Tauberbischofsheim. „Svjetlana, was hältst du davon, wenn ich Dir einen ganzen Tag lang über die Schulter schaue und Dir auch ein wenig helfe?“ Meine Friseurin schaut mich verdutzt an. „Willst du einen neuen Beruf lernen?“, fragt sie und gibt dann aber ihre Zustimmung.
Dann ist es soweit. Zugegeben, ich bin schon etwas nervös, weil ich nicht so genau weiß, was mich erwartet. Wie werde ich mich anstellen? Wie reagieren die Kunden? Darf ich auch mal Haare waschen?
Wenn man als Redakteurin viel im Sitzen arbeitet, macht man sich um das Schuhwerk kaum Gedanken – ganz anders als „Friseurin“. Die bequemsten Schuhe mussten her. Um dem Schluss vorauszugreifen: Die Schuhe waren das Erste, was ich nach einem langen Tag im Stehen abstreifte und weit von mit warf.
Ich soll mich um kurz vor 9 Uhr im „Studio 7“ am Sonnenplatz einfinden. Die Türen zum Salon stehen schon weit offen. Die Geschäftsinhaberin Svjetlana Mataija ist schon seit 8 Uhr da und sitzt in ihrem Büro. Abrechnungen müssen gemacht und Ware bestellt werden, bevor um Punkt neun Uhr die erste Kundin kommt.
Die Tauberbischofsheimerin hat einen Termin zum Haare färben vereinbart. Sie ist eine der langjährigen Stammkunden. „Ich habe mich schon von Svjetlana frisieren lassen, da hat sie noch in einem anderen Salon gearbeitet“, erzählt sie und dass die Suche nach einer guten Friseurin wichtig ist, weil es ganz viel mit Vertrauen zu tun habe.
Svjetlana Mataija ist in Kroatien geboren, hat das Handwerk von der Pike auf gelernt und betrieb in ihrem Heimatland als Meisterin ihres Fachs ein eigenes Friseurgeschäft mit drei Angestellten und fünf Auszubildenden. Im November 2015 wanderte sie nach Deutschland aus. „Mein Opa hat 40 Jahre in Deutschland gelebt und ich wollte ein besseres Leben für mein Kind“, gibt sie unumwunden zu. Noch gut erinnert sie sich an die erste Zeit in einem großen Friseurgeschäft. Sie verständigte sich mit ein paar Deutschkenntnissen und Händen und Füßen. Jeden Freitag war ihr Sohn im Laden, weil es ab Mittag keine Kinderbetreuung mehr gab. Ihre Familie war noch nicht in Deutschland. Im Oktober 2017 machte sich die Friseurmeisterin dann selbstständig.
Inzwischen ist die von Kundin und Friseurmeisterin ausgesuchte neue Haarfarbe aufgetragen und muss abgespült werden. „Komm, das kannst du machen. Du wolltest doch auch arbeiten“, sagt Svjetlana Mataija und winkt mich ans Waschbecken. Oh mein Gott, mir zittern die Knie – nicht, dass ich nicht weiß, wie man Haare wäscht. Aber es ist für mich der erste direkte Kundenkontakt. Die Friseurmeisterin zeigt mir genau, wie die Kundin sitzen muss, damit ihr beim Schamponieren das Wasser nicht den Rücken hinunterläuft.
Dann geht’s los. „Ist die Wassertemperatur recht so?“ Ich frage 20 Mal nach. So, jetzt noch die Spülung drauf. Oh je, welche von den vielen Flaschen soll ich dafür nehmen? Svjetlana hilft.
