Jubiläum

Vor 150 Jahren wurde Rothenburg ans Schienennetz angebunden

Bahnanschluss erfolgte 1873. Festvortrag und Zugtaufe. Längst gibt es nur noch die Stichverbindung nach Steinach/Bahnhof

Von 
Dieter Balb
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Rothenburg. Mit Zugtaufe und Festvortrag beging man in der Tauberstadt jetzt das Jubiläum des Eisenbahnanschlusses, der vor 150 Jahren – am 31. Oktober 1873 – zunächst nur mit einer Stichverbindung von Steinach im Norden aus erfolgt ist. Bis 1905 musste man danach auf die Fortführung der Gleis-Strecke nach Dombühl zur Frankenhöhe warten. Diese Verbindung aber gibt es längst nicht mehr.

Die heitere Stimmung bei Sekt und Ansprachen am Bahnsteig übertünchte zwiespältige Gefühle, denn schon seit 52 Jahren ist Rothenburg seiner südlichen Bahnverbindung beraubt. Angesichts geplanter Strecken-Reaktivierungen in Bayern könnten sich Bahnfreunde vielleicht sogar wieder Hoffnung machen auf die „Wiederbelebung“ der Gleise, falls es sie noch gäbe. So bleibt es ein frommer Wunsch, denn die Infrastruktur mit Bahndamm, Gleisbett und Haltestationen ist längst zerstört. Heute könnte diese einst landschaftlich reizvolle Nebenstrecke auch als touristische Romantikbahn zur Frankenhöhe vermarktet werden.

„Eine Herzensangelegenheit” sei den Tauberstädtern ihre Bahn, meinte Bürgermeister Dieter Kölle im Kreis von rund 80 Interessierten am Bahnhof. Sie sei für den Tourismus wie für den Gütertransport mit direktem Gleisanschluss zum Electrolux/AEG-Werk besonders wichtig.

Als „dreigeschossigen Sandsteinquaderbau mit Eckrustika und flachem Satteldach sowie seitlichen erdgeschossigen Flügeln, im spätklassizistischen Stil, um 1873“ weist die örtliche Denkmalliste den alten Bahnhof aus. Touristisch werbend geschmückt war der Platz am Bahnsteig, als der DB Regio Bayern mit dem Zugtyp VD 622 planmäßig mittags einrollte.

Bahnbeauftragter Marco Schimmich sprach von modernisierten Triebwagen, seit 2019 im Dienst, 530 PS stark und in der Maxi-Version bis zu 170 Sitzplätze, alles videoüberwacht. Künftig werde der Zug in ganz Mittelfranken regional eingesetzt. Der Name „Rothenburg ob der Tauber” (plus Stadtwappen) prangte bereits an der Dachschräge und wurde symbolisch mit einem Glas Sekt begossen. Danach ging es gleich zurück vom Sackbahnhof nach Steinach/Bhf.

Das Eisenbahnzeitalter in Deutschland hatte mit der sechs Kilometer langen Strecke von Nürnberg nach Fürth am 7. Dezember 1835 begonnen, bis 1850 wuchs das Netz schon auf 5700 Kilometer. Dr. Georg Seiderer (Professur für neue Bayerische Geschichte an der Uni Erlangen-Nürnberg) nahm sich für seinen Abendvortrag im Musiksaal das Thema „Rothenburgs verzögerter Anschluss an die Moderne“ im Detail vor. Große Gebiete seien Mitte des 19. Jahrhunderts noch unberührt von der Eisenbahn gewesen, besonders Westmittelfranken. Zunächst kamen große Städte dran, Ansbach gehörte zu den letzten Kreishauptstädten mit Bahn, 1870 ging die Strecke nach Treuchtlingen in Betrieb. Für Rothenburg hätten die Strecke Ansbach-Gunzenhausen und die Planung für Ansbach-Würzburg den Ausgangspunkt für den eigenen Anschluss bedeutet.

Aufbruch ins Industriezeitalter

Erst das Vizinalbahngesetz (Nebenbahnen) von 1869 habe den Bau der Strecke nach Steinach ermöglicht, der im Juli 1870 genehmigt wurde. Es folgten der Grunderwerb und Erdarbeiten auf Kosten der Kommunen, während die Staatsbahn die Schienen verlegen ließ und den Betrieb übernahm. Die Förderung strukturschwacher Räume folgte dann dem Grundgerüst der neuen Verkehrswege, um das es zunächst ging, wie Dr. Seiderer bemerkte.

Rothenburg sei schon im Mittelalter an einer Nord-Süd-Handelsstraße (Würzburg Ulm) gelegen, aber habe nach den Grenzveränderungen 1803 wirtschaftlich stagniert. Damals verlor die alte Reichsstadt den westlichen Teil der einstigen Landhege an Württemberg. Landwirtschaft und Handwerk dominierten, Armut griff um sich. Das Jahr 1873 stehe nicht nur durch die Bahn symbolhaft für den Aufbruch ins Industriezeitalter. Es sei die erste Dampfmaschine in Betrieb gegangen und eine Fabrik für Kinderwagen, Spielzeug und Velocipede (Fahrräder) gegründet worden: die Firma Louis Schmetzer & Co, die zehn Jahre später schon 300 Beschäftigte zählte. Doch Schmetzer siedelte bald nach Ansbach um, das bessere Voraussetzungen für die Vergrößerung bot. In Rothenburg entstanden 1892 mit den Kinderwagen-Fabriken Heinrichmeier & Wünsch sowie Haag & Saalmüller zwei Nachfolgebetriebe mit rund 500 Mitarbeitern.

Schließlich wurde der Fremdenverkehr die zukunftsträchtige Erwerbsquelle, das Festspiel vom Meistertrunk habe das sehr befördert, erläuterte der Vortragende. Stadt und Hotels freuten sich über größere Reisegruppen, die man gerne mit viel Zeremoniell am Bahnhof abholte.

Die Beherbergungszahlen stiegen bis 1913 schon auf 25 274 Übernachtungen bei einer aus heutiger Sicht hohen Quote von fünf Übernachtungen pro Gast –– heute liegt man bei nur 1,6 Nächten. Ausländer hatten damals schon 30 Prozent Anteil, wobei US-Amerikaner an erster Stelle standen, gefolgt von den Briten, wie Georg Seiderer wusste. Auf die ersehnte Weiterführung der Strecke nach Dombühl (das 1875 bereits an der Bahnlinie Nürnberg-Ansbach-Crailsheim lag), hatten die Rothenburger 32 Jahre lang warten müssen. Dann hat man unter großem Protest der Bevölkerung diese Südtrasse am 25. September 1971 angeblich als unrentierlich wieder stillgelegt.

Rivalitäten

Schon 1890 hatte sich der Fürst zu Hohenlohe-Langenburg erfolglos um eine Bahnverbindung über Gebsattel nach Rothenburg bemüht. 1927 diskutierte man eine Nebenlinie von Creglingen im Taubertal bis Steinach. Die Stadt war dagegen, weil man nicht an der Strecke gelegen hätte (wie in einer Jubiläums-Schrift von Pro Bahn 2005 zur Lokalbahn Rothenburg-Dombühl erwähnt). Georg Seiderer verwies in seinem Vortrag auf die generelle Konkurrenz der Staats-Eisenbahnen von Bayern und Württemberg untereinander.

In der Gesamtbetrachtung der 150 Jahre müsse „das Gedenken doch etwas ambivalent ausfallen“, meinte der Geschichtsprofessor Dr. Seiderer.

Für den Fremdenverkehr, das Gewerbe und die Industrieansiedlung sei der Bahnanschluss von Anfang an bedeutend gewesen. Ein industrielles Zentrum aber sei Rothenburg deshalb nicht geworden. Einige Touristen als Bahnreisende demonstrierten an diesem Jubiläumstag zugleich, dass die Nebenbahn gefragt bleibt.

Autor Redakteur, Wort- und Bildjournalist, Video

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