„Kleine Schweiz“, große Geschichten

Rüsselhausen: Zwischen Alpenflair und Dorflinde

In dem achten Teil unserer Serie finden wir heraus, warum das Dorf mit 118 Einwohnern mehr zu bieten hat als Idylle und Tradition

Von 
Roland Mehlmann
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Am Ufer des Aschbach fühlt sich die Rüsselhäuser Ortsvorsteherin Anja Blank besonders wohl. © FN

Rüsselhausen. Rüsselhausen, auch liebevoll „Kleine Schweiz“ genannt, ist ein Dorf wie aus dem Bilderbuch – mit 118 Einwohnern, einer Dorflinde als Treffpunkt und einer Ortsvorsteherin, die mit Herz und Verstand die Geschicke lenkt. Doch hinter der Idylle verbergen sich spannende Geschichten von Gemeinschaftssinn, Tradition und modernem Unternehmergeist. Ein Blick in das Leben eines kleinen Ortes, der Großes leistet.

„Kleine Schweiz“, das hört sich zunächst einmal seltsam an. Wohnen da etwa Menschen mit prall gefüllten Bankkonten? Anja Blank, die Ortsvorsteherin in Rüsselhausen, kann das Rätsel schnell lösen: „Schon lange wird Rüsselhausen die „Kleine Schweiz“ genannt. Das hat aber nichts mit Reichtum, sondern mit der idyllischen Lage zu tun, die viele Menschen an das Alpenland erinnert.“ Sie selbst wohnt mit Mann und zwei Kindern hier und ist, wie schon ihre Eltern, geborene Rüsselhäuserin.

Seit September 2024 reiht sie sich in die Garde der jungen Ortsvorsteher ein. Fünf Jahre lang war sie zuvor als stellvertretende Ortsvorsteherin im Ortschaftsrat. Als Berufsberaterin der Agentur für Arbeit hat sie viel mit Menschen zu tun. So war sie sozusagen prädestiniert für ihre neue Aufgabe. Ihr größtes Hobby außer Rätseln, Singen und Lesen, ist der IT-Bereich. Kein Wunder, dass sie auch die Webseite der Kirche verwaltet. Und stellvertretende Vorsitzende des „Club Rüsselhausen e.V.“ ist sie auch noch. Wie in alle kleineren Ortschaften üblich, bringt man sich hier gleich in mehreren Vereinen ein. Anja Blank: „Wir haben unseren Club im selben Gebäude wie die Gemeindeverwaltung und den Gemeindesaal. Dafür haben wir den ehemaligen Gefrierraum umgebaut, in dem früher jede Familie ihre Gefriertruhe hatte. Mittlerweile hat die aber jeder zuhause und es gab Platz.“ Und sie fügt hinzu: „Unser Club heißt mit Absicht nicht Jugendclub. Wir wollten von Anfang an für alle da sein.“ Zwar gab es damals noch eine Gastwirtschaft im Ort, doch es gab den Wunsch, einen Treffpunkt zu haben, an dem man sich ungezwungen sehen konnte, um dann vielleicht auch zusammen auf Feiern oder Feste zu gehen.

Nachdem es keine Gastwirtschaft mehr gibt, haben die Lindenfreunde vor etlichen Jahren einen alten Treffpunkt für sich wiederentdeckt. Wie früher schon, trifft man sich unter der prächtigen Dorflinde. Zum Club, wo man sich mit Getränken versorgen kann, sind es nur wenige Schritte. Alt und Jung versammelt sich hier, pflegt die Gemeinschaft und überlegt, was man dem Dorf denn Gutes tun könnte. So wurde beispielsweise einen Holzsteg über den Bach gebaut oder eine Info-Tafel angebracht, damit auch Ortsfremde wissen, wo welches Haus steht, denn Straßennamen gibt es nicht.

Für viele anfallenden Arbeiten gibt es, wie in vielen Dörfern, die Fronarbeiter, die sehr schnell und engagiert die anfallenden Arbeiten erledigen. Die Ortsvorsteherin schmunzelt: „Wir sind echt ein Dorf der kurzen Wege. Wenn etwas Dringendes zu besprechen ist wegen der Fronarbeit, erledige ich das abends beim Essen. Zufälligerweise ist mein Mann einer dieser Fronarbeiter.“ Sehr rege sind auch die Landfrauen Herrenzimmern/Rüsselhausen, es gibt Sportangebote, Vorträge und ein gar nicht mehr so geheimer Geheimtipp ist die Kinderkleiderbörse, die perfekt und aufwändig organisiert ist und Menschen in großer Zahl anzieht.

Natürlich gibt es auch eine Freiwillige Feuerwehr. Die musste letztes Jahr ihre ganze Kraft aufbringen, um den Ort vor Schlimmeren zu bewahren. Die Landfrauen feierten ihr 60-jähriges Bestehen. Es war ein tolles Programm geplant, vom Festgottesdienst bis zum Kinderschminken geplant. Auf dem Plakat war zu lesen, dass man bei jedem Wetter feiern wolle. „Nachdem es die ganze Zeit schon geregnet hatte, hofften alle auf ein Ende des Regens. Leider kam es ganz anders. Ich dachte mir, dass alles gut werden würde, solange nur der Bach nicht über die Ufer tritt“, erinnert sich Anja Blank. Doch der Bach erwies sich nicht als das größte Problem. Das Wasser kam von den Hängen ins Tal geschossen, überflutete Keller und Heizanlagen und stand in der Kirche bis zum Altar hoch. Bis morgens um vier hatte die Feuerwehr zu tun. Die eigens aufgebauten Zelte waren nicht mehr zu benutzen und so musste die Feier kurzerhand ins Gemeindezentrum verlegt werden. „Trotz der Umstände haben wir dann aber doch eine schöne Feier hinbekommen.“ Besonders tragisch war, dass die alte Wehrkirche mit ihren wertvollen Fresken aus dem 13. Jahrhundert und dem Pestsarg gerade erst renoviert worden war. Nun steht die nächste Renovierung ins Haus.

Unübersehbar prangt am Gemeindezentrum das Schild „Bioenergiedorf“. Wie Blank berichtet, gibt es im Dorf noch drei Landwirte. Einer arbeitet konventionell, der zweite hat sich auf die Aufzucht von Wagyu-Rindern spezialisiert und der dritte betreibt eine Biogas-Anlage. Man gründete eine GmbH und versorgt nun etliche Haushalte über ein neu installiertes Netzsystem mit der anfallenden Wärme.

Sehr viel ist also gut in Rüsselhausen, aber auch hier fehlt ein Baugebiet und aufgrund der finanziellen Lage ist die Hoffnung auch nicht allzu groß, dass dieses in naher Zukunft kommt. Für Anja Blank und ihre Familie ist Rüsselhausen genau der Ort, an dem sie leben wollen: „Wir haben einen großen Zusammenhalt im Dorf, eine wunderbare Natur um uns, es lebt sich ruhig hier, wenn man mal vom Verkehr morgens und abends absieht und wenn man will, findet man immer jemanden zum Reden. Wenn ich dann noch Zeit habe und mich in der Nähe des Aschbachs aufhalten kann, dann ist es schon ziemlich perfekt.“

Ein Blick von oben auf Rüsselhausen, die „Kleine Schweiz“ – eingebettet in sanfte Hügel und umgeben von beeindruckender Natur. © FN

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