Premiere gefeiert

Stehender Applaus für „Rain Man“

Theater Hollenbach übertrifft alle Erwartungen. Authentisch und bewegend

Von 
Inge Braune
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Hollenbach. „Wie? Rain Man? Die trauen sich was!“ Kommentare in dieser Richtung gab es etliche aus der regionalen Theaterszene, als sich herumsprach, was das Theater Hollenbach in dieser Saison auf den Spielplan setzen würde.

Die Skepsis war durchaus begründet: „Rain Man“ von Dan Gordon ist eine echte Herausforderung. Im zugrundeliegenden Spielfilm erspielte sich Dustin Hoffmann als Autist Raymond einen Oscar. Und mit Tom Cruise besetzte Gordon die Rolle des selbstverliebten Autohändlers Charlie Berger nicht weniger hochkarätig.

Eigentlich kann sich an so etwas ein Amateurtheater nur überheben. Eigentlich. Denn wie die Truppe die Herausforderung gemeistert hat, riss das Publikum bei der Premiere regelrecht von den Stühlen. Schon in der ersten Szene Lacher und begeisterter Zwischenapplaus.

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Inge Braune
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Dabei ist das Stück thematisch alles andere als ein Schenkelklopfer: Als sein Vater stirbt, rechnet der selbstverliebte, mit allerlei Geschäften jonglierende Autohändler Charlie Berger mit großem Erbe. Statt dessen gibt’s für ihn nur einen hochklassigen „Gebrauchtwagen“ und die mit Preisen bedachten Rosen. Geld und Anwesen dagegen fallen einer Stiftung zugunsten eines ungenannten Nutznießers zu.

Der ist Autist, Savant, und Charlies Bruder, braucht minuziös geregelte Tage, zuckt zurück vor jeder Berührung, zieht sich bei kleinster Aufregung in seine Welt zurück und reproduziert fehlerfrei das 1954er Finale der Fußball-WM. Um irgendwie an „seinen“ Erbanteil zu kommen, entführt Charlie den älteren Bruder, der niemals etwas vergessen kann.

Wie Julian Gräf und Karlheinz Reiss die Brüder auf die Bühne bringen, ist schier unglaublich: Nicht eine Sekunde steigt Reiss aus der Figur des Autisten aus, gibt einfach meisterhaft den Mann mit sozialem und emotionalem Handicap, ohne ihn je der Lächerlichkeit preiszugeben. Authentisch bis ins Detail.

Intensives Spiel perfekt ab der ersten Spielminute

Und Gräf gebührt allein schon für die Bewältigung der immensen Textmenge größte Hochachtung. Wie er die Entwicklung vom windigen Autodealer, dem Banken und Kunden gerade den Boden unter den Füßen wegziehen, zum mitfühlenden Begleiter auf die Bühne bringt: großartig. Zwei große Rollen – und dazu acht „kleine“: Kann das gut gehen in einer Amateur-Theatergruppe? Und wie! Denn wie sie die von Dan Gordon für Profis in Mehrfachbesetzung vorgeschlagenen „Nebenrollen“ auf die Bühne bringen, sorgt durchgehend für höchste Intensität.

Da ist zunächst Mona Ehrmann zu nennen, die in der Rolle von Charlies Freundin und Sekretärin Raimund Zuneigung entgegenbringt und sich selbstbewusst gegen Charlies Zumutungen zur Wehr setzt . Im eröffnenden pas de deux mit Malin Abel als zweite Sekretärin in Charlies Autohaus – das ist perfekt ab der ersten Spielminute. Mit professioneller Distanziertheit überbringt Rudi Schlecht als Anwalt Möller Charlie die Nachrichten zum verlorenen Erbe, fein moderierend stellt Ulrich Hartmann den Gutachter dar, der im Zwist zwischen Anstaltsleiterin Dr. Brunner und Charlie Berger mit Sachkenntnis zu vermitteln sucht.

Das Spiel entfaltet sich auf karg gehaltener Bühne

Birgit Herrmann agiert als Stiftungstreuhänderin und Leiterin des Sanatoriums Dr. Brunner herrlich streng und abweisend, angesichts der aufgezwungenen Auseinandersetzung mit Charlie um Raimunds und der Stiftung Rechte händeringend angespannt. Im Airport-Bistro sehen sich Margot Busch als Kellnerin Sabine Delling und Sonja Ehrmann als Polizistin unversehens einem teils willigen, teils sich heftig widersetzenden Savant gegenüber.

Nach einem Blick aufs Namensschild überrascht Raimund die Kellnerin mit sämtlichen Telefonbuchdaten zu ihrem Namen. Überzeugend perplex reagiert Busch auf die am Vorabend beim Telefonbuch-Lesen – Charlie hatte nichts anderes zur Hand, um den Lesehunger seines Bruders zu stillen – im Savant-Gehirn gespeicherte Information.

Und Sonja Ehrmann gibt ebenso überzeugend die Polizistin, die das Wort Terrorismus aufschnappt. Bis ins Feinste ausgearbeitet hat Marleen Hofmann die im Spielcasino auf Kunden wartende Animierdame Iris, die sich alle Mühe gibt, Raimund zu umgarnen.

Das Spiel entfaltet sich auf karger, überwiegend in Grau- und Anthrazit-Tönen gehaltener Bühne. Große drehbare Dreieckselemente erlauben die häufige Gestaltung neuer Räume, die brückenartige zweite Ebene im Hintergrund eröffnet weitere Bereiche. Mit sparsam eingesetzten Requisiten entstehen so auf offener Bühne in flinkem Schattenspiel die Autohauszentrale, in der Charlie sein Team zur Verzweiflung treibt, Charlies Elternhaus, das Pflegeinstitut, Raimunds dortiges Zimmer, Hotelsuite, Flughafenbistro, Motelzimmer, Casinofoyer und Besprechungsraum. Die beachtliche Leistung des Bühnenbauteams um Günter Scheppach ergänzt präzise das Technikteam um Martin Ziegler, das mit Zuspielungen, Lichteffekten und Videoeinspielern den Spielraum zusätzlich erweitert.

In ihrer mittlerweile fünften Produktion mit der Hollenbacher Theatergruppe verlangt Maria Warkentin dem Team viel ab, und die Truppe hat mit größtem Engagement eine Vielzahl zusätzlicher Besprechungen, Umbau- Licht- und Technikproben in Kauf genommen, um genau dieses Stück, das alle begeisterte, auf die Bühne zu bringen. Die Mühe hat sich gelohnt: Entstanden ist eine vielschichtige und hoch präsente Aufführung, die die doppelte Entwicklung der beiden so verschiedenen Brüder miterleben ließ.

Gelächter, Zwischenapplaus und auch die fast andächtige Stille im Zuschauerraum zeugen von der erreichten Intensität des Spiels, für die das Premierenpublikum mit stehendem Applaus dankte. Weitere Aufführungen finden statt am kommenden (10., 11. und 12. Januar) und den beiden folgenden Wochenenden (jeweils freitags und samstags 17. und 18. sowie 24. und 25. Januar). Die Vorstellungen in der Dreschhalle Hollenbach beginnen mit einer Ausnahme (Sonntag, 12. Januar: da beginnt das Spiel bereits um 18 Uhr) um 19.30 Uhr. Einlass jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Karten können telefonisch (Familie Reiß, Telefon 07938-1295) und via e-Mail (theater-hollenbach@gmx.net) reserviert werden.

Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

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