Während des Haarewaschens klingelt das Telefon. Mist. Was nun? Weil die Inhaberin allein im Salon arbeitet, muss sie jedes Mal ihre Arbeit unterbrechen, denn sie will keine Kunden warten lassen – auch nicht am Telefon. Während die Haare geschnitten werden – das macht die Chefin zu recht doch lieber selbst – wird über Hundekrankheiten, über Schulausbildung und Benotung gesprochen. Ich säubere inzwischen das Waschbecken und reibe es trocken, gebe die Handtücher in den Wäschesack und kehre die abgeschnittenen Haare zusammen. Am Ende des Tages bin ich völlig überrascht davon, wie viel abgeschnittene Haare und vor allem, wie viel Wäsche anfällt. Zwei Maschinen pro Tag sind es Minimum, sagt die Fachfrau.
Terminvergabe im Griff
Der nächste Kunde ist ein Mann. „Ich gehe gerne zu Svjetlana. Man kommt rein und ist gleich dran“, sagt er. Mir fällt auf, dass sich die meisten Kunden mit der Saloninhaberin duzen. Ihre Terminvergabe hat die gelernte Friseurin fest im Griff, damit niemand warten muss. Und schon gibt es das nächste Gesprächsthema: die Wartezeiten bei Ärzten und die Schwierigkeit, überhaupt einen Termin zu bekommen. Ich bin froh darüber, denn ich hatte mich darauf eingestellt, an diesem Tag 20 Mal etwas über den letzten Urlaub oder den kommenden zu hören. Ist aber gar nicht so.
Nach wenigen Minuten kann der Kunde wieder gehen, in dem Moment wird eine alte Dame gebracht. Ihr „Problem“: ein weit herausgewachsener Haaransatz. Gekonnt rührt Svjetlana Mataija die Farbe an und sagt dann: „So Heike, jetzt bist du dran“. Dabei hält sie mir die große schwarze Schürze hin. Ich gucke wahrscheinlich völlig verdutzt. Svjetlana redet mir zu. Sie weiß, dass ich mir hin und wieder selber den Ansatz färbe. Also: mutig ans Werk. Während ich die Farbe auftrage, erzähle ich der wirklich netten alten Dame, warum ich da bin und gebe auch gleich zu, dass es heute wohl etwas länger dauern wird. „Ach, das macht nichts. Ich habe Zeit“, winkt die Frau ab. Sie lächelt verständnisvoll. Ich arbeite mich Scheitel für Scheitel voran. Inzwischen steigt mir der unangenehm scharfe Geruch von Wasserstoffperoxid in die Nase. Hoppla, mir ist etwas Farbe auf den Fußboden gekleckert. Das ärgert mich. Jetzt muss ich schnell sein, damit es keinen Fleck gibt.
Die Farbe abspülen, Haare zwei Mal waschen, Spülung auftragen und Auswaschen darf ich bei der alten Dame wieder machen. Den flotten Haarschnitt und das Föhnen übernimmt dann wieder die Chefin. Noch einen letzten Blick in den Spiegel, die Kundin zupft noch einmal die Fransen ins Gesicht, nickt und strahlt dann sehr zufrieden über das ganze Gesicht. „Du musst die Spülung noch ein bisschen besser auswaschen“, werde ich von Svjetlana Mataija belehrt, als die Frau den Salon verlassen hat. Und, wie kann es anders sein, auch ich habe ganz ordentlich Farbe an Handgelenk und Unterarm abbekommen.
Über Trends und Mode
Vor dem nächsten Kunden haben wir ein paar Minuten Zeit – sicher auch, weil ich mitgeholfen habe. Wir reden über Trendfrisuren, über aufwendige Farbspiele auf dem Kopf und darüber, wie sehr sich die Frisurenmode geändert hat. Eine echte Dauerwelle oder das straffe Aufdrehen der Haare mit Lockenwicklern und schier ewige Sitzungen unter einer Trockenhaube gehören inzwischen der Vergangenheit an. Aber wir reden auch über den absoluten Fachkräftemangel. Schon seit Jahren sucht Svjetlana Mataija eine Friseurin. Als sie endlich jemanden hatte, brach Corona aus.
