Architekturwettbewerb

Rothenburger Stadtmauer soll ihren trennenden Charakter verlieren

Um die Zukunft neu zu denken, braucht es manchmal auch utopische Ideen und sei es nur als Gedankenanstoß. Im mittelalterlichen Rothenburg, das moderner ist als viele vermuten, haben stadtplanerische Entwürfe von Studenten der Technischen Universität Aachen zu anregenden Diskussionen geführt.

Von 
Dieter Balb
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Rothenburg. Was die einen für wegweisend halten, ist für andere Spinnerei. Es seien keineswegs nur Utopien, ist aus dem Rathaus und von Verantwortlichen zu den Architekturplänen und Baumodellen zu hören, die Ergebnis eines studentischen Ideenwettbewerbs sind.

„Darf Geld alles?“ hat ein Besucher als Zettelnotiz an der Pin-Wand hinterlassen und ein anderer stellt fest: „Rothenburg lebt doch vom Verschlafensein, bitte keine Betonelemente!“ Über „Anglizismen und Phrasen“ regt sich ein anderer auf, dem nicht nur der Ausstellungstitel „Inside Out“ missfällt. Auf deutsch ließe sich sagen, es geht um das drinnen in der Altstadt und das draußen vor den Mauern. Beides, so das Credo, könne sich kreativ zu neuen Erlebnisräumen verbinden. Und dies am besten entlang der mittelalterlichen Wehrmauer an Torbasteien wie bevorzugt dem Würzburger Tor.

Als Folge des letztes Jahr zur „Bayerischen Modellstadt“ ernannten Rothenburg (wir berichteten) sind muntere Diskussionen in Gang gekommen und vor allem ist eine enge Verbindung zur Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen entstanden. Zu ihr gehört ein Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen und ein Institut für europäische Urbanistik.

Professorin Christa Reicher ist die Leiterin und hat auch eine Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege gegründet.

Jenseits der Stadtmauern sei wenig vom „altstädtischen Charme“ zu sehen, heißt es in einem Erläuterungstext der Uni: „Große Teile des grünen Walls sind mit Parkplätzen besetzt, die umgebende Wege- und Straßenführung ist verwirrend und überdimensioniert, es lassen sich wenig Orte mit Aufenthaltsqualität identifizieren und die städtebauliche Struktur bedarf in Teilen einer angemessenen Neuordnung. Stadtmauer und Wall bilden nicht nur eine physische Zäsur, sondern schaffen eine eindeutige städtebauliche Trennung von Innen und Außen“ – so die Ausschreibung des Ideenwettbewerbs.

Sieben Entwürfe

Wer in die sieben Entwürfe der Studentinnen und Studenten eintaucht, entdeckt den Ort von ganz neuen Seiten (bis 4. Juni ist die Ausstellung im Sommerrefektorium des Rothenburg-Museums zu sehen). Das Vorfeld der Mauer wird hier zur Attraktion und schafft zugleich eine neue Verbindung zur Altstadt. Der Planungsfokus auf das Umfeld des nordöstlichen Tores hat seine Gründe. Dass sich davor drei größere Hotels- und Gastrobetriebe befinden und Hotelier Christian Mittermeier das Projekt mit angeregt und beim Preisgeld gefördert hat, ist nur einer. Vor allem handelt es sich um das Haupt-Zufahrtstor, durch das auch alle Busse ihren Weg finden. Und vor der Torbastei in Richtung Rödertor prägt ein Großparkplatz das Bild.

In den Entwürfen verlagert man kurzerhand Parkflächen weiter nach draußen oder krempelt die ganze Verkehrsstruktur um. Zugeschüttete einstige Wallgräben werden da wieder ausgebuddelt und zu Begegnungsorten mit Pavillon, Wasserbecken, Kulturgärten bis hin zur Freilichtbühne, einem Hotelneubau und einer völlig neuen Stadtlandschaft, die in den Boden gegraben wird, wo jetzt Verkehrsflächen sind.

Schon vor Jahrzehnten hatte man dort eine Tiefgarage geplant, was ebenso wenig realisiert wurde wie ein Tiefgaragenprojekt am Schrannenplatz in der Altstadt, das auf dem Gelände des ehemaligen Judenkirchhofs zwangsläufig scheitern musste.

Den ersten Preis des Wettbewerbs erhielt Carlos Schrewe, der seinen Entwurf „Bürgernah und lebenswert“ überschreibt. Seine Erkenntnis: „Es gibt noch kleinstädtisches Leben und die Altstadt ist kein Disneyland“ Der Tourismus, so sein Eindruck aus einer kleinen Befragung, sei für Einheimische nicht das Problem, aber er ziele sehr auf das romantische Bild ab. In vielen der Entwurfsarbeiten wolle man mehr auf das Miteinander von Einwohnern und Besuchern setzen.

In Schrewes Vorschlag gilt es den Erholungs- und Freizeitwert zu steigern und ein neues Verkehrskonzept zu entwickeln. Er möchte das Leben in und außerhalb der alten Stadt mehr miteinander vernetzen und neue Begegnungsorte schaffen oder vorhandene besser nutzen.

Naherholung und Grüngürtel sind wichtig, auch das Taubertal gehört dazu, mehr Radwege und Zubringerangebote draußen parkende Autofahrer sind ebenso wie mehr Einbahnstraßen angedacht. Ebenfalls einen ersten Preis vergab die Jury an Negin Nobarianasel, die den ehemaligen Mauergraben neu gestalten und vielfältig beleben möchte.

Die planerischen Ideen Einzelner muten fast großstädtisch an und bräuchten auch das Publikum dafür. Die Stadt hat aber nur 11 250 Einwohner und ausgedehnte Neubaugebiete für Wohnen und Industrie, die bereits landschafts- und stadtbildbeeinträchtigend wirken, während in und um die Mauer etliche Bauflächen verwertbar sind.

Hotelprojekt liegt auf Eis

Studierende der Fachhochschule Koblenz hatten schon 2008 mit Entwürfen für ein großes Hotel- und Wellnessprojekt vor dem Klingentor beeindruckt. Ihr Architektur-Professor Henner Herrmanns kam 25 Jahre lang bis 2015 mit seinen Studenten zu Zeichenstudien nach Rothenburg.

Das immer noch nicht ganz abgeschriebene Hotelprojekt vor dem Klingentor war für 40 Millionen Euro avisiert und der damit vom Stadtrat befasste Generalplaner aus Aalen ist das Ergebnis eines Architektur-Wettbewerbs. Investoren und Betreiber sucht man hartnäckig, aber vergeblich. Die Studenten-Kreationen halten nicht alle für utopisch. Oberbürgermeister Dr. Naser: „Es geht um Impulse und darum, anderes zu denken“. Das sei „weder rein utopisch, noch direkt realisierbar“.

„Was soll daran utopisch sein?“ fragt Christian Mittermeier provokant zurück, man müsse den begonnenen Weg nur entschlossen weiter gehen, Investoren könnten sich im Einzelfall dann schon finden. Es gelte über eine Aufwertung des direkten Stadtumgriffs nachzudenken, die Auto-Priorität in Frage zu stellen und neue Erlebnis-Werte zu schaffen, sinniert Tourismuschef Dr. Jörg Christöphler.

Am 31. März wird an der Uni Aachen die Einweihung des neuen „Unesco-Lehrstuhls für Kulturerbe und Städtebau“ stattfinden. Und an dieser gestärkten Rolle der TH für europäische Urbanistik und Stadtentwicklung möchten die Rothenburger durch eine langfristige Kooperation teilhaben. OB Dr. Markus Naser wird bei der Veranstaltung in Aachen am Diskussionspodium sitzen.

Autor Redakteur, Wort- und Bildjournalist, Video

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