Osterburken/Schweinfurt. Für den Journalisten Timo Büchner ist klar, dass es sich um einen handfesten Justizskandal handelt. Ein Zollbeamter aus dem Landkreis Schweinfurt hat unter anderem Büchners Adresse an einen bekannten Neonazi aus Osterburken weitergegeben. Alles flog auf, doch die Konsequenzen hielten sich in Grenzen. Die gemeinsame Spur der beiden Männer führt in die Fanszene des unterfränkischen Regionalligavereins FC 05 Schweinfurt.
Anfang September dieses Jahres, Freitagabend, Flutlichtspiel in der Regionalliga Bayern. Der heimische FC 05 Schweinfurt empfängt Wacker Burghausen. Breitbeinig, mit großen Schritten, stapft Marc R. in Begleitung einer kleinen Entourage förmlich den langen Weg auf der urigen Stehtribüne des Sachs-Stadions entlang. Der Endzwanziger aus Osterburken ist seit Jahren ein bekanntes Gesicht in der Szene des unterfränkischen Traditionsklubs. Er trägt kurze Hosen, an seinen Oberschenkel sind Tätowierungen abgeklebt, andere Aufnahmen lassen darauf schließen, dass dort ansonsten verfassungsfeindliche Symbole zu sehen wären.
An anderer Stelle im Stadion, im Herzen der Gegengerade, dort, wo seit Jahrzehnten die treuesten Anhänger der „Schnüdel“, wie der Klub seit jeher genannt wird, die Spiele verfolgen, steht Tobias W. während des Spiels bei seinen „Green Boyz“, einer ultra-ähnlichen Fangruppierung, und hilft dabei, die Stimmung einzuheizen. Ob sich R. und W. an diesem Abend, der mit einem umjubelten 2:1-Sieg der Schweinfurter endet, bei der Kulisse von knapp eintausend Zuschauern über den Weg gelaufen sind, lässt sich nicht sagen. Beide verbindet aber eine Geschichte, die an diesem Tag durch eine Veröffentlichung des Bayerischen Rundfunk für gewaltiges Aufsehen gesorgt hat.
Zollbeamte gibt geschützte Daten eines Journalisten preis
Alles spielte sich vor gut drei Jahren ab. Im Herbst 2020 prahlte der Zollbeamte W. im Chat der Gruppe „Green Boyz“ damit, dass er von seiner Arbeit aus ganz einfach Adressen abrufen könne. Er bräuchte dafür nur Vor- und Zunamen der jeweiligen Person. Ein paar Monate später tauchten ein Dutzend Adressen von Anhängern des FC Würzburger Kickers, dem Erzrivalen der Schweinfurter Fans, im Chat auf. Die Chatprotokolle liegen dieser Zeitung vor. Ein Gros der Adressen soll der Zollbeamte eingestellt haben, einige fügte der Neonazi R. hinzu. Das alles wurde bekannt, weil es kurz danach erst eine polizeiliche Hausdurchsuchung bei R. und später auch bei W. zuhause und sogar auf dessen Zolldienststelle in Kitzingen gegeben hat.
Hier kommt Timo Büchner wieder ins Spiel, ein freier Journalist, der besonders im Südwesten Deutschlands zum Thema Rechtsextremismus recherchiert, unter anderem für die Wochenzeitung „Zeit“. Auch der Osterburkener R. geriet in sein Blickfeld. Büchner berichtete über Rs Umtriebe als führender Kopf bei der rechtsextremen militanten Gruppe „Nord Württemberg Sturm“, einem regionalen Ableger der „Jungen Revolution“. Büchners Berichterstattung führte zur Hausdurchsuchung bei R.
Dort flog dann auf, dass der Neonazi sich nicht nur für Adressen anderer Fußballfans interessiert hatte, sondern auch für die des Journalisten. In einem privaten Chat fragte R. W., ob er ihm Büchners Adresse heraussuchen könnte. Die Besonderheit: Die Adresse des Journalisten unterliegt aufgrund seiner Tätigkeit einer Auskunftssperre. Diese erhalten nur Menschen, bei denen „Gefahr für Leben, Gesundheit und persönlicher Freiheit“ bestünde, falls die Anschrift in die falschen Hände geriete. Der Zollbeamte hatte über seinen Arbeitscomputer auch Zugriff auf Adressen mit Auskunftssperre. Er lieferte R. bereitwillig, ohne weitere Nachfrage, Büchners Privatadresse.
Haus des Osterburkener Rechtsextremen durchsucht
„Passiert“ ist Büchner anschließend nichts, vielleicht auch, weil Rs Haus kurz nach dem Erhalt der Adresse durchsucht wurde. Im Juni dieses Jahres sollte am Amtsgericht Kitzingen öffentlich über den Zollbeamten verhandelt werden. Bei dieser Verhandlung wäre Büchner als Nebenkläger aufgetreten. Dazu kam es nicht. Der Angeklagte zog seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurück und akzeptierte das Urteil mit der Strafe von 90 Tagessätzen wegen der „Verletzung des Dienstgeheimnisses in zwei tatmehrheitlichen Fällen“. Damit blieb der Zollbeamte einen Tagessatz unter einer Vorstrafe.
Neben der Weitergabe von Büchners Adresse wurde W. noch verurteilt für die Weitergabe einer Adresse eines Würzburger Kickers-Ultras. Bei weiteren Adressen, die im besagten „Green Boyz“-Chat auftauchten, fehlte es teils an Klägern oder die Fälle wurden eingestellt. Ein Verfahren gegen R. zu der Sache wurde vom Amtsgericht Würzburg sogar komplett eingestellt. Der Geschädigte, Timo Büchner, zeigt sich erschüttert: „Die Urteile gegen den Zollbeamten und den Neonazi sind empörend, ja skandalös.“ Auch die beruflichen Konsequenzen für den Zollbeamten hielten sich in Grenzen. Während des laufenden Disziplinarverfahrens wurde er lediglich innerhalb des Hauptzollamtes Schweinfurt versetzt.
Kein Mitglied der Schweinfurter Fan-Gruppe "Green Boyz" mehr
R. und W. sollen allerdings nicht mehr derselben Fan-Gruppe angehören. Gegenüber der Main-Post behaupten die Fanbeauftragten des FC 05 Schweinfurt, R. sei seit drei Jahren kein Mitglied der Gruppe mehr, die „Green Boyz“ würden sich entschieden von ihm distanzieren. Eine Aussage, an die gezweifelt werden kann. Tatsächlich unterhielten sich W. und andere „Green Boyz“-Mitglieder in einem Chat, der dieser Zeitung vorliegt, im März 2021, ob man sich von R. trennen sollte. Auslöser waren auch hier Büchners Artikel. Es drohe ansonsten ein „Ansehensverlust des Vereins“, meinte eines der Mitglieder.
Die „Green Boyz“ geben sich als „politisch neutral“. Ende 2020 gehörten sie, mit diversen Aktionen, neben der AfD-Fraktion des Schweinfurter Stadtrats zu den letzten Befürwortern, die eine Umbenennung des Willy-Sachs-Stadion, benannt nach einem bekennenden Nationalsozialisten, verhindern wollten. Ob R. wirklich derart in Ungnade gefallen ist, bezweifelt auch ein ehemaliger Mitarbeiter des Vereins gegenüber dieser Zeitung. „Mir wurde versichert, die haben sich getrennt von ihm. Beim Aufstiegsspiel in Havelse im Juni 2021 stand er im Gästeblock dann wieder mittendrin.“ R. treibt sich bis heute in der Fanszene um, häufig in Begleitung von anderen gewaltbereiten Rechtsextremen aus dem benachbarten Oberfranken und Thüringen. Die politische Einstellung und die Gewaltbereitschaft von R. waren auch damals schon dem Zollbeamten bekannt. Der Osterburkener gilt als extrem umtriebig in der rechten Kampfsportszene. Vor zwei Jahren erschien etwa ein Youtube-Video mit mittlerweile über 25.000 Aufrufen, bei dem R. als „Schweinfurt Hooligan“ in einem „Käfigkampf“ der rechtsextremen Organisation „Pure Violence“ zu sehen ist.
Rechtsextremer aus Osterburken weiterhin aktiv
Insider der Schweinfurter Szene berichten, dass R. gerade versuche, eine Gruppe namens „Schweinfurt Hooligans“ zu etablieren. Der Rechtsextreme bleibt beim fränkischen Fußballklub allen Anschein nach weiter aktiv, der Zollbeamte ebenso. Journalisten wie Timo Büchner werden weiter genau hinsehen, auch wenn der Fall um die beiden Schweinfurt-Fans Büchners Glauben an die Justiz ins Wanken gebracht hat. „Das Signal, das ausgeht, lautet: Wer der militanten Neonazi-Szene sensible Daten preisgibt, muss keine ernsthaften Konsequenzen fürchten“, schlussfolgert der Journalist. „Das ist eine bittere Erkenntnis – für mich persönlich, aber auch für alle, die für einen wehrhaften Rechtsstaat streiten.“
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