„Waschen, schneiden, föhnen“, die nächste Kundin weiß sehr genau, was sie will. Am Ende wird gezupft, ein wenig toupiert, gesprüht und noch mal drüber gekämmt, solange bis die Meisterin mit ihrem Werk zufrieden ist.
Es geht auf Mittag zu und mir fällt inzwischen das Stehen schwer. Dafür weiß ich, wie der Kaffeeautomat funktioniert und wo das Wasser für die Kunden steht. Nach einer kurzen Pause geht es weiter.
Friseur oder Coiffeur?
Wer das Handwerk eines Friseurs oder einer Friseurin erlernen will, benötigt neben dem Schulabschluss an einer allgemeinbildenden Schule ein Gespür für Trends, Kreativität, handwerkliches Geschick, Kommunikationsfähigkeit, gute Noten in Deutsch, Mathematik und Chemie. Die Lehre dauert drei Jahre, umfasst auch einen Kosmetikteil und endet mit der Gesellenprüfung.
Wie der Fachverband Friseur und Kosmetik mitteilt, gibt es in Baden-Württemberg derzeit rund 11 600 Friseursalons mit 26 200 Beschäftigten und 3300 Azubis, davon sind rund 3000 weiblich.
Bei der Arbeitsagentur gemeldet sind derzeit für den Main-Tauber-Kreis zwölf freie Arbeitsstellen und sechs freie Ausbildungsplätze und im Neckar-Odenwald-Kreis sechs freie Arbeitsstellen gemeldet.
Ob „Hair & Beauty-Artist“, „Hairstylist“ „Coiffeur“ oder einfach nur Friseur: Sie alle bezeichnen den selben Beruf.
Karriere: Hat man die Gesellenprüfung bestanden, kann man an Wettbewerben und Meisterschaften teilnehmen, Meister oder Meisterin des Friseurfachs werden, einen eigenen Salon eröffnen, Styling-Profi oder Maskenbildner beim Fernsehen am Theater und in der Filmbranche werden. Zu Tiktok-Stars durch ihre Ratschläge sind unter anderem die deutschen Friseure Dejan Garz und Selina Calvin geworden.
Kreishandwerkerschaft Main-Tauber-Kreis, Friseurinnung (www.khs-tbb.de), Ansprechpartnerin: Obermeisterin Michaela Hammer, Schloßstr. 1, 97947 Grünsfeld
Kreishandwerkerschaft Neckar-Odenwald-Kreis, Friseur-Innung Mosbach(www.kh-mosbach.de): Obermeister Herbert Gassert, Neuburgstraße 1, 74821 Mosbach-Neckarelz
Weitere Kontakte: www.arbeitsagentur.de; www.fachverband-fk.de; www.handwerk.de/Friseur; www.ausbildung.de/berufe/friseur. hei
Keine Beschwerden
Einige Männerhaarschnitte, zwei Ansatzfarben und ein paar Damenhaarschnitte später ist das Tagwerk geschafft. Ich gebe zu, ich bin fix und fertig, aber glücklich. Niemand hat sich über meine Arbeit beschwert und Svjetlana war mit mir zufrieden. „Wie fandest du es?“, fragt sie mich zum Feierabend. „Echt anstrengend, aber auch abwechslungsreich.“ Das Schönste war für mich, wenn sich bei den Kunden beim Blick in den Spiegel ein Lächeln breit gemacht hat. Dafür fühlen sich meine Füße nun wie Kuchenbleche an. „Wie schaffst Du es, den ganzen Tag so freundlich zu bleiben?“, will ich wissen. „Ich arbeite seit 1997 in diesem Beruf. Da hat man Routine“, sagt die Friseurin und schließt ihr Geschäft für diesen Tag. Es ist deutlich später als 18 Uhr geworden.
Zuhause fragt mich dann mein Mann allen Ernstes, ob ich ihm jetzt immer die Haare schneiden könne. Ich bin entsetzt. „Nö, du gehst schön weiter zu Svjetlana“, rüge ich ihn.
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