Main-Tauber-Kreis. Kinder von suchtkranken Eltern oder Elternteilen leiden allermeist mit. Dafür möchte die bundesweite „Internationale Aktionswoche für Kinder und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien“ sensibilisieren, die bis zum 22. Februar stattfindet und an der sich auch die Suchtberatung im Main-Tauber-Kreis des AGJ-Fachverbandes für Prävention und Rehabilitation in der Erzdiözese Freiburg beteiligt. Hauptinitiatoren der „COA“-Aktionswoche sind Nacoa Deutschland - Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien – und weitere Sozialverbände. COA ist die international übliche Abkürzung für „Children of Addicts“.
Hohe Zahl durch Sucht belasteter Kinder
„Über drei Millionen Kinder und Jugendliche wachsen mit einem suchtkranken Elternteil auf. Das heißt, dass jeder fünfte bis sechste junge Mensch aus einer Familie kommt, in der Alkohol, Drogen oder eine andere Abhänigkeit den Alltag beherrschen. Etwa sechs Millionen Erwachsene sind als Kinder in suchtbelasteten Familien aufgewachsen“, beziffern die Diplom-Sozialpädagogin und Suchttherapeutin Gaby Schiller-Abendschein sowie Rouven Müller, Interimsleiter der AGJ-Suchtberatungsstelle in Tauberbischofsheim, die vom Land Baden-Württemberg und vom Main-Tauber-Kreis bezuschusst wird.
„Viele der betroffenen Kinder oder Jugendlichen erleben Vernachlässigung und Gewalt und leiden oft ein Leben lang unter diesen Erfahrungen. Doch nur selten können sie ihre Stimme erheben, denn in den betroffenen Familien herrscht in der Regel ein Schweigegebot, das sowohl die kranke Person als auch die Angehörigen vor Stigmatisierung und Ausgrenzung schützen soll“, berichten die beiden Fachexperten. Die Folgen für die Kinder von Suchtkranken seien oft dramatisch, ohne externe Hilfe und Unterstützung ereile sie viel zu häufig ein ähnliches Schicksal wie ihre Eltern. Ihr Risiko, selber eine stoffliche Sucht oder andere soziale und psychische Störung zu entwickeln, sei um ein Vielfaches erhöht.
Hohes Suchtrisiko bei Kindern süchtiger Eltern
„Rund zwei von drei Kindern aus suchtbelasteten Familien werden später selbst suchtkrank oder sind psychisch beeinträchtigt. Mit der ‚COA-Aktionswoche 2025‘ wollen wir den ‚vergessenen Kindern‘ eine laute Stimme geben, damit sie auf Basis ihrer vielfältigen Begabungen und Kompetenzen mit der richtigen Art von Unterstützung sich zu gesunden, widerstandsfähigen und lebenstüchtigen Erwachsenen entwickeln können“, erklären Schiller-Abendschein und Müller.
„Erinnerungen einer vergessenen Kindheit“ lautet der Titel eines Films, der im Rahmen der Aktionswoche online am Montag, 17. Februar (19 Uhr), sowie am Dienstag 18. Februar (10.30 Uhr und 16 Uhr), als Angebot der Partnereinrichtung AGJ-Suchtberatung Ettlingen zu sehen ist. In dem rund 30-minütigen und vielfach international prämierten Kurzfilm wird die Sucht im Elternhaus sowie die daraus resultierenden Folgen aus Sicht eines Kindes dargestellt. Während Vater Rudi verzweifelt das verlorengegangene Familienglück am Spielautomaten wieder zurückzugewinnen versucht, ist der elfjährige Niklas oft allein mit seiner alkoholsüchtigen Mutter Anna. Der Junge ist zwischen dem Pflichtgefühl, seinen Eltern helfen zu müssen, sowie dem Wunsch, seinem Elternhaus zu entfliehen, hin- und hergerissen.
„Fachkräften, Lehrkräften und Ehrenamtlichen, die mit Kindern arbeiten, sowie sonstigen Interessierten oder Beteiligten sollen mit dem Film Zugangswege aufgezeigt werden, wie konstruktiv mit diesem sensiblen Thema im Sinne der Resilienzförderung umgegangen werden kann. Es ist wichtig, dass diese Kinder und Jugendlichen gesehen, gehört und verbindlich unterstützt werden. Jeder kann hier als verlässliche Bezugsperson helfen– Bekannte, Freunde, Verwandte, Nachbarn, Arbeitskollegen, Lehrkräfte oder Ärzte “, erläutern Schiller-Abendschein und Müller. „Wegweisend ist, den Kindern zugleich bewusst zu machen, dass die Sucht ihrer Eltern eine Krankheit ist, die sie nicht verursacht haben und weder heilen noch kontrollieren können. Vielmehr sollen die Sprösslinge lernen, über ihre Gefühle mit Erwachsenen zu sprechen, denen sie vertrauen, sowie für sich selber zu sorgen“.
Suchtberatung muss von der Politik mehr wahrgenommen werden
„Wir wollen gleichermaßen in der Politik gehört werden. Die täglichen Krisen, die Kinder suchtkranker Eltern zu Hause bewältigen müssen, die ständige Gefahr für Leib und Leben sowie die daraus resultierenden Schäden für sie und für die Gesellschaft werden viel zu wenig politisch thematisiert“, heben die beiden örtlichen AGJ-Fachkräfte repräsentativ hervor.
Immerhin hätten die Regierungskoalition und die Unionsfraktion aufgrund eines fraktionsübergreifenden Antrags im Sommer 2024 Verbesserungen für Kinder psychisch kranker oder suchtkranker Eltern in Aussicht gestellt. Allerdings stehe die Umsetzung aller Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt. „Die Gesundheit von Kindern darf jedoch nicht zum Spielball der Haushaltspolitik werden. Eine Regelfinanzierung von Prävention und Gesundheitsförderung bleibt unverzichtbar“, appellieren Gaby Schiller-Abendschein und Rouven Müller.
Die Teilnahme an der Filmvorführung ist kostenfrei. Ein anschließender Gesprächsaustausch rundet die Online-Veranstaltung ab. Die Beteiligung ist über Browser oder über Zoom-App () möglich. Weitere Infos sind unter www.coa-aktionswoche.de, www.nacoa.de und www.suchtberatung-maintauberkreis.de zu finden.
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