Jugendbuch zum „Dritten Reich“

Aus der Perspektive eines Hitlerjungen

Mulfinger Autorin Katja Hildebrand mit Blick auf die Ereignisse von Brettheim im April 1945

Von 
Inge Braune
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Die Mulfinger Autorin Katja Hildebrand hat sich intensiv mit der Indoktrinierung von Jugendlichen im NS-Staat und den Ereignissen von Brettheim im April 1945 auseinandergesetzt. © Felix Hildebrand

Mulfingen. Es ist schon viel gesagt und geschrieben worden über die Ereignisse, die sich kurz vorm Ende des Zweiten Weltkriegs in Brettheim abspielten. Die Geschehnisse im April 1945 dokumentiert im Rathaus der zu Rot am See gehörenden Ortschaft die 1992 eröffnete Erinnerungsstätte „Männer von Brettheim“.

Dank der Filmgruppe der Oskar-von-Miller-Realschule Rothenburg kommen Augenzeugen zu Wort, berichten Einwohner über die Entwaffnung der vier Hitlerjungen, die sich mit Panzerfäusten den kurz vor dem Ort stehenden US-Panzern entgegenstellen wollten.

Mutige Männer entwaffneten am 7. April die kaum den Kinderschuhen entwachsenen Jugendlichen. Drei Tage später wurden drei Männer hingerichtet: Der Bauer Friedrich Hanselmann, der sie gemeinsam mit zwei weiteren Männern entwaffnete, und der Brettheimer Bürgermeister Leonhard Gackstatter sowie der Ortsgruppenleiter und Lehrer Leonhard Wolfmeyer, die sich weigerten, das Todesurteil für Hanselmann zu unterschreiben.

Eine Leerstelle bleibt

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Viel ist bekannt geworden, nicht aber, was aus den Hitlerjungen geworden ist. Keiner bekannte sich dazu, die Entwaffnung gemeldet zu haben, keiner, an der Hinrichtung mitgewirkt zu haben. Die Leerstelle bleibt.

Sie gibt der Mulfinger Autorin Katja Hildebrand die Möglichkeit, mit ihrem gerade erschienenen Buch „Mit der Faust in der Hand – Erzählung nach einer wahren Begebenheit“ der Frage nachzugehen, wie Jugendliche damals so werden konnten. Lesern ab 14 Jahren stellt die Autorin mit ihrer Erzählung die Frage, wie sie sich wohl damals verhalten hätten und was heute zählt. Über gut 90 Seiten begleitet sie den fiktiven Bauernsohn Georg ein Jahr lang von seiner Aufnahme in die Hitlerjugend bis zum Tag der Brettheimer Hinrichtung, die für die Ortschaft noch lange nicht das Ende der Schrecken markierte: Weil sich im Ort danach niemand mehr getraute, die weiße Fahne zu hissen, wurde das Dorf zehn Tage nach der Entwaffnung der Hitlerjungen fast ausgelöscht.

Georg, 14 Jahre alt zu Beginn der Erzählung, ist komplett im sogenannten Dritten Reich aufgewachsen. Frieden hat der jüngste der drei Bauernsöhne aus dem hohenlohischen Dorf wohl nur als Vorschüler erlebt.

Im Trupp junger „Helden“

Mächtig stolz ist er darauf, endlich vom „Jungvolk“, den 10- bis 14-jährigen „Pimpfen“, in die HJ (Hitlerjugend) wechseln zu können. Da wird man doch endlich ernst genommen als Vaterlandsverteidiger. Da kann man sich doch endlich auch daran machen, den Tod der beiden älteren Brüder zu rächen. Da ist man fast schon erwachsen und kommt raus aus dem Kindertrott von Hof- und Schularbeit, kann sich den mütterlichen Küssen und Tränen ebenso entziehen wie den schroffen Anordnungen des kriegsversehrten Vaters. Viel besser muss es da doch sein, in der Truppe junger Helden selbst einer zu sein.

Es ist ein faszinierender Perspektivwechsel, mit dem Katja Hildebrand sich nicht nur der Tragik der letzten Kriegswochen in Brettheim annimmt, sondern vor allem auch dem Leben und Erleben von Kindern und Jugendlichen im totalitären NS-Staat. Sie lässt Georg erzählen, wie er das Jungvolk, die Hitlerjugend, Elternhaus und Schule, das HJ-Ausbildungslager in Ansbach, das Wehrertüchtigungslager Gebsattel erlebt; lässt ihn berichten vom Brand in Rothenburg, der Fahrt nach Brettheim über frühlingsgrüne Felder, über die Angst nach der Meldung über den Waffenverlust, die Hinrichtung. Immer wieder zerreißt es ihn fast: Eltern und Hof brauchen ihn, das Vaterland auch; Trauer um die verlorenen Brüder – und brennender Hass auf die Feinde; Ärger darüber, dass die Eltern seine Ideale nicht teilen – und Angst, dass Freund Walter sie wegen Wehrkraftzersetzung verraten könnte. Erlebtes passt einfach nicht mehr: die Rothenburger Feuersbrunst nach der Bombardierung und die strahlende Frühjahrssonne über den Feldern auf dem Weg nach Brettheim.

Katja Hildebrand, Grundschullehrerin und Mutter von zwei Kindern, betreibt im mittleren Jagsttal einen kleinen Hobbybauernhof. Ferienzeiten nutzt sie zum Schreiben von Kinderbüchern, historischen Romanen, Erzählungen. Die Brettheimer Geschichte ging ihr seit dem ersten Besuch im dortigen Museum nicht mehr aus dem Kopf.

Wie hätten die eigenen Kinder reagiert, wären sie damals aufgewachsen? Sie befasste sich intensiv mit der Thematik, las etliche Biographien. Dazu habe sie einfach etwas schreiben müssen, berichtet sie im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten – und zwar aus der Perspektive eines damaligen Jugendlichen, der den Alltag und die Versprechungen der Hitler-Diktatur erlebte.

Das ist ihr so gut gelungen, dass sich Zeitzeugen, die sich als Testleser zur Verfügung stellten, wieder in die Zeit zurückversetzt fühlten. Spannend sei das Buch, urteilten junge Testleser, die sich nach anfänglicher Identifikation mit Georg seine Entscheidungen zunehmend hinterfragen.

Gut 90 Seiten umfasst die um Vor- und Nachworte, Chronologie, Info- und Quellenverzeichnis, historisches Bildmaterial, ein Glossar und etliche Illustrationen ergänzte Erzählung des Hitlerjungen, die als Schullektüre einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht.

Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

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