Sie ist klein, unscheinbar und treibt bereits seit einiger Zeit in der Region ihr Unwesen: die Schilfglasflügelzikade. Sie überträgt Krankheitserreger vornehmlich auf Zuckerrüben und Kartoffeln, findet aber auch Gefallen an weiteren Wurzelgemüsen wie Mohrrüben, Rote Bete und Sellerie. Zwischenzeitlich wurden die zikadenübertragenen Erreger in Zwiebeln, Paprika, Mais, Spargel und sogar in Weinreben nachgewiesen. Folglich kann man sie einen relevanten, für dramatische Ernteverluste verantwortlichen Schädling nennen.
Ursprünglich im Mittelmeerraum beheimatet
Ursprünglich im Mittelmeerraum beheimatet, lebte das kaum einen Zentimeter große, bräunliche Insekt, wie der Name vermuten lässt, bevorzugt in Schilfgürteln und ernährte sich von dort wachsenden Pflanzen. Begünstigt durch den Klimawandel breitete es sich in Mitteleuropa, also auch in den hiesigen Gefilden, aus. Doch damit nicht genug. Als wahrer Überlebenskünstler adaptierte es perfekt mit den hier heimischen Ackerbaukulturen, bislang zumeist Zuckerrüben und Kartoffeln. Gemüseanbau kommt eher kleinflächig vor. Da es keineswegs auf wenige Kulturen spezialisiert ist, hinterlässt es eine erschreckende Spur der Verwüstung.
Der über Zuckerrüben- oder Kartoffeläcker blickende Laie mag kaum in der Lage sein, die massiven Schäden zu erkennen, insofern fliegt die Zikade noch unter dem Schirm der öffentlichen Wahrnehmung. Dies könne sich ändern, wenn die Warenverfügbarkeit in den Ladenregalen eingeschränkt respektive nicht mehr gegeben ist, äußert sich Markus Moll, Pressesprecher des Landratsamtes Main-Tauber. Die Schilfglasflügelzikade selbst würde keine Probleme bereiten. Sie werde dadurch zum Schädling, dass sie sowohl viröse als auch bakterielle Erreger aufnehme, diese auf die Nutzpflanzen übertrage und somit schädige. Der Hauptzuflug habe im Juni und Juli bei den zu dieser Zeit herrschenden hohen Temperaturen stattgefunden. Beim Saugen an den Pflanzen übertrage sie die Erreger, wodurch sich die Krankheiten SBR (Syndrome Basses Richesses/Syndrom des niedrigen Zuckergehalts) und Stolbur entwickelten. Bei letzterer verlieren die Rüben ihre Spannung werden zu „Gummirüben“, die schlecht zu ernten, lagern und verarbeiten seien. Die in den vergangenen Jahren in vielen Regionen Deutschlands und Europas zunehmend aufgetretenen Krankheiten bedrohten immer stärker den heimischen Zuckerrübenanbau, so der Pressesprecher weiter. „Die Erträge gehen deutlich zurück und im geringeren Ertrag steckt auch deutlich weniger Zuckergehalt.“
Dies bestätigt Markus Neckermann. Der in Vilchband beheimate Zuckerrübenanbauer beobachtet bereits seit drei Jahren ein vermehrtes Auftreten der Zikade. Zunächst waren seine Zuckerrüben „nur“ mit SBR infiziert. Inzwischen ernte er aufgrund Stolbur auch weiche, biegsame Wurzeln. 2024 habe er mangels erlaubter Behandlung mit einem Insektizid durch niedrige Erträge und niedrigen Zuckergehalt, der für die Bezahlung maßgeblich ist, Einbußen von rund 30 Prozent erlitten. Es gebe kein adäquates Behandlungsmittel, erinnert er sich an die Auskünfte der Fachleute.
Mittlerweile hätten sie die Sorgen der Landwirte als durchaus berechtigt erkannt und eingestuft. Mit Hilfe von Klebefallen auf Rübenschlägen habe man den Zuflug überwacht und gezielt während des größten Zuflugs Insektizide einsetzen dürfen, um die Vermehrung zu stören, erläutert Moll die engmaschige Begleitung der Landwirte durch das Landwirtschaftsamt. So seien erstmals über eine Ausnahmegenehmigung Insektizide freigegeben worden zum Einsatz auf Feldern, auf denen die „bekämpfungswürdige Zikadenzahl“ überschritten wurde.
„Ziel ist es, die Eiablage und Entwicklung der Nymphen einzudämmen“, beschreibt Neckermann. Nach Abernten der Rübenschläge überwintere diese im Boden an den Wurzeln des gängig auf Zuckerrüben folgenden Winterweizens, entwickle sich im Frühjahr zur Zikade und fliege den nächsten Rübenacker an. Vermehrt trete daher der Befall in Regionen mit hoher Anbaudichte auf. Wirtschaftliche Einbußen machten den Anbau unrentabel. „Die Zuckerrübe ist eine intensive Kultur, aber wenn man 30 Prozent Einbußen hat, lohnt es sich nimmer“, gibt der Vilchbänder zu bedenken. Selbstverständlich agiere man in alle Richtungen, verlasse sich nicht nur aufs Spritzen. Mechanische Maßnahmen wie die Bodenbearbeitung der über Winter brachliegenden Flächen und als Fruchtfolgeumstellung das Aussäen von Sommergetreide oder Mais, ließen die Nymphen verhungern, doch sei dies unwirtschaftlicher als der Winterweizenanbau. In Kürze könne er abschätzen, wie die aktuelle Ernte ausfalle. „Wird‘s wieder so wie im letzten Jahr, ist der Rübenanbau nicht mehr rentabel“ und die Gedanken der Reporterin schweifen zur Warenverfügbarkeit und dem leeren Ladenregal.
Da die Zikade alles andere als ein schnäkiges Süßmäulchen ist, lässt sie sich auch gern auf Kartoffelpflanzen nieder, wobei hier bislang „nur“ der Stolbur-Erreger problematisch sei. „Die Knollen verlieren an Zellspannung und werden zu ‚Gummiknollen.‘ Die Erträge gehen deutlich zurück. Die Lagerung der befallenen Kartoffeln ist problematisch und schlussendlich auch die Verarbeitung. Für Landwirte wird der Anbau nahezu unkalkulierbar“, führt Markus Moll weiter aus und gibt zu bedenken, dass neben den bekannten ackerbaulichen Herausforderungen und den zunehmenden Trockenheitsphasen durch das Hinzukommen dieses Erregers der Anbau „komplett unwirtschaftlich“ werde, was die Überlegung bedinge, „gänzlich aus dem Anbau auszusteigen.“
„Noch sieht‘s gut aus“, wagt Peter Beuchert aus Buchen, der seine Kartoffeln im eigenen Hofladen direkt vermarktet, eine vorsichtige Prognose. Auch er hat nach den Informationen des landwirtschaftlichen Warndienstes des Landratsamts Neckar-Odenwald, der den Zuflug mit Klebetafeln überwachte, seine Pflanzen mit dem zugelassenen Insektizid behandelt. „Der Warndienst gab fundierte Empfehlungen, man kann sich danach richten und ist auf der sicheren Seite“, schätzt er dessen Arbeit, um zu ergänzen, dass diese sich in den letzten Jahren grundlegend verändert habe. Stand früher eine hohe Produktion mit entsprechendem Insektizideinsatz im Fokus, sei dieser um 30 Prozent reduziert worden. „Wir gehen verantwortungsvoll damit um“, bekräftigt er. So schütze man die Umwelt und vermindere das Risiko der Resistenzen. Zudem gehe der Einsatz ins Geld, womit wir bei der aktuellen Situation wären: Mehrere 1000 Euro allein für die Pflanzkartoffeln, dazu Maschineneinsatz, Kühllager, Verkaufsraum, Verpackungsmaterial, die Arbeitszeit noch nicht mit eingerechnet. „Da läppert sich was zusammen. Da guckt man nicht zu, wie die Zikade die Kartoffeln frisst.“
Genau genommen saugt sie an den Pflanzenteilen, was die oben genannten Folgen nach sich zieht. Sie liebe heiße, trockene Tage und könne sich rasant vermehren, was durch die Behandlung eingedämmt werden solle.
Laut Experten keine kurzfristige Problemlösung
Kurzfristig, so sind sich die Experten einig, lasse sich das Problem nicht lösen. Forscher arbeiten an verschiedenen Lösungsansätzen, wie man die Schilfglasflügelzikade vergrämen oder von der Fortpflanzung abhalten kann. Parallel versuchen Saatguthersteller neue resistente Saaten zu entwickeln, was nicht von heute auf morgen geht.
Bleibt zu hoffen, dass die ergriffenen Maßnahmen, sei es im konventionellen als auch im ökologischen Bereich greifen, und weiterhin heimische Kartoffeln auf dem Teller landen und Naschereien mit Zucker aus heimischen Rüben den Alltag versüßen.
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