Niederstetten. Seinem guten Ruf, immer wieder das Ungewöhnliche und Unerwartete anzupacken – das Freilichttheater im Niederstettener „Tempele“ ist ihm auch in dieser Spielsaison wiedergerecht geworden. Nur noch vier Vorstellungen gibt es von Simone Höfts „Alice im Wunderland. Kein Kinderspiel“. Ein Kinderbuch-Stoff für Erwachsene, der ganz offensichtlich zündet.
Der allabendliche künstlerische Einsatz der Amateurspieler, „kommt von Herzen, das merkt man“, sagt eine begeisterte Zuschauerin. Der „Betrachter ist am Ende des Abends etwas sprachlos“ – viele Szenen seien „faszinierend und augenöffnend“.
Die „Liebe zum Detail“ werde eigentlich von allen Theaterbesuchern gelobt, sagt Heidi Maedel, langjährige Intendantin der Freilichttheaters. Mit Profi-Regisseur Ulrich Schulz arbeite man schon über zwei Jahrzehnte zusammen. Der hebe mit hohem Anspruch und harten Proben die schauspielerische Leistung des Ensembles immer wieder auf einen Niveau, das die Zuschauer kaum erwarten. Dazu kommen noch eine Vielzahl stimmiger Kostüme und ein ausgefeiltes Bühnenbild, das selbst Theaterprofis immer wieder staunen lässt.
Niederstetten hat sich spätestens seit 2017 mit dem Kunststaatspreis des Landes Baden-Württemberg für „Ein Sommernachtstraum“ zur Muss-Adresse in Sachen Freilichttheater gemausert. So überrascht auch der Besuch einer mehrköpfigen Delegation des Landesverbands Amateurtheater Baden-Württemberg bei der Premiere nicht. Aus dem Amateurtheaterbereich sind landesweit rund 640 Bühnen und Theatergruppen mit rund 40 000 Mitgliedern im Landesverband zusammengeschlossen.
Ungewöhnlich und punktgenau
Gut 20 große Produktionen hatte die Gruppe um Ehrenpräsident Rolf Wenhardt bereits in Augenschein genommen: die Niederstettener „Alice“ ragt als ein gewisses Wagnis weit heraus, sagt Wenhardt. Viele Bühnen spielen nach den Corona-Beschränkungen auf Sicherheit, denn das finanzielle Risiko ist hoch. Erkranken Spieler, dann steht die Saison schnell auch finanziell auf der Kippe. Einbußen bei den Zuschauern gibt es sowieso: kurzfristige Corona-Absagen und wegen der anhaltenden Krisenstimmung auch ein zögerlicher Kartenabsatz. Rund 20 Prozent weniger Auslastung – so sieht es laut Wenhardt landesweit aus.
„Eine ungewöhnliche und punktgenau gespielte Inszenierung, die so wahrscheinlich nur in Niederstetten funktioniert“, lobt Wenhardt die bis in die kleinsten Rollen hoch diszipliniert aufgestellte Theatertruppe. „Alice“ erscheine hier – auch mit seinen talentierten und erfahrenen Hauptdarstellern – wie ein „großes, lebendes Bilderbuch.“
Die Atmosphäre stimmt
Freilichttheater: Das ist aber nicht nur das eigentliche Bühnengeschehen. Immer wieder lassen sich die Besucher von der fantastischen, heimeligen Atmosphäre im „Tempele“ mit Catering-Zelten, vorgelagertem Lounge-Bereich und Lagerfeuer begeistern. Heuer wurde der bunte Bühnenmond der Grinsekatze-Szene groß und klein multipliziert und illuminiert die Lindenallee des Naturtheaters. Für die Zuschauer ist das auch eine Reise in die Geschichte: Das bewaldete Hanggelände mit seinen Tuffsteinhöhlen, Überhängen und verwinkelten Treppen ist der Ausläufer des ehemaligen Gartens von Schloss Haltenbergstetten.
Wer kommt eigentlich zu den Aufführungen? Heidi Maedel weiß: Das Gros sind treue Fans aus der ganzen Region Hohenlohe-Franken. Doch seit vielen Jahren weitet sich der Kreis aus. Aus sämtlichen Nachbarlandkreisen sind regelmäßig größere Gruppen zu Gast. Auch Schauspielvereine kommen vermehrt, um die Niederstettener Luft zu schnuppern und sich inspirieren zu lassen. Immer mit einem großen Kartenkontingent vertreten sind die regionalen Wirtschaftsjunioren. Aufgrund eines 75-Jahr-Jubiläums hat der Gewindespezialist „Bass“ heuer gleich zwei Kontingente für Mitarbeiter und Jubiläumsgäste übernommen. Zuschauer aus der ganzen Welt kamen so nach Niederstetten. Auch Besucher aus Heilbronn, Stuttgart, München und Hamburg genießen die Stücke im „Tempele“. Oft gibt es natürlich familiäre Bindungen in die Vorbachtal-Stadt – beim Theater kommt man eben gerne wieder in der Heimat zusammen und feiert.
Viele Theaterbesucher sind auch bei „Alice“ mehrfach in Vorstellungen anzutreffen; das ist sicher nicht bei jeder Bühne so. Auffällig laut Intendanz in dieser Saison: Es kommen viele jüngere Zuschauer zwischen 20 und 40 Jahren.
Die willkommene Zuschauer-Verjüngung hat vermutlich mit der vielfältigen Verarbeitung des Stoffs in der Popkultur zu tun: Hutmacher und Grinsekatze, die teilweise irrwitzigen Zitate – sie haben es nicht nur in Tim Burtons legendäre Verfilmung mit Johnny Depp und Helena Bonham Carter geschafft, sondern auch in Science-Fiction-Klassiker wie „Matrix“ („Follow the white Rabbit“). In Niederstetten kann man die berühmten Figuren in hinreißender Ausstattung endlich einmal live erleben. Ob der Komplexität des Stoffs ist dies auf den Theaterbühnen eher selten möglich. Und in einer eigenen, speziell geschriebenen Fassung: überhaupt nur und exklusiv im „Tempele“.
Vorstellungen von „Alice im Wunderland. Kein Kinderspiel“ gibt es noch am 27., 29., 30. und 31. Juli (Dernière). Beginn ist jeweils um 20.30 Uhr. Karten unter www.theater-niederstetten.de oder Telefon 07932 / 6053324.
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