Geschichte

In Oberwittstadt sollte die Hauptstadt eines Weltreiches entstehen

Im Schlössle in Oberwittstadt ließ sich in den 1850er Jahren eine Sekte nieder. Ihre Anführerin war Magdalena Walz. Über die Geschehnisse von damals berichtet Gerhard Weiß in seinen Aufzeichnungen.

Von 
Nicola Beier
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Gerhard Weiß hat die Geschichte des Oberwittstadter Schlössle recherchiert und neue Informationen zusammengetragen. © Weiß

Oberwittstadt. Ruhig liegt es dar, das Schlössle von Oberwittstadt. Durch die Blätter der Bäume fallen Sonnenstrahlen auf die große Wiese des Gartens. Die Einfahrt führt in einer Runde, wie man sie aus großen Hollywood-Filmen kennt, vor das Haus. Diese Idylle lädt zum Verweilen ein und entführt den Beobachter in eine andere Zeit.

Heute leben im Schlössle von Oberwittstadt ganz normale Bürger. Doch wenn man ins 19. Jahrhundert zurückblickt, kommt eine kuriose und recht sonderbare Geschichte des Schlössle und seiner Bewohner zu Tage. Darin spielt eine Frau, Magdalena Walz (1814 – 1873), eine besondere Rolle. Sie wurde die Anführerin einer Sekte, die das Schlössle erbaute.

Weiß hat Buch über das Schlössle geschrieben

Diese Geschichte fiel Gerhard Walz in die Hände, als er eigentlich an einem ganz anderen Buch saß: nämlich dem Heimatbuch von Oberwittstadt. Der ehemalige Lehrer ist seit mehr als einem Jahr dabei, das Heimatbuch des Baulandorts für die große 1250-Jahr-Jubiläumsfeier im Juni zu recherchieren (wir berichteten). In diesem Buch kommt auch das Schlössle in einem Kapitel vor. Doch eigentlich bietet die Geschichte dieses Gebäudes Stoff für ein eigenes Buch. Und so machte sich Weiß parallel zum Heimatbuch noch an ein anderes Werk: „Die Geschichte des Schlössle oder Der gescheiterte Bau der Welthauptstadt Neujerusalem“.

„Das Schlössle in Wittscht ist ein Gebäude, das Fremde immer zu Nachfragen anregt“, erklärt Weiß. Es gebe allerdings nur noch ein „Restwissen“ in der Bevölkerung. Dieses drehe sich um die „heilige Magdalena“, die nach allgemeiner Vorstellung eine Betrügerin war.

Das bisherige Wissen über das Schlössle wurde von Walter Brecht in seinem Buch „Geschichten aus der Geschichte von Oberwittstadt“ von 1975 festgehalten. Brecht berief sich darin hauptsächlich auf Benno Rüttenauers Dokumentation „Die heilige Magdalena von Witscht“, die 1887 im Reclam-Verlag erschienen war.

Magdalena Walz hatte ihre Ideen von Pfarrer Ambros Oschwald

Rüttenauer schreibt darin von einem Pfarrer namens Ambros Oschwald, der chiliastische Ideen vertrat. „Oschwald war überzeugt, dass in den nächsten Jahren Jesus auf die Erde zurückkäme und dann das 1000-jährige Friedensreich nach der ,Geheimen Offenbarung’ der Bibel beginnt“, erklärt Weiß. Pfarrer Ambrosch überwarf sich, trotz oder wegen seines Glaubens, mit dem Ordinariat der Erzdiözese Freiburg. Allerdings hatte er in seiner kurzen Zeit als Kaplan in Ballenberg (1844/45) Kontakt mit Magdalena Walz aus Oberwittstadt gefunden, die in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Anhänger um sich scharte.

Pfarrer Oschwald wanderte rund zehn Jahre später,1854, mit 113 Anhängern nach St. Nazianz in Wisconsin (USA) aus. „Aber Magdalena blieb in Oberwittstadt, gründete dort eine Sekte, die die Hauptstadt ,Neujerusalem‘ des künftigen universellen Weltreiches aufbauen wollte. Das Schlössle war als Wohnsitz des künftigen Kaisers vorgesehen“, erklärt Weiß die Visionen von Magdalena Walz.

Magdalena hatte Hunderte Anhänger

So habe Magdalena von sich behauptet, dass sie mit Jesus und der Gottesmutter in direktem Kontakt stehe. Es gab viele Hundert Anhänger im weiten Umkreis, die in teils mehrtägigen Wallfahrten zu ihr pilgerten. „Manche überließen ihr in Erwartung der baldigen Wiederkunft Jesu ihr gesamtes Hab und Gut und halfen ohne Bezahlung beim Bau des Schlössle mit“, erzählt Weiß, der all das aus den Aufzeichnungen von Rüttenauer und Brecht recherchiert hatte. Benno Rüttenauer sei zwar der einzige Zeitgenosse gewesen, der die Vorgänge ausführlich dokumentierte, wohl aber sehr fehlerhaft.

Buch kann bei Gerhard Weiß vorbestellt werden

Bei den Nachforschungen von Gerhard Weiß spielten alte Akten des Ordinariats Freiburg eine entscheidende Rolle. Besonders hilfreich war der Genealoge Alois Deißler, der viele biografische Informationen über die Sektenführer erhellen half, sowie eine Heimathistorikergruppe aus St. Nazianz, USA, die weitere Informationen aus der Hinterlassenschaft von Pfarrer Ambros Oschwald beisteuerte. Damit hat Weiß die bislang lücken- und fehlerhafte Überlieferung von Rüttenauer und Brecht neu bearbeitet, bewertet und das auf 125 Seiten festgehalten. Auch die gescheiterten Bemühungen von Franz Anton Hoffmann aus Bad Mergentheim, in Oberwittstadt das „Kurbad Schloss“ zu errichten, sind ausführlich dargestellt.

So sieht das Schlössle in Oberwittstadt heute aus. Im 19. Jahrhundert zog dort eine Sekte ein. © Nicola Beier

Seine Aufzeichnungen zur Sekte im Schlössle können nach vorheriger Bestellung unter Telefon 06297/534 am 22. Juni, am Dorferlebnistag in Oberwittstadt, zum Selbstkostenpreis gekauft werden.

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