Im Alter von 78 Jahren - Marionettentheater-Besitzer Wolfgang Gerhards überraschend gestorben / Ehefrau und Sohn führen Theater weiter

Den Puppen Leben eingehaucht

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mev
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Wolfgang Gerhards dort, wo er sich immer wohlfühlte: bei seinen Marionetten. © Ufuk Arslan

Wolfgang Gerhards ist nach langer Krankheit und doch überraschend im Alter von 78 Jahren gestorben. Seine Frau Karin und sein Sohn Nico werden Gerhards Marionettentheater weiterführen.

Schwäbisch Hall. Normalerweise stünden jetzt bei Gerhards Marionettentheater „Die Weihnachtsgeschichten“ nach Karl Heinrich Waggerl auf dem Spielplan – der jetzt coronabedingt ausgesetzt ist. Seit einem halben Jahrhundert gehören sie zum festen Repertoire der Schwäbisch Haller Puppenbühne. Deren Traditionen hat Wolfgang Gerhards mit Herzblut gepflegt, sich aber auch für Neuerungen mit voller Energie eingesetzt. Am 10. Dezember ist der leidenschaftliche Theatermacher im Alter von 78 Jahren gestorben.

„Er hatte schon seit ein paar Jahren eine Krebserkrankung und kürzlich seinen zweiten Herzinfarkt“, berichtet seine Frau Karin Birkhold-Gerhards. Zunächst sah es so aus, als hätten er und die Ärzte im Haller Diak beide Erkrankungen in den Griff gekriegt. „Wir haben uns so sehr gefreut, dass er am nächsten Tag nach Hause kommen sollte. Und dann ist er doch überraschend gestorben“, sagt Birkhold-Gerhards erschüttert. „Mein Mann hat mehr als 60 Jahre lang seine ganze Kraft, Liebe und Herzblut ins Theater gesteckt“, betont sie. „Er hat alles fürs Theater, für die Familie und die Freunde getan und sich selbst dabei sehr zurückgenommen.“

Gerhards Marionettentheater ist das größte und älteste Marionettentheater in Baden-Württemberg, und es gilt nach der Augsburger Puppenkiste als das zweitgrößte Deutschlands. Es wurde 1925 von Fritz Gerhards (1898 – 1955) in Wuppertal gegründet. Dieser war einst als Schauspielschüler Kommilitone von Gustaf Gründgens. Wolfgang Gerhards wurde am 16. November 1942 in Wuppertal geboren. Kurz darauf, im Jahr 1943, wurde Gerhards Marionettentheater von den Nazis mit einem Spielverbot belegt, zudem wurde das Theater ausgebombt. Fritz Gerhards zog mit seiner Familie und dem Ensemble nach Schwäbisch Hall. Der Schafstall im Lindach, das frühere Kurtheater der Stadt, wurde zur Spielstätte. Doch auch diese wurde zu Kriegsende von einer Bombe getroffen. Das Theater richtete seine Werkstätten in anderen Räumen ein, und für die Aufführungen ging es ab 1949 auf Tournee. Die Hotelkosten zu finanzieren war nicht leicht.

„Zur Landesgartenschau sind wir dann gebeten worden, in Hall zu bleiben“, berichtete Wolfgang Gerhards einmal. So wurde der Schafstall 1982 wieder zur festen Heimstätte für die Puppenbühne.

Wolfgang Gerhards begann nach seiner Schulzeit eine Fotografenausbildung bei Paul Swiridoff. „Das hat ihm sehr viel Freude gemacht. Er wollte danach eigentlich Filme machen“, erklärt Karin Birkhold-Gerhards. Ein Film ist sogar entstanden und 1965 im Fernsehen ausgestrahlt worden: „Die Fahrt nach Tankinivi“ hieß der Schwarz-Weiß-Streifen, den Fritz Herbert Bross, zeitweise künstlerischer Leiter bei Gerhards Marionetten, und Wolfgang Gerhards für den WDR drehten. Er handelte von Marionetten, die nachts lebendig werden und einen Ausflug machen. Gerhards brach die Fotografenausbildung ab, als im Marionettentheater kurzfristig ein Spieler ausfiel. 1968 übernahm er die Theaterleitung von seiner Mutter Hertha Gerhards von der Heydt.

„Mein Mann war ein genialer Marionettenspieler“, urteilt Karin Birkhold-Gerhards. „Er hat das Spiel perfektioniert.“ Er habe zum Beispiel die Spielkreuze so weiterentwickelt, dass die Figuren mehr und feinere Bewegungen machen konnten, „so dass die Marionetten beseelt und lebendig werden“, sagt die 60-Jährige. „Die Kinder sollen unsere Stücke über die Seele erfassen, nicht nur über den Intellekt“, erklärte Wolfgang Gerhards seine Philosophie. Der Spieler müsse empfinden und die Empfindung über die Puppe ans Publikum weitergeben. „Das Erbe seines Vaters lag ihm sehr am Herzen“, berichtet Karin Birkhold-Gerhards. Aber er habe auch immer Neues gemacht, das Theater weiterentwickelt. Selber Puppen bewegen konnte Wolfgang Gerhards nach einem Bandscheibenvorfall nicht mehr, er saß dann bei Vorführungen am Technikpult. Und nach einem Herzinfarkt gab er 2014 die Theaterleitung an seine Frau Karin und seinen Sohn Nico ab. „Aber er war im Hintergrund immer dabei, hat uns bis zum Schluss viele Tipps gegeben“, sagt Karin Birkhold-Gerhards dankbar.

Sie und Nico, einer der beiden Söhne, wollen das Theater weiterleben lassen. Die Finanzierung ist dank Kurzarbeit und Zuschüssen von Stadt und Land auch in Corona-Zeiten möglich. Der Spielbetrieb kann wohl erst gegen Ostern wieder aufgenommen werden. Aber Planungen laufen. Und im nächsten Winter sind dann hoffentlich auch wieder „Die Weihnachtsgeschichten“ im Schafstall zu sehen. mev

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