsverhandlungen nach dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Ausrufen der Zeitenwende wegen des Sondervermögens für die Bundeswehr besonders gefordert. Als Haushälter haben wir große Verantwortung. Im Verteidigungsbereich wird viel Geld ausgegeben und wir müssen besonders gut hinschauen wofür. Ich stehe hinter dem Sondervermögen. Als wirtschaftsstarkes Land muss sich Deutschland mehr engagieren und darf sich nicht nur auf die USA verlassen. Dennoch haben wir keine Mittel zum Verschwenden. Deshalb muss genau auf die Strukturen geachtet werden. Wir haben in der Vergangenheit schon eine Menge Geld in Sachen Verteidigung ausgegeben, aber zu wenig Leistung erhalten.

Sie sind für eine Reform des Beschaffungswesens?

Schäfer: Absolut. Es wurden schon erste Entscheidungen in die richtige Richtung getroffen, um den Verantwortlichen vor Ort mehr Möglichkeiten zu geben. Die Reformnotwendigkeit ist weiterhin groß. Da erwarte ich weitere konkrete Vorschläge von der Verteidigungsministerin.

Sprechen wir über die Ukraine…

Schäfer: Die Situation in der Ukraine ist mir ein wichtiges Anliegen. Wir reden zurzeit viel über die innenpolitischen Fragestellungen, die sich mit dem Krieg und den wirtschaftlichen Folgen ergeben. Aber wir dürfen die Menschen dort und die gravierenden Auswirkungen dieses brutalen Angriffskriegs nicht vergessen. Ich bin unseren Bürgerinnen und Bürgern sehr dankbar für ihre großartige Unterstützung und Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine. Das werden wir bewahren. Zudem müssen wir die Ukraine stärker in die Lage versetzen, sich gegen die russische Aggression zu wehren.

Wir sprechen also von Waffenlieferungen?

Schäfer: Wir müssen die Waffenlieferungen weiter ausbauen. Es geht um die Existenz und die Freiheit der Menschen in der Ukraine. Dafür braucht es auch robuste Mittel. Ich bin auch Pazifist, aber das funktioniert nur, wenn der Pazifismus erwidert wird. Ich habe versucht, in meiner Bundestagsrede zum Sondervermögen ein Paradox herauszustellen: Wir geben ganz viel Geld aus in der Hoffnung, dass wir das, was wir kaufen, nie brauchen werden. Die Zeiten des Kalten Kriegs kommen leider ein Stück weit zurück.

Ein weiterer Krisenherd ist Mali. Soll die Bundeswehr dort abziehen?

Schäfer: Im Moment ist der Bundeswehreinsatz in Mali ausgesetzt. Wir müssen schauen, dass die Sahelzone einigermaßen stabil gehalten wird. In das Vakuum stoßen Russland und auch China schnell hinein. Es ist bereits zu Waffenlieferungen der Russen gekommen. Die russische Söldnergruppe Wagner operiert dort. Wir operieren in der Sahelzone im Rahmen eines UN-Mandats. Weitere Schritte werden sehr genau abgewogen. Das Auswärtige Amt und Außenministerin Annalena Baerbock gehen mit größter Sensibilität vor, beobachten die Entwicklung ganz eng. Zumindest die Rotation der Soldaten konnte jetzt stattfinden, das war ein wichtiger Zwischenschritt.

Stichwort Energiekrise und Gasumlage. Nicht alle Haushalte können das stemmen und brauchen eine Entlastung.

Schäfer: Wirtschaftsminister Habeck hat eindringlich darauf hingewiesen, dass wir weitere Entlastungen brauchen. Wir müssen uns dabei auf die konzentrieren, die dringend Unterstützung brauchen. Die Streubüchse aufmachen und Leute mit hohen Einkommen entlasten – davon halten wir wenig. Das können wir uns auch nicht leisten in dieser schwierigen Zeit. Wichtig ist, einkommensschwache Menschen, die von höheren Preisen bei Energie und Lebensmitteln besonders betroffen sind, zielgenau zu entlasten. Die Energiepauschale von 300 Euro, die viele jetzt im September erhalten werden, ist sehr zielgenau, denn sie unterliegt der Einkommensteuer. Genauso funktioniert das auch mit zusätzlichem Kindergeld. Wer wenig verdient, bei dem kommt das meiste an. Das ist die richtige Richtung, da sollten wir noch deutlich mehr tun.

Ist die Gasumlage wirklich alternativlos?

Schäfer: Es geht dabei um die Stabilisierung der Energieunternehmen, um viele Stadtwerke, die besonders abhängig von Russland sind. Wenn sie Pleite gehen, werden Haushalte und Unternehmen nicht mehr mit Gas beliefert. Der Weg der Gasumlage ist ein solidarischer, weil sich andere, die sich besser aufgestellt haben, daran beteiligen müssen. Dieses Solidaritätsinstrument muss von gezielten Entlastungen flankiert werden, für die, die es dringend brauchen. Wir zahlen jetzt den Preis für die Abhängigkeit gegenüber Putins Russland und sehen, wie Putin diese Abhängigkeit ausnutzt. Die Argumente, warum gerade sehr wenig Gas durch Nordstream 1 geleitet wird, sind vorgeschoben. Wir überweisen durch die Preissteigerungen viel Geld, obwohl wir deutlich geringere Gasmengen erhalten.

Andere Konzerne machen in der Krise dicke Gewinne. Was halten Sie von einer Übergewinnsteuer?

Schäfer: Wenn Gewinne anfallen, die nicht durch Innovation oder kluges Agieren am Markt, sondern allein durch politische Zufälle entstehen, gibt es keine Rechtfertigung für die Extra-Gewinne. Beim Impfstoffhersteller Biontech etwa kommen die Gewinne durch Innovation. Die werden grundsätzlich natürlich auch besteuert. Warum eine Übergewinnsteuer dem Geist der sozialen Marktwirtschaft widersprechen würde, wie Christian Lindner das behauptet, verstehe ich nicht. Eine Übergewinnsteuer würde uns auch helfen, um die notwendigen Entlastungen gegenfinanzieren zu können. Das ist ein Streitpunkt in der Koalition. Lindner muss beantworten, wie notwendige Entlastungen und Investitionen zu finanzieren sind. Wie er in dieser schweren Krise gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten will, hat sich mir noch nicht erschlossen.

Werden Klimaschutz, sozialer Friede und die Sicherheit Deutschlands gegeneinander ausgespielt, weil die finanziellen Spielräume fehlen?

Schäfer: Es besteht die Sorge, dass das passieren kann. Wir verlieren durch unsere Abhängigkeit von fossilen Energien Wohlstand. Für das Sondervermögen der Bundeswehr wurden 100 Milliarden Euro neue Schulden beschlossen. Mit dem Energie- und Klimafonds gibt es ein Sondervermögen für den Klimaschutz. Wir versuchen so, Vorsorge zu treffen, um in den nächsten Jahren ausreichend Mittel für Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung zu haben. Das ist eine Existenzfrage, das sehen wir ja gerade überall. Beim sozialen Ausgleich sind wir jedoch noch nicht so weit, wie wir sein sollten. Lindners Vorschläge zur kalten Progression tragen dazu nicht bei, weil sie hohe Einkommen viel stärker entlasten als niedrige Einkommen. Die Verteilungsfrage muss anders beantwortet werden. Die Grünen setzen sich klar dafür ein, dass kleinere und mittlere Einkommen stärker entlastet werden. Starke Schultern müssen im Zweifelsfall mehr tragen. Wer als Single mehr als 100 000 Euro verdient, kann sich das auch leisten.

Der Main-Tauber-Kreis hat in Baden-Württemberg die meisten Windräder. Haben wir in Sachen erneuerbare Energien unsere Hausaufgaben gemacht und können uns zurücklehnen?

Schäfer: Die meisten Windräder sind auf alle Fälle gut, aber beim Ausbau der erneuerbaren Energien müssen wir die Zahlen vervielfachen – bei Windrädern wie bei Photovoltaikanlagen. Ich freue mich, dass es hier so gute Entwicklungen gibt, von denen andere Kreise noch etwas lernen können. Es kann gerne auch mit innovativen Dingen weitergehen, da entstehen große Chancen für unsere Wirtschaft. Bei den PV-Anlagen kann der Kreis seine Pionierleistung gerne ausbauen. Bei den privaten Hausbesitzern haben wir vor dem Ukraine-Krieg schon die Absicht gesehen, in Sachen Energie unabhängiger zu werden. Das hat sich jetzt noch mal verstärkt und ist eine gute Entwicklung. Aber bei der Realisierung der PV-Anlagen gibt es wegen der Lieferketten und des Fachkräftemangels Probleme. Da haben wir noch einiges zu tun.

Sie haben im März bei einem Besuch im Kreis gesagt, der Bau von Solar- und Windkraftanlagen muss massiv beschleunigt werden, um unabhängiger von Russland zu werden. Was hat sich seitdem getan?

Schäfer: Zur Beschleunigung wurde vor der Sommerpause gesetzgeberisch einiges auf den Weg gebracht. Die Grundlagen für eine schnellere Genehmigung haben sich wesentlich verbessert. Dennoch entstehen die Anlagen nicht über Nacht. Das ist das Dilemma. Wir brauchen eine gewisse Zeit, um die Anlagen zu errichten. Das werden schwere Jahre, in denen wir eine massive Lücke im Energiebereich haben. Die Brücke war ja mit günstigem Gas geplant. Ich hoffe, dass die Lücke in drei bis fünf Jahren geschlossen ist. Darauf arbeiten wir hin. Das hat ja auch eine wesentliche geostrategische Dimension.

Der Fachkräftemangel ist immer noch ein großes Thema. Gibt es neben dem Zuzug ausländischer Fachkräfte weitere Ideen?

Schäfer: Die Babyboomer-Generation steht vor der Rente, das wird den Fachkräftemangel weiter verschärfen. Bei großen Problemen braucht es zum Lösen einen breiten Instrumentenkasten. Dazu gehört qualifizierte Einwanderung. Aber wir müssen auch die Potenziale in unserem Land entsprechend nutzen. Wir haben immer noch Jugendliche, die sich schwer tun mit einer Ausbildungsstelle, diese abbrechen oder keine bekommen, wie wir während Corona gesehen haben. Hier sind die Länder gefragt. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört auch dazu. Die Kinderbetreuung ist oft gerade auf dem Land noch eine echte Baustelle. Auch das werden wir nicht über Nacht beseitigen können, aber da müssen wir ran.

Ein Renner war das 9-Euro-Ticket. Gibt es einen Nachfolger?

Schäfer: Ich sehe das 9-Euro-Ticket als verkehrspolitisches Experiment mit einem klaren Ergebnis: Die Leute wollen einen einfachen ÖPNV. Das ist das Allerwichtigste, nicht die Preisfrage. Dann muss ich mir keine Sorgen machen, dass ich schwarzfahre, wenn ich in Würzburg vom Regionalzug in die Straßenbahn steige. Dieses Thema gehört zu den Baustellen der Koalition: etwas zu entwickeln, was dieser Nachfrage gerecht wird. Die Grünen haben einen konkreten Vorschlag für ein 49-Euro-Ticket gemacht, das man überall nutzen kann. Denn wir brauchen auch Geld, um in die Qualität der Schiene zu investieren. In den anstehenden Haushaltsverhandlungen ist ein wichtiger Punkt, ein gutes Angebot zu machen und die Qualität weiter auszubauen. Für die Klimaziele ist es unabdingbar, das Auto öfter stehen zu lassen und mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Auf dem Land wird dies eine besondere Herausforderung. Da wird das Auto noch lange Teil des Mobilitätsmix sein. Es gibt viel zu tun, weil einige Entwicklungen verschlafen wurden. Umso dringender ist es, daran zu arbeiten, dass es besser wird.

Sie haben auch die Gelder im Landwirtschaftsministerium im Blick. Die Landwirte haben mit steigenden Ausgaben, aber geringeren Einnahmen wegen der Dürre zu kämpfen. Kann der Bund helfen?

Schäfer: Je nach landwirtschaftlichem Bereich ist die Betroffenheit sehr unterschiedlich. Wir sehen deutlich höhere Preise, die die Landwirte teilweise auch durchsetzen können. Die Landwirte sehen direkt, was Klimaveränderung bedeutet. Wir versuchen einen Weg zu finden, der den Bauern das Auskommen sichert, aber die Klimafragen nicht aus dem Blick nimmt. Die intensive Landwirtschaft, die viel mit Pestiziden arbeitet, ist auch Teil des Problems. Da denke ich vor allem an die tierintensive Landwirtschaft in Niedersachsen. Da muss sich etwas verändern. Wir brauchen weniger Tiere, die wir besser halten. Da sind wir auch als Verbraucherinnen und Verbraucher gefragt, ein Modell mit zu entwickeln, das klimafreundlicher ist und den Bauern das Auskommen sichert.

Sie haben kürzlich mit Winzern aus der Region über den Einsatz von Glyphosat diskutiert.

Schäfer: Beim Urlaub in der Südsteiermark war ich fasziniert, dass dort in den Steillagen Bioweinbau betrieben wird, obwohl es da viel mehr regnet als bei uns. Wir müssen mit unseren Winzern Wege finden, um mehr Wertschöpfung und einen Weinbau ohne Glyphosat zu ermöglichen. Dazu muss man miteinander sprechen. Die Leistungen der Winzer müssen ordentlich honoriert werden, damit sie eine gute Zukunft haben. Die muss nicht immer im ökologischen Weinbau sein.

Als Student haben Sie lange in den USA gelebt. Wie ist Ihr Blick aktuell auf das Land?

Schäfer: Ich war gerade für längere Zeit in den USA. Der große Graben durch das Land, der die beiden Parteien und ganz besonders die Republikanische Partei spaltet, macht mir große Sorgen. Wir müssen befürchten, dass Donald Trump bei der nächsten Wahl zurückkehrt oder jemand aus seinem Lager. Da gibt es noch gefährlichere Leute, etwa den Gouverneur von Florida, die genau wissen, was sie machen. Für Europa bedeutet das, im Zweifel auch unabhängig von den USA agieren zu können. Ich hoffe, dass die USA der verlässliche Partner bleiben, der sie mit Joe Biden wieder sind. Doch die Amerikaner haben auch berechtige Erwartungen an Deutschland, dass wir unseren Teil der Verantwortung wahrnehmen und die Erwartungen erfüllen, die wir mit der Ankündigung einer Zeitenwende geweckt haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Redaktion Hauptsächlich für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim im Einsatz